Hereinspaziert, hereinspaziert! Sehen Sie einen Kampf der Elemente, der seit Jahrmillarden ausgefochten wird! Staunen Sie, wie Croissants zu Waffen umfunktioniert werden!
Auf Wunsch von Georg von Prima-Klima präsentieren wir einen ganz besonderen Schlagabtausch, sozusagen einen Klassiker aus dem Jahr 1991.(1)
Aber lassen Sie uns doch zunächst einmal die Kontrahenten vorstellen.
Gestatten? Der Sonnenwind
In der einen Ecke sehen wir den Lokalmatador. Er ist heiß (durchschnittlich 10000 K in Erdbahn-Nähe), er ist geladen (er besteht aus Protonen, Elektronen und Heliumkernen), er ist schnell (ca. 100 km/s). Meine Damen und Herren, begrüßen Sie deeeen Soooonnenwind!
Einmarschmusik:
Lassen Sie sich nicht von der schwächlichen Statur täuschen (etwa 6 Teilchen pro Kubikzentimeter in Erdbahn-Nähe), welche manche Leute dazu verleitet, den Sonnenwind als “Gas” zu bezeichnen. Machen Sie nicht denselben Fehler! Er ist weder ein Feststoff, noch eine Flüssigkeit, noch ein Gas. Er ist ein Plasma, ein vierter Aggregatzustand. “Gas”. Pfft.
Sonnenwind – zerissene Geburt, heiße Kindheit, kaltes Exil
Beleuchten wir vor dem großen Kampf den turbulenten Werdegang des lange Zeit unterschätzten Kämpfers beleuchten:
Bevor der Sonnenwind zum Sonnenwind wurde, war er ein Teil der Sonne:
Die Sonne ist so heiß und stößt soviel Strahlung aus, mit anderen Worten Atome werden so voller Energie gepumpt, dass es sie schier zerreißt (die Atome werden ionisiert). Es verbleibt ein positiver Atomkern (Ion) und die negativ geladenen Elektronen (Der Sonnenwind besteht vor allem aus Protonen, Elektronen und einem geringen Anteil Helumkernen). Plasma wird geboren.
Nach dieser dramatischen Geburt wird es nicht unbedingt besser. Nicht jedem Kind der Sonne ist es vergönnt, in der feurigen Wiege (Oberflächentemperatur der Sonne: etwa 6000 K, in der Korona dem äußersten Kranz der Sonne sogar bis zu 1-2 Million K) zu verbleiben. Die Sonne, dieses kaltherzige Biest (die Sonne ist tatsächlich im Inneren kühler als am äußersten Rand), stößt ständig Plasma von sich in den kalten, leeren Weltraum. Mal gleichmäßig, mal in Schüben (Sonneneruptionen, koronaler Massenauswurf). So leer und einsam ist es im All, dass die armen auseinander gerissenen Atombruchstücke noch nicht mal Trost in einer gegenseitigen Umarmung finden (Wegen des Vakuums sind die Teilchen derart stark verteilt, dass sie sich die allermeisten nicht gegenseitig zu einem ganzen Atom vervollständigen können.) Das verstoßene Plasma wird zum Wind zwischen den Planeten.
Elektrische Ladung: Die Quelle der Sonnenwind-Macht
Doch die Einsamkeit des Sonnenwindes ist gleichzeitig die Quelle seiner Macht: Die Macht des Elektromagnetismus.
Bild: Sonne, Erde, Polarlicht. Die Wechselwirkung elektrisch geladener Teilchen mit dem Magnetfeld der Erde, erzeugt die allseits beliebten Polarlichter.
Die Ladung des Sonnenwindes eröffnet ihm eine Welt, die für Sie, werte Damen und Herren, unsichtbar ist: Die wunderbare Welt der Magnetfelder. Und was macht eine echte Kämpfernatur mit einem sich darbietenden Hindernis?
Genau! Immer feste druff!
So kann es passieren, dass der Sonnenwind das Erdmagnetfeld als Sandsack verwendet. Aber was red ich hier? Bilder sagen mehr als tausend Worte. Werden Sie also selbst Zeuge der geballten elektromagnetischen Kraft des Sonnenwindes:
Vorne wird das Magnetfeld zusammengedrückt, hinten wird es auseinandergezogen, Magnetfeldlinien reißen auseinander, schnellen wie ein Gummiband zurück, reißen geladene Teilchen mit sich, die dann über die Pole sich am Magnetfeld vorbei in die Erdatmosphäre mogeln und dort Polarlichter erzeugen: Der Sonnenwind schießt der Erde sozusagen von hinten, durch die Brust, ins Auge. Bewundernswert! Das soll ihm mal einer nachmachen. Und hübsch ist es auch noch.
Wenn der Sonnenwind Sandsack mit dem Erdmagnetfeld spielt.
Leider, leider muss ich zugeben, dass der Sonnenwind, wenn er mal besonders aufbrausend ist, uns Erdlingen ganz schön zusetzen kann. Insbesondere seit wir im elektronischen Zeitalter leben.
Preisfrage: Was passiert mit elektrischen Leitern (z.B. in denen eines Handys), wenn etwas das Magnetfeld so richtig schön bearbeitet? Sich dieses also innerhalb kurzer Zeit sehr stark verändert?
Antwort: Im Extremfall gehen hier auf der Erde die Lichter aus.
Im März 1989 hatte der Sonnenwind den Stromwerken in Quebec gezeigt, was eine Harke ist und die Stromversorgung für 9 Stunden unterbrochen.
(Induktion ist hier das Zauberwort. Es wird ungebetener Strom erzeugt und fließt da, wo er gar nicht fließen sollte. Im März 1989 führte Wechselwirkung zwischen einer Wolke aus solarem Plasma mit dem Erdmagnetfeld zu Strömen in Hochspannungs-Transformatoren in Kanada, die daraufhin durchschmorten. Die gesamte Stromversorgung der kanadischen Provinz Quebec war betroffen.)
Der Sonnenwind, auch wenn er die meiste Zeit lediglich mit der Erde spielen will, sollte nicht unterschätzt werden. Wenn er mal so richtig lostobt, dann wird das unseren elektrischen Geräten ganz und gar nicht gut tun. (Carrington-Ereignisse haben durchaus das Potential großen Schaden anzurichten. Auf elektrische Geräte, Stromversorgung usw. Nicht auf Menschen. Dafür sind die Magnetfelder und Ströme dann doch zu schwach, als dass der Mensch davon irgendwas merkt.)
Schaut, was kommt von draußen rein? Kosmische Strahlung!
Jetzt allerdings wird es Zeit für den Herausforderer. Sie kommt aus den Weiten des Weltalls, sie kann beinahe Lichtgeschwindigkeit erreichen, sie lässt die Teilchenphysiker am CERN vor Neid verblassen (Es wurden schon Teilchen mit mehr als 100 Millionen Billionen Elektronenvolt aufgezeichnet. Also das schlappe 10 Millionen-fache, was am CERN erreicht werden kann.)
Meine Damen und Herren, hier kommt diiiieeeee Kosmische Straaaaahluuuung. (2)
Der Werdegang dieses Gegners ist teilweise ein Geheimnis. Einige Teile seiner Biographie weisen verblüffende Parallelen zum Sonnenwind auf. Auch hier wurde Plasma aus ihren stellaren Wiegen verstoßen. (Es gibt da draußen ja noch andere Plasmaquellen sprich Sterne; von denen viele weitaus heftiger blasen als unsere Sonne. ). Aber einige Kapitel bergen ein düsteres Geheimnis: Tod, Verderbnis und ein letztes Aufbäumen. (Besonders energereiche subatomare Teilchen werden vermutlich von den besten Teilchenbeschleunigern des Universums erzeugt: Supernovae d.h. sterbenden Sternen. )
Bei der Kosmischen Strahlung handelt es sich um einen scheinbar übermächtigen Gegner: Allumfassend, teilweise weitaus stärker da energiereicher. Wir sehen hier also einen veritablen Kampf “David gegen Goliath”, meine Damen und Herren.
Lasst das Match beginnen! Kosmische Strahlung trifft auf Sonnenwind
Und doch! Es gelingt dem Sonnenwind seit Jahrmilliarden sich gegen den Ansturm der Kosmischen Strahlung zu stemmen und eine regelrechte Blase zu bilden: Die Heliosphäre.
Dafür sollten wir dankbar sein, denn da wo der Sonnenwind lediglich dagegen haut, schlägt die Kosmische Strahlung glatt durch. (Für Strahlung gilt: Je energiereicher sie ist, desto gefährlicher ist sie. Daher ist die Kosmische Strahlung ein besonders großes Problem für die bemannte Raumfahrt. Chromosome 2 ein europäisches Experiment auf der ISS untersucht die Strahlungbelastung für die Astronauten, die 1000fach gegenüber den reinen Erdbewohnern erhöht ist. Sonnenwind lässt sich im Allgemeinen mit einer Panzerung aufhalten. Hochenergetische Strahlung nicht, die geht einfach durch. Nicht falsch verstehen! Sie schlägt keine Löcher ins Metall; es handelt sich immer noch um subatomare Teilchen. Aber Schäden an DNA-Strängen, die gibt es. )
Aber, was muss ich da sehen? Die Kosmische Strahlung hat es irgendwie geschafft, teilweise die Deckung zu umgehen. (Auch die beste “Blase” ist nicht wirklich dicht, “irgendwie” (3) schaffen es einige Teilchen von außerhalb sich dennoch am Sonnenwind vorbeizumogeln. Man kann sich auch vorstellen: Je stärker der Sonnenwind bläst, desto größer und stabiler ist die Blase. )
Kosmische Strahlung gegen Sonnenwind – ein Hin- und Her im 11 Jahres-Rhythmus
Gerade heute ist es besonders schlimm. Unser Sonnenwind macht derzeit eine Schwächeperiode durch. Alle 11 Jahre lassen die Kräfte nach und er braucht ein wenig um wieder auf Touren zu kommen. Der derzeitige Schwächeanfall ist aber besonders stark und dauert ungewöhnlich lange an. Das sind wir von unserem Champion gar nicht gewohnt. (Der Sonnenwind bläst nicht gleichmäßig, sondern wird im 11-Jahresrhythmus mal stärker und mal schwerer. Weil die Sonne selbst mal aktiver und mal weniger aktiv ist. Derzeit herrscht eine kräftige Flaute, die ungewöhnlich lange anhält. Dementsprechend gewinnt die Kosmische Strahlung in diesem Kräftemessen gerade ein wenig an Boden. Aber das wird nicht anhalten. Innerhalb der nächsten Jahre sollte die Sonne wieder aktiver werden und mehr Plasma in den Raum schleudern. Die schützende Blase also sozusagen weiter ausbauen. )
1991 – Ein ungewöhnliches Plasma-Ereignis mit ungewöhnlichen Zuschauern
Aber lassen Sie uns noch mal ins Jahr 1991 gehen. In diesem Jahr begann die Kraft des Sonnenwindes gerade erst nach der Hochphase 1989 zu schwinden. Die Kosmische Strahlung gewann an Stärke.
Doch so ohne Weiteres zog sich der Sonnenwind nicht zurück. Die Sonne kam ihren verstoßenen Kindern zu Hilfe und zückte eine Geheimwaffe. Sie schoss ultraschnelle croissantförmige Wurfgeschosse ab (4). (Genauer gesagt, speite die Sonne Plasma in Form Koronaler Massenauswürfe oder kurz CMEs aus. Oder sollte ich sagen, die Sonne kotzte sich richtig schön aus? 😉)
Glaubt Ihr nicht? Na dann seht mal gut hin:
Diese Wurfgeschosse sind nicht nur geladen, sie haben einen ganz besonderen Clou. Sie sind auch magnetisch und schmettern einen Teil der Kosmischen Strahlung ab, die es geschafft hat, in die Heliosphäre einzudringen. (CMEs entstehen, weil sich Magnetfeld-Linien auf der Sonne einschnüren und dann abreißen. Dabei wird zum einen sehr viel Energie frei, was Plasma mit Spitzengeschwindigkeiten von etwa 800 km/s in den Raum katapultiert. Außerdem sind in dem Plasma die abgerissenen Magnetfeldlinien als Schlaufe drin “festgeklebt. Das ermöglicht es CMEs Kosmische Strahlung abzulenken.)
Im Jahr 1991 waren wir in der einzigartigen Lage, Beobachtungsposten da draußen zu haben, mit denen wir uns das Ganze mal genauer ansehen konnten. Also dann, meine Damen und Herren, begleiten Sie mich auf eine Reise in die Vergangenheit:
11. Juni 1991, Sonne: Die Sonne stößt den CME ins Weltall.
12. Juni 1991, Erde: Der CME passiert die Erdbahn, trifft diese aber wohl nicht. Aber im Kielwasser des Plasma-Croissants fällt die gemessene Kosmische Strahlung um etwa 20 % ab. (Dieser abnormale Abfall in der Kosmischen Strahlung in Folge eines CME nennt sich Forbush-Ereignis, nach dem Forscher der das Phänomen entdeckte.) Gemessene Geschwindigkeit des CME? Spitzenwerte von 820 km/s.
Damit verlässt der CME heimische Gefilde. Es wird daher Zeit an unsere Korrespondenten im Weltall zu übergeben: Voyager1, Pioneer 10 und Pioneer 11.
21. August 1991, 34 Astronomische Einheiten von der Sonne entfernt: Pioneer 11 hatte vor über einem Jahr den Neptun passiert und hat damit eigentlich eine lange und erfolgreiche Forschungsreise abgeschlossen. Aber an den Ruhestand ist noch nicht zu denken. Daher zeichnet auch Pioneer 11 auf, als das CME seine Position passiert. Auch hier zeigte das Geschoss Erfolg: Die Kosmische Strahlung fiel plötzlich ab.
14. September 1991, 46 Astronomische Einheiten von der Sonne entfernt: Voyager 1 befindet sich zu dem Zeitpunkt, nachdem sie Saturn passiert hat, auf der interstellaren Mission. Dieser Beobachtungsposten sieht zwar nichts vom CME, wird aber Zeuge des Kollateralschadens: Voyager 1 registriert eine Schockwelle im Fahrwasser des CME. Denn dummerweise wirkt das Wurfgeschoss nicht nur auf Kosmische Strahlung. CMEs sind schneller als der “normale Sonnenwind”. Wenn ein CME diesen einholt, schiebt er ihn komprimiert vor sich her und beschleunigt ihn sogar. (Das nennt sich dann ein Protonen-Sturm.) Für Astronauten ist das auch nicht so toll. Klasse, oder? CMEs können einerseits gefährliche Kosmische Strahlung abmildern, dafür aber ebenso gefährliche Protonenstürme auslösen. Tja, keine Waffe ohne Kollateralschäden.
30. September 1991, 53 Astronomische Einheiten von der Sonne entfernt: Noch ist Pioneer 10 der am weitesten entfernte Beobachtungsposten. Aber siehe und staune, auch hier beobachtet die Sonde einen Abfall von 20% in der Kosmischen Strahlung.
Sagte ich es nicht? Eine echte Geheimwaffe mit Langzeitwirkung gegen Eindringlinge von außen.
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(1) Ja, ja, so sind sie die Leute aus dem Ruhrpott.
(2) Leider, leider wird Kosmische Strahlung gerne mit Sonnenwind in einen Topf geworfen und dann für das, was ich als Kosmische Strahlung bezeichne, der Begriff galaktische Kosmische Strahlung verwendet. Was ich für sehr verwirrend und missverständlich halte. Auch in der Literatur ist es nicht ganz eindeutig, was die Leute mit “cosmic rays” meinen.
(3) Das schlabber ich jetzt ein wenig, der Text wird sonst noch länger und es ist schon ziemlich schwierig.
(4) Da Georg in Paris lebt, passt das mit den Croissants wunderbar. Auch wenn ich französische Croissants nicht als Wurfgeschosse verwenden würde. Dazu sind sie zu lecker.
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Van Allen, J., & Fillius, R. (1992). Propagation of a large Forbush decrease in cosmic‐ray intensity past the Earth, Pioneer 11 at 34 AU, and Pioneer 10 at 53 AU Geophysical Research Letters, 19 (14) DOI: 10.1029/92GL01445
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