Was Jared Diamond mit voller Absicht übersprungen hat, dem widmete sich ganz bewusst Josef H. Reichholf. Wie kam der Mensch zum Ackerbau?
Für dieses Sachbuch vergebe ich 8 von 10 Sternen.
Ich habe zwei Anläufe gebracht, um das Buch durchzulesen. Vielleicht lag es an mir, aber mir erschien es gerade am Anfang stellenweise sehr trocken und leider auch etwas langatmig.
Ich bin dennoch froh, es noch einmal in die Hand genommen zu haben. Denn gerade die letzten Kapitel haben es “in sich” und machen das Buch schon wieder lesenswert. Dennoch hätte ich mir gewünscht, der Autor wäre früher zur Sache gekommen.
Josef Reichholf tritt mit dem Ziel an “zu erklären”, warum der Ackerbau erfunden wurde. Bevor er allerdings seine Grundthese ausbreitet, legt er in aller Ausführlichkeit dar – für meinen Geschmack sogar viel zu ausführlich -, wie der Mensch zum Menschen wurde.
Er beginnt mit der Beschreibung des Homo Sapiens als eiszeitliches Raubtier. Hier liegt der Schwerpunkt der Beschreibung eindeutig auf der Ökologie.
Er springt dann zu den noch weiter zurückliegenden Ursprüngen in der tropischen/subtropischen afrikanischen Savanne und erklärt, wie Evolution auf längere Zeiträume wirkt. Wobei er hier die These vertritt, dass nicht Mangel an Lebensraum (das Schrumpfen der tropischen Wälder) den Menschen in die Savanne und damit zum aufrechten Gang trieb, sondern eher umgekehrt der Überfluss an tierischem Großwild das Experiment Mensch erst ermöglichte. Die Evolution hätte demnach eher als Spiel denn als Trieb oder Zwang gewirkt.
Der Autor springt dann wieder in die Eiszeit zurück und beschäftigt sich dabei insbesondere mit den körperlichen Eigenarten des Menschen im Vergleich zu anderen Tierarten. Unter anderem die Fähigkeit, die Farbe Rot von Grün zu unterscheiden, hat es dem Autor besonders angetan. Das ist im Reich der Säugetiere nämlich eher die Ausnahme der Regel.
Erst dann nähert er sich dem Thema “neolithische Revolution” mit der Domestizierung des Hundes. Vom bloßen Mitesser zum Jagdgefährten und Hirtenhund. Erst jetzt kriegt der Autor auch die Kurve, um zu erläutern, warum der Mensch Ackerbauer wurde. Obwohl es doch “scheinbar” keinen guten Grund dafür gab.
Ich will hier nicht vorgreifen und den Clou verraten. ich finde jedenfalls die These des Autoren recht interessant und sie löst tatsächlich einige “Probleme” vom Übergang des Jäger- und Sammler-Daseins zum Ackerbau.
Im Abschluss bekräftigt der Autor nochmals, dass des Leser keine seiner Darstellungen einfach “glauben” soll. Er stelle lediglich seine Indizien und seine Gedanken dazu dar, weist darauf hin, dass es sicherlich noch Lücken und wohl auch Widersprüche geben könnte. Er nimmt nicht mal in Anspruch “die” richtige Erklärung gefunden zu haben. Er stelle seine Thesen eher als Diskussionsanregung sehen zu wollen. Zur Erweiterung des Blickwinkels.
Zum Schluss weist er noch mal auf etwas Wichtiges hin, was sich auch bei Jared Diamond findet: Not macht in den seltensten Fällen wirklich erfinderisch. Sie wirkt eher konservierend und stabilisierend. Auch ist in den wenigsten Fällen abzusehen, wie sich eine Erfindung im Alltag bewährt. Oft genug werden bestimmte Kulturgegenstände mal so und mal so genutzt. Hätte irgendjemand vor tausenden von Jahren die Nutzung von Getreide als Bioethanol d.h. Treibstoff von Motoren vorhersehen können?
Es scheint in der Geschichte auch eher der Überfluss zu sein, der Experimente zulässt, die auf den ersten Blick nutzlos erscheinen mögen. Die sich aber dann auf lange Sicht unheimlich bezahlt machen.
Mir fiel auf, dass der Autor sich bemüht das Prinzip Evolution zu erklären und Missverständnisse aufzuklären.
Ein wichtiges Zitat des Buches will ich hier wiedergeben:
Evolutionäre Änderungen geschehen per Zufall. Die natürliche Selektion lenkt sie sodann in eine bestimmte Richtung.
Die Richtung ist der Fortpflanzungsvorteil, egal wie die Selektion im Detail vonstatten geht. Änderungen, die irgendwie im Konkurrenzspiel des Lebens dazu beitragen, dass in den kommenden Generationen die Zahl der Individuen mit den veränderten Genen eine stabile Population bilden, setzen sich durch. Das kann eine Nahrungsnische sein, die bislang relativ unbesetzt ist. Das kann eine bessere “Waffe”, eine dickere Panzerung, eine für das andere Geschlecht attraktive Eigenschaft, eine hohe Zahl an Nachkommenschaft oder die schiere Größe sein, welche die Art für Raubtiere unangreifbar macht.
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