Wie bereits Florian angekündigt hat, wird heute abend gegen 21:55 MEZ die europäische Raumsonde Mars Express an dem Marsmond Phobos vorbeifliegen.
Hier möchte ich mal erläutern, was das Mars-Express-Radioscience-Team (MaRS) unter der Ägide von Martin Pätzold vom Rheinischen Institut für Umweltforschung, Abteilung Planetenforschung an der Uni Köln dabei eigentlich misst und was wir uns von dieser neuen Messung erhoffen. Auch wenn ich mit meiner Arbeit nicht direkt mit Radioscience zu tun habe, so hab ich schon genügend Einblicke um ein bisschen aus dem Nähkästchen zu plaudern. Mein Chef selbst wird sich vermutlich auf dem eigens dafür eingerichteten Mars Express Blog äußern.
Bild (ESA): Der elliptische Orbit von Mars Express kommt der Bahnebene von Phobos zwischendurch sehr nahe.
Schwieriges Rendezvous zwischen zwei Flitzern – möglichst voll beleuchtet
Dennoch ist es nicht ganz einfach, die Raumsonde und den Marsmond so zu timen, dass sie sich nahe genug für Messungen kommen.
Phobos ist ein schneller Flitzer. Er braucht etwa 7 Stunden und 39 Minuten für einen Umlauf in etwa 900 km Höhe. Theoretisch könnte man also auf dem Mars dreimal täglich diesen Mond auf- und untergehen sehen. Mars Express selbst ist auch nicht gerade langsam unterwegs. Die Sonde braucht weniger als 7 Stunden für einen kompletten Umlauf um den Mars. Der Abstand zum Mars variiert dabei zwischen 250 und 11 500 km. Die Bahn ist also stark elliptisch. Da man möglichst viel von der Marsoberfläche abdecken will, dreht sich die Ellipse über dem Mars, so dass man immer leicht unterschiedliche Gebiete überfliegt. Außerdem sollte die Begegnung zwischen Sonde und Mond möglichst bei Sonnenlicht stattfinden, weil dann die Sonnenkollektoren den maximalen Saft für die Messgeräte liefern können. Dann bitte möglichst auf mindestens 100 km herankommen, aber nicht so nahe, dass man die Sonde auf Phobos zerlegt. Übrigens ist Phobos ein recht kleiner Körper. Geformt wie eine unregelmäßige Kartoffel misst er etwa: 27 km x 22 km x 19 km.
Bild (ESA, Mars Express, DLR, HRSC): Nahaufnahme des Objektes der Begierde. Gut zu erkennen ist der Stickney-Krater, der zu Ehren von Chloe Angeline Stickney Hall, der Frau des Mond-Entdeckers Asaph Hall, benannt wurde. Warum? Nach den Memoiren des Herrn Hall stand dieser kurz davor, die Suche nach Marsmonden aufzugeben. Nachdem seine Frau ihn getreten ermutigt hat, seine Suche fortzusetzen, gelang ihm dann schließlich doch die Entdeckung.
Rendezvous mit Funkkontakt
Waren das alle Rahmenbedingungen? Nein. Eine wichtige habe ich noch gar nicht erwähnt, die gerade für das Radioscience-Team von entscheidender Bedeutung ist: Der Funkkontakt zwischen Erde und Sonde darf während des Vorbeifluges möglichst nicht abreißen. Genau das aber “drohte” uns. Es gab tatsächlich die Möglichkeit, dass Phobos selbst während des Vorbeifluges zwischen die Erde und die Sonde kommen und so den Funkkontakt blockieren würde. Das hat sich glücklicherweise erledigt.
Denn die Radiowellen brauchen wir, um die Postion und Geschwindigkeit von Mars Express zu überwachen. Und warum tun wir das? Weil wir Folgendes erwarten:
Bild (ESA): Die weißen Punkte stellen die Bahn von Mars Express im reinen Schwerefeld des Mars dar. Die roten Punkte stellen (völlig übertrieben, in Wahrheit ist die Abweichung gering) die Bahn von Mars Express dar, weil die Sonde auf die zusätzliche Anziehungskraft von Phobos reagiert.
Tatsächlich sieht man einen ähnlichen Effekt, das Ablenken von Körpern aufgrund der zusätzlichen Gravitationskraft eines anderen Körpers, in den Saturnringen:
Wenn Ihr mal in dem Bild oben herumscrollt, seht Ihr den Saturnmond-Prometheus, der aufgrund seiner Gravitationskraft kleine Dellen in einem der Saturn-Ringe auslöst. Die Dellen sind weiter oben im Ring recht gut auszumachen. (1)
Mit dem Dopplereffekt dem Einfluss von Phobos auf der Spur
Die Ablenkung der Sonde spiegelt sich sofort in den ausgesandten Radiowellen wider, denn auch diese unterliegen dem Dopplereffekt:
Daraus können wir dann ableiten, wie stark Phobos über die Gravitation Mars Express abgelenkt hat und kriegen so direkt zunächst einmal die Masse heraus. Auf diese Art und Weise konnten wir vor einiger Zeit den Wert sehr genau bestimmen. Da wir inzwischen das Volumen kennen, lässt sich daraus schon mal die mittlere Dichte berechnen und was über die Zusammensetzung sagen. Um es kurz zu machen: Eine Raumstation ist es schon mal nicht. Die Dichte passt eher zu einem Asteroiden.
Hohl? Dichter Kern oder Geröllhaufen? – Blick unter Phobos Oberfläche
Heute allerdings stecken wir unsere Ziele noch ein wenig höher. Wir wollen nicht nur die Masse herauskriegen, sondern ein bisschen im Gravitationsfeld lesen. Wie das geht, habe ich in diesem Blog schon mal vorgestellt: Lesen in einem Graviationsfeld – Teil 2.
Denn wenn man nahe genug herankommt – und wir sind mit 77 km Abstand zum Massezentrum ziemlich nah dran – dann “merkt” man nicht nur die Gravitationskraft des gesamten Körpers, sondern dass sich die Masse über einen gewissen Bereich erstreckt.
Man sieht schon anhand der Bilder, dass Phobos keine Kugel ist. Allein deswegen macht es einen Unterschied, ob man sich dem Körper von der länglichen oder eher der abgeplatteten Seite nähert. Es ist die gleiche Masse, aber die Abstände zu den einzelnen Elementen, welche die Masse zusammensetzen, ist anders. Da die Gravitationskraft mit dem Abstand abnimmt, merkt man den Unterschied bei genügend hoher Messgenauigkeit und geringer Distanz.
Dank der HRSC-Kamera der Berliner Kollegen haben wir eine gute Karte der Oberfläche und so sollte sich der Effekt aufgrund der Form herausrechnen lassen. Im nächsten Schritt “sehen” wir dann in das Innere. Nämlich wie die Masse dort verteilt ist. Ist die Masse auf einer Seite z.B. konzentrierter als woanders, dann würde dieser Bereich auch besonders stark an der Sonde ziehen, wenn man darüber hinwegfliegt.
Wir sollten zumindest die allererste Näherung dieser Masseverteilung herausbekommen: Das so genannte normierte Trägheitsmoment. Bereits das sagt uns schon einiges über das Innere eines Körpers aus.
Egal ob Phobos hohl ist, einen Kern hat oder eher einem schwach zusammenpappenden Geröllhaufen mit mehr oder weniger konstanter Dichte entspricht, bereits dieser Wert verrät uns das.
Wie gesagt, wenn alles gut läuft…
Wir werden heute abend jedenfalls unsere “Ohren” spitzen.
Bild (ESA): 40 Meter Radiosation des Observatorio Astronómico Nacional en Yebes. Mit solchen Antennen lauschen wir auf die Signale von Mars Express, um daraus das Geheimnis des Marsmondes Phobos herauszufinden.
Wer’s superaktuell haben will, die ESA twittert: ESA Operations
P.S.: Bilder wird es übrigens während des Vorbeifluges keine geben. Die Kamera wird nur die unbeleuchtete Seite des Mondes zu Gesicht kriegen. Außerdem flitzt Mars Express recht schnell am Mond vorbei, so dass es sowieso sehr schwer gewesen wäre, Aufnahmen zu machen. Letztendlich musste man sich entscheiden. Bilder oder Radioscience-Messungen. Nebenbei messen auch noch zwei andere Experimente. ASPERA wird sich die Erosion des Mondes aufgrund von Sonnenwind ansehen und MARSIS, das Radarexperiment, wird die oberen Mondschichten sondieren. Raumsonden sind eben nicht nur für “hübsche Bildchen” gedacht, sondern zuallerst mal für Wissenschaft. Und die kommt nun mal in verschiedenen “Geschmacksrichtungen” daher 😉 Auch wenn natürlich Bildchen besser zu verkaufen sind, weil man da nicht viel erklären muss.
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(1) Hier ist die Situation ein wenig komplizierter als bei Mars Express und Phobos. Die Ringe setzen sich aus sehr vielen Teilchen zusammen, die leicht unterschiedliche Distanzen zu Prometheus haben, also unterschiedlich stark abgelenkt werden. Gleichzeitig sind sie aber immer noch so dicht gepackt, dass sie miteinander interagieren. Deswegen läuft in diesem Fall die Störung als Welle durch den Ring hindurch und befindet sich auf dem Bild von uns aus gesehen hinter dem Auslöser.
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