Und wieder lockt das Gliese-581-System mit fernen vielleicht bewohnbaren Gestaden. Dieses Jahr ist Gliese-581-g die belle-de-jour, die feucht-warme Träume auslöst. Aber wie das so bei allzu wilden Partys ist: Der Katzenjammer könnte dafür umso größer sein.
Zunächst einmal ein bisschen Hintergrund-Infos.
“Feucht” ist hier durchaus wortwörtlich zu nehmen. Alles dreht sich um Planeten in so genannten “habitablen Zonen”, wobei einige Astronominnen(1) das Wort “habitabel” sehr großzügig auslegen. Es handelt sich hier um eine Zone, in der rein aufgrund der Einstrahlung des Zentralsterns ab und an zumindest rein grundsätzlich nichts dagegen spricht, dass es auf dem Körper zumindest zeitweise flüssiges Wasser gibt. Nicht mehr und nicht weniger. Es ist noch keine Eigenwärme des Planeten berücksichtigt, keine Atmosphäre und sein Alter auch noch nicht. Es handelt sich hier um ne grobe pi-mal-Daumen-Abschätzung. Und selbst die ist nicht unumstritten. Ich hatte schon 2009 beim letzten “habitabler Planet”-Hype drüber gebloggt. Jedes Mal geht dieselbe Diskussion von vorne los, die immer denselben Verlauf nimmt:
“Unser Planet ist habitabel. Macht schon mal den Champagner auf!”
“Na ja, nicht wirklich”
“Doch, wenn man das und das annimmt, dann…”
“Na, schau’n wir mal. Kann ja sein, aber ein bisschen mehr wär schon ganz nett”.
(…Grillen-Gezirpe…)
Ob der Planet wirklich habitabel ist, das muss im Detail betrachtet werden und ist schon für unser eigenes Sonnensystem nicht ganz so einfach zu beantworten. (2)
Wie großzügig dieser Begriff ausgelegt wird, erkennen wir alleine daran, wie oft in ein und demselben System – nämlich dem Gliese-581 – “Super-Erde in einer habitablen Zone”-Alarm ausgelöst wurde.
2007: Erstmals lebensfreundlicher Planet entdeckt. Da ging es um Gliese 581 c: ein etwa 5 Erdmassen-Planet in einem Abstand von 0.07 AE und einer Umlaufperiode (sprich Jahr) von etwa 13 Tagen.
2009: Exoplanet befindet sich in bewohnbarer Zone. Da ging es um Gliese 581 d: ein etwa 7 Erdmassen-Planet in einem Abstand von 0.22 AE und einer Umlaufperiode von 66 Tagen.
Bei jeder dieser Entdeckungen raste die “Zweite Erde? Leben? Aliens? Wann nehmen wir endlich Kontakt auf? Und wo ist eigentlich der intergalaktische Begrüßungscocktail?”-Welle um die einzige Welt, von der bislang wissen, dass sie Leben und – möglicherweise – sogar intelligente Wesen beherbergt.
Apropos…Das ganze Geschrei macht mich durstig. Wo ist mein pangalaktischer Donnergurgler?
Mal wieder ein “Zweite-Erde-um-Gliese-581-Hype”. *seufz*
2010: Nun eben Gliese 581 g: Vermuteter etwa 3 Erdmassen-Planet in einem Abstand von 0.14 AE und einer Umlaufperiode von 37 Tagen.
Die Medienresonanz in den letzten Wochen war wie gewohnt:
- Neue Heimat? – Süddeutsche Zeitung
- Ein Planet in lebensfreundlicher Bahn entdeckt – FAZ
- NASA findet “bewohnbaren” Planeten – N24
- Auch Florian hat sich der Sache angenommen, aber deutlich zurückhaltend. Gliese 581 g, der erste habitable Planet?
Hatte ich eigentlich erwähnt, wie sehr und warum mich dieses “zweite-Erde-Geschrei” nervt, das schon beim kleinsten Anzeichen eines Hauchs einer Möglichkeit von Chancen für Entstehung von zumindest einzelligen Organismen losgeht? Ach ja, hat ich. Schon vor Jahren.
Tja und dann hat sich Steven Vogt wohl von seiner Begeisterung hinreißen lassen und in einer Pressekonferenz scheinbar folgenden verhängnisvollen Satz von sich gegeben.
“Die Chancen für Leben auf diesem Planeten sind 100 Prozent”
Okayyy…Vielleicht ist er ja falsch übersetzt worden. Bitte, bitte, lass das falsch übersetzt sein. Lasst uns doch mal sehen, was er so gesagt hat.
“Personally, given the ubiquity and propensity of life to flourish wherever it can, I would say, my own personal feeling is that the chances of life on this planet are 100 percent,” Vogt said at a press briefing. “I have almost no doubt about it.” Daily Maverick
Immerhin ist der Kollege Paul Butler wohl direkt dazwischen gegangen und hat das Ganze relativiert. Zwar hat Herr Vogt klargestellt, dass das nur seine persönliche Meinung ist, aber mal im Ernst: Wie kann sich ein intelligenter Mensch dazu hinreißen lassen, so einen groben unwissenschaftlichen Unfug auf einer Pressekonferenz von sich zu geben?
100%-Chance gibt es gar nirgends. Schon gar nicht auf so nem Gebiet wie “Wie entsteht eigentlich Leben?” Das ist ja schon hier auf der Erde die große Preisfrage und der will auf nem fernen Planeten die 100%-Chance ausgemacht haben, von dem er nicht viel mehr als die Masse und die Position relativ zum Zentralstern wissen will? Begeisterung und Entdeckerstolz schön und gut aber das war nur saudämlich. Dummerweise sind die dämlichsten und unwissenschaftlichsten Aussagen die langlebigsten. Ich freu mich schon jetzt in den nächsten Jahren, auf die “100%ige Wahrscheinlichkeit für Aliens” angesprochen zu werden. Vielleicht sag ich einfach, dass Herr Vogt einen intergalaktischen Cocktail zu viel intus hatte.
Bild (Künstlerische Darstellung des Gliese 581 Systems in Vergleich zum Sonnensystem. Verfremdung meinerseits enthalten): Nächster Halt, Gliese 581 g?
Es wird mal Zeit für einen Zwischenstand. Also wir haben ein System in gerade mal 20 Lichtjahren Entfernung, in dem wir inzwischen einige Planeten nachweisen konnten. Gliese c und Gliese d befinden sich am Rand von etwas, das sehr großzügig als “habitable Zone” ausgelegt wird. Seit kurzem behaupten einige amerikanische Forscher in der Mitte dieser Zone einen weiteren kleinen Planeten ausgemacht zu haben. Sollen wir schon mal Reisepläne schmieden?
Mehr dazu morgen, wenn es heißt: Vielleicht hätte ein gewisser Astronom den Mund nicht so voll nehmen sollen.
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(1) Ich versuch das mal! Alle Berufsbezeichnungen ins Weibliche zu setzen. Die Männer können sich jetzt einfach mal eingeschlossen fühlen. Schließlich kommt kein halbwegs vernünftiger Mensch auf die Idee, dass das Astromomentum fest in Frauenhänden ist. Wobei der Frauenanteil unter den Planetenforscherinnen meinem Eindruck nach tatsächlich recht hoch ist. Also im Vergleich zu anderen Fachbereichen. Und ich werde diesbezüglich hier keine Diskussion ausfechten. Das Thema sind “Super-Erden”.
(2) Natürlich steckt der Teufel im Detail. Das sehen wir bei uns im Sonnensystem am Trio Venus/Erde/Mars. Alle drei Planeten würden grundsätzlich in dieser habitablen Zone unseres Zentralsterns liegen. Nur die Erde beherbergt Leben – zumindest so weit wir wissen. Die Venus ist inzwischen ein bisschen sehr heiß für Wasser, war aber in ferner Vergangenheit wahrscheinlich nicht ganz so lebensfeindlich.
Der Mars ist zwar heute ziemlich ausgetrocknet. Das war aber nicht immer so. Hier wissen wir – diversen Marsorbitern und Marsrovern sei dank – dass es vor Milliarden von Jahren viel Wasser gab. Damals hätten wir den Mars also durchaus als grundsätzlich lebensfreundlich ansehen können.
Übrigens, bei SpON hab ich bei der Diskussion um die Bewohnbarkeit von Gliese 581d folgendes gefunden: “Ein Gutachten des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) brachte allerdings Ernüchterung: Auf dem neu entdeckten Himmelskörper sei es zu warm für die Entwicklung von Leben, erklärten die Forscher. “ Ja, klar. Das PIK stellt Gutachten in Sachen Habitabilitiät ferner Planeten aus und Reiseinfos gibt’s beim Auswärtigen Amt.
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Vogt, S., Butler, R., Rivera, E., Haghighipour, N., Henry, G., & Williamson, M. (2010). THE LICK-CARNEGIE EXOPLANET SURVEY: A 3.1
PLANET IN THE HABITABLE ZONE OF THE NEARBY M3V STAR GLIESE 581
The Astrophysical Journal, 723 (1), 954-965 DOI: 10.1088/0004-637X/723/1/954
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