Fotograf: Lakey, Die Pythagoras-Statue auf der griechischen Insel Samos.

Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich nicht viel über Pythagoras wusste, bevor ich Kitty Fergusons Buch in die Hand nahm. Natürlich war mir der Satz von Pythagoras ein Begriff. Aber ich wusste nicht, dass dieser wahrscheinlich nicht von Pythagoras bzw. nicht von ihm als erstes entdeckt wurde. Den Ägyptern und Babyloniern war der Satz auf jeden Fall schon früher bekannt. Vielleicht hat er es von ihnen übernommen? Nach einigen ernstzunehmenden Quellen soll er sich im nahen Osten zwecks Weiterbildung aufgehalten haben. Aber auch das ist bestenfalls eine halbwegs glaubhafte Vermutung und es ist auch nicht gesagt, dass das Wissen um den Satz des Pythagoras nicht zwischenzeitlich verloren ging und wieder neu entdeckt wurde und im nach hinein Pythagoras angedichtet wurde.

Tja und damit kommen wir zu dem Kern des Problems, wenn mensch sich mit Pythagoras beschäftigen will. Es sind nur einige wenige Eckdaten bekannt. Wirkungszeit: Im 6. Jahrhundert vor Christus, Geburtsort: Samos, Wirkungsstätten: Auf jeden Fall Samos und Kroton (Unteritalien). Tod? Wohl in Metapontion. Obwohl auch erzählt wird, er wäre Unruhen in Kroton zum Opfer gefallen. Relativ sicher ist wohl, dass er in Kroton eine Schule gründete und selbst keine Schriften hinterlassen hat. Auch scheint er seine Schule wie eine Geheimgesellschaft oder Sekte geführt zu haben. Seine Schüler durften nichts über die Lehren nach außen hin weitergeben. Nach seinem Tod scheint dieses Gebot, wenn es denn existierte, allerdings nicht befolgt worden zu sein. Sonst wüssten wir logischerweise gar nichts über Pythagoras.

Kitty Ferguson versucht das Problem der widersprüchlichen Quellenlage zu umgehen, indem sie sich auf die wenigen halbwegs gesicherten Daten stützt und ansonsten das Bild des Pythagoras im Spiegel der folgenden Jahrhunderte widergibt (1); was durchaus spannend ist. Mal wird er als Zahlenmagier, mal als naturwissenschaftlich-mathematisches Genie gesehen; und manchmal als beides zugleich. Das meiste, was wir meinen über Pythagoras zu wissen, ist z.B. eher das, was Plato meinte, von Pythagoras zu wissen. Und jetzt versteh ich auch, warum Kepler in seinem Modell des Planetensystems unbedingt  himmlische Musik (wohl ein echte pythagoräische Idee) und geometrische Figuren (eine platonische Idee) sehen wollte. Es war sein Versuch einer mathematisch schönen “Theorie von Allem”, heftig inspiriert von Pythagoras und seinen späteren Anhängern.

Überhaupt die Musik:  Ob wir Töne als harmonisch wahrnehmen, lässt sich z.B. durch das Verhältnis der Längen von schwingenden Harfensaiten beschreiben. Saiten im Verhältnis 1:2 erzeugen Töne, die genau eine Oktave auseinander liegen. Es muss eine revolutionäre Idee gewesen sein, dass Zahlen nicht nur zum Vermessen und Handeln taugen, sondern das Potenzial haben, die ganze Welt zu beschreiben. Es ist diese Idee, die die Grundlage unserer Wissenschaft bildet und uns z.B. ermöglichte, Menschen auf den Mond zu schicken. Und meiner Meinung nach begreifen bis zum heutigen Tag die meisten Menschen nicht, wie wichtig diese Idee ist. Sonst hätte die Mathematik wohl kaum den Ruch, eine langweilige Sache zu sein.

Fazit: Für jemanden, der sich für Geschichte und Philosophie interessiert und sich näher mit Pythagoras beschäftigen will, ist es ein durchaus empfehlenswertes Buch.

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(1)
Hier zeigt sich auch, wie wichtig richtiges Zitieren ist. Einige Quellen sind verloren gegangen, lassen sich aber rekonstruieren, weil sie manchmal geradezu exzessiv in den vorhandenen Schriften zitiert wurden.

 

Kommentare (7)

  1. #1 Tobias Maier
    Februar 18, 2013

    Hallo Ludmila,
    schön von dir zu lesen!

  2. #2 H.M.Voynich
    Februar 18, 2013

    So wie ich das immer verstanden habe, war die Tatsache, daß a²+b²=c², zwar schon lange bekannt, aber eben nur als Erfahrungswert. Zu einem Satz wurde das erst durch den mathematischen Beweis – und ebendieser ist es, der dem Pythagoras zugeschrieben wird.

  3. #3 Nothos – Mathlog
    Februar 18, 2013

    […] Ergänzung zu Ludmilas gestriger Rezension der Pythagoras-Biographie wie auch unseres Hinweises auf den Chaos-Film hier noch eine (von den Autoren des Chaos-Films […]

  4. #4 Ralph Ulrich
    Februar 19, 2013

    Dass Pythagoras seine Lehre geheim hielt, war zu seinem Schutz gegen die Religionspolizei. Dies erklärt auch die Veröffentlichung nach seinem Tod: Er musste nicht mehr geschützt werden.

    Noch Jahrhunderte später wurde Sokrates aus religionspolitischen Gründen in den Tod getrieben.

    “Es muss eine revolutionäre Idee gewesen sein, dass Zahlen nicht nur zum Vermessen und Handeln taugen, sondern das Potenzial haben, die ganze Welt zu beschreiben.”
    Ich frage mich oft, warum dann Pi so irrational ist. Was würde es eigentlich für die dimensionslosen, grundsätzlichen Naturkonstanten bedeuten, wenn wir ein Pi Zahlensystem einführten? (Ein Zahlensystem das mit jedem ganzzahligen Schritt Pi abbildet, ginge das?)

  5. #5 Ludmila Carone
    Februar 20, 2013

    @Ralph Ulrich Das ist eine Vermutung und das wuerde dann eher in die Richtung Geheimgesellschaft als Schutz gegen aussen sprechen.

    Es gibt aber durchaus auch die Interpretationen, nachdem Pythaghoras selbst eine eigene Art von Religion “erfunden” hat. Da ist die Sache mit der Seelenwanderung, die wohl Teil der Schule war. Ernaehrungs- und Kleidungsvorschriften (also Vegetarismus ). Oder der Tatsache, dass man allem – auch der Seele und der Familie – eine Zahl zuornedete und die 10 als die ‘perfekte’ Zahl sah. Zahlenmagie eben. Dann ginge es auch in die Richtung Sekte.

    Ich kann mir durchaus beides vorstellen. Mir scheint es – nach allem, was ich bisher gelesen hab – etwas unwahrscheinlich, dass die Menschen damals so stark zwischen Philosophie, Mathematik und Religion unterschieden haben. Das tun wir bis heute nicht besonders scharf und damals war ja alles brandneu – zumindest fuer die Pythagoraeer.

    Die Sache mit PI… So weit muss mensch gar nicht ausholen. Schon das Verhaeltnis 1/3 birgt Sprengstoffe. Das ist naemlich auch 0.333333333….ad infinitum. Im Grunde genommen, birgt die Mathematik ihre eigenen Grenzen mit sich. Wir koennen sie schon in so einfachen Dingen eigentlich nicht mehr rational erfassen. Aber PI ist natuerlich da extrerm schraeg. Auch wenn 1/3 unendlich weitergeht, weiss mensch immerhin wie es da unendlich weitergeht. Bei PI ist das anders. Jede neue Stelle ist eine Ueberraschung, weil es da keine Regelmaessigkeit gibt. Zumindest keine, die bislang entdeckt wurde 🙂

    Und natuerlich laesst sich ein Zahlensystem auch auf PI basieren. Ist mathematisch gar kein Problem. Wir muessten nur laufend runden (tun wir aber auch schon jetzt staendig, wenn wir Geldsummen durch drei teilen) und es waere unheimlich unanschaulich. Das Zehnersystem bietet sich fuer Wesen mit zehn Fingern einfach an. Vor allem, wenn die wenigsten Lust auf hoehere Mathematik haben.

  6. #6 Alderamin
    Februar 20, 2013

    @Ludmila

    Und natuerlich laesst sich ein Zahlensystem auch auf PI basieren. Ist mathematisch gar kein Problem.

    Man kann die Zahlendarstellung auf der Basis Pi aufbauen, so wie man Binärzahlen auf der Basis 2 aufbaut, das stimmt, aber wenn Ralph Ulrich von “ganzzahligen Schritten Pi” redet, dann geht das so nicht.

    Die 1 ist das Neutralelement der Multiplikation und der Abstand zweier natürlicher Zahlen, und das gilt unabhängig von ihrer Zahlendarstellung. Pi kann aber nicht das Neutralelement der Multiplikation sein, sonst wäre Pi * Radius = Radius und der Radius eines Kreises die Hälfte seines Umfangs, was offensichtlich falsch ist, wenn man mal nachmisst. Das funktioniert in keinem Zahlensystem (oder Pi wäre nicht mehr die Kreiszahl).

    Das Neutralelement der Multiplikation wäre im System zur Basis Pi die Pi^0, also unsere altbekannte 1.

  7. #7 Trottelreiner
    Februar 26, 2013

    @ Ralph Ulrich
    Naja, von einer gut organisierten Religionspolizei im antiken Griechenlang wüßte ich nichts, zumal sowohl griechische als auch römische Religion da etwas anders gestrickt waren als der Judeochristislam. Das, was wir da als “griechischen Polytheismus” kennen, ist eher eine moderne Synthese verschiedenster Traditionen, die sich durchaus widersprechen konnten. Und das ließ durchaus auch Platz für diverse religiöse Kleingruppen, wie Orphiker, Dionysosanhänger, quasiatheistische Philosophien wie die Epikuräer oder eben die Pythagoräer. Nicht daß das ein intellektuelles Paradies war, aber wenn man das mit “moderneren” Beispielen vergleichen wollte, böte sich z.B. eher der Hinduismus las der europäische Neuzeit an, der Hinduismus ist zwar nicht so tolerant wie viele glauben, aber abweichende Meinungen werden eher “inklusiviert”:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Hacker#Inklusivismus

    (wobei Hacker sich eigentlich nur etwas mit der Interpretatio Romana hätte beschäftigen müssen, um zu sehen, daß das a) nicht typisch und rein indisch und b) nicht unbedingt ein Zeichen von Schwäche ist)

    Ansonsten kam es durchaus auch mal vor, daß ein Feldherr einen Tempel abfackelte, ob “versehentlich” oder um an die Tempelschätze zu kommen, und die Bestrafung bestand dann regelmäßig darin, daß es mit ihm ein böses Ende nahm, e.g. er wurde krank oder wahnsinnig, außer natürlich, die Priester hatten selbst gefrevelt, was man daran merkte, daß es dem Feldherrn gut ging, sonst wäre er doch sicher wahnsinnig geworden. Eh, muß ich noch erklären, was ein texanischer Scharfschütze ist? Kurz und gut, die Geschichte von der erdrückenden Religion, die langsam von der Vernunft zurückgedrängt wurde, sollten wir noch einmal bereden. Zumal Sokrates selbst sich durchaus auf einen Gott berief, seinen daimon, eine innere Stimme. Und ehe jetzt irgendwer meint, akustische Halluzinationen wären ein Symptom der Schizophrenie, möge er sich über “cross-cultural psychiatry” informieren. Eh.

    Zurück zu Sokrates. Wir werden wohl nie genau wissen, weswegen er hingerichtet wurde; die beiden wichtigsten Quellen zur Hinrichtung stammen von ihn anbetenden Schülern, einer von denen, Plato, ist dann auch noch ein unausstehlicher mystizistischer elitärer Salonfaschist, der es den Athenern heimzahlen möchte. Aber um mal den Musterweisen zu hinterfragen, Sokrates’ Menschenkenntnis hatte so ihre Schwachstellen, man betrachte nur sein Verhältnis zu Alkibiades. Nebenbei, wo wir schon bei CCP waren, letzterer zeigte ein paar Züge, die man heute “soziopathisch” nennen würde

    https://www.cassiopaea.com/cassiopaea/psychopaths_in_history.htm

    aber vielleicht war so etwas für griechische Adlige normal?

    Es ist eben so, daß wir nur begrenzte Quellen zur damaligen Zeit haben, die wir eventuell uminterpretieren können, so daß Historiker nicht arbeitslos werden, die aber immer einen gewissen Spielraum lassen.

    Ein Beispiel, was wäre, wenn die Anklage “Verführung der Jugend” mehr oder weniger zutraf? Das die Liebe zwischen Sokrates und seinen Schülern keusch war, wird IMHO etwas zu sehr betont. Wobei man das durchaus noch differenzieren kann, neben Sokrates als “sexual predator”, der seine Ausstrahlung und Intelligenz mißbraucht und dabei Alkibiades endgültig verdirbt, könnte man Alkibiades auch als den Verführer darstellen, Platon als “victim in denial” etc.