Ich habe in der letzten Woche vom World Glacier Monitoring Service (WGMS) den letzten ihrer jährlichen Bulletins erhalten. Das WGMS ist an der Universität Zürich (nicht ETH) untergebracht und wird von Professor Häberli und seinen Mitarbeitern, Martin Hölzle (jetzt Uni Fribourg) und Michael Zemp gepflegt. Ausserdem erschien gerade frisch (1.9.08) ein UNEP/WGMS Report, der die Arbeit des Messnetzes in den letzten Jahren sehr schön zusammenfasst.
Bild 1: Chamonix 1966 mit Blick auf das Mer de Glace, dem grössten Mont Blanc Gletscher.
Bild 2: Chamonix heute. Der Gletscher ist (soweit ich mich erinnere) aus dem Tal nicht mehr zu sehen. Während der kleinen Eiszeit ging der Gletscher noch deutlich tiefer ins Tal und bedrohte bereits einige Gebäude. Der Rückzug nach 1966 hat aber sicher nicht mehr viel mit dem Ende der kleinen EIszeit zu tun.
Gletcher sind im WGMS im Wesentlichen verstanden ohne die Gletscher der beiden grossen Eisschilde Grönlands und der Antarktis (tatsächlich ist immerhin ein Gletscher der Antarktischen Peninsula im Netztwerk enthalten). Selbst dann gibt es noch eine riesige Anzahl von Gletschern und nur ein kleiner Teil geht in das WGMS ein und ist wirklich so unter Beobachtung, dass er eine Berechnung der Massenbilanz der jeweiligen Gletscher erlauben würde. Die Etablierung der Massenbilanz eines Gletscher entspricht in der Praxis Volumen- oder Dickemessungen des Gletschers und ist natürlich eine arbeitsintensive Angelegenheit. Der Vorteil solcher Messungen liegt eben darin, dass die Massenbilanz immer eine relativ direkte Reaktion auf aktuelle Klimavariationen darstellt, die repräsentativ für eine ganze Region sind. Die Massenbilanz hängt selbstverständlich von der Differenz zwischen durch Niederschlag hinzugekommener Masse und der durch Sublimation (Verdampfung) und/oder Schmelzen verringerter Gletschermasse ab. Für Letzteres braucht der Gletscher Energie und so hängt letztlich die Gletscher-Massenbilanz von der zur Verfügung stehenden Energie ab, also typischerweise von der Strahlungsbilanz im solaren kurzweligen Spektralbereich, im langwelligen infraroten Spektralbereich, sowie von den sensiblen und latenten Wärmeflüssen. Diese Energiebilanz hat in der Tat eine räumlich weitreichende Bedeutung und es wurde gezeigt, dass man mit Massenbilanzmessungen Aussagen über ganze Regionen treffen kann. Allerdings kann man, das ist ja bei der Komplexität der verschiedenen Faktoren, die die regionale Energiebilanz bestimmen, nicht verwunderlich, nicht ohne weiteres den Einfluss eines einzigen Klimaparameters (also z.B die Lufttemperatur) herausfiltern. Ferner sind, wie man sich leicht vorstellen kann, Massenbilanzen eine aufwendige Angelegenheit, die auch erst seit 1946 praktiziert wird.
Hingegen sind die den Meisten bekannten Längenänderungen der Gletscher (die man z.B. auch durch Gemälde oder alte Photographien zurück in die Vergangenheit ausdehnen kann) eine zeitlich manchmal stark verschobene Reaktion auf Massenänderungen. Insbesondere das unterliegende Felsbett kontrolliert die Reaktionszeit eines Gletschers und kann manchmal zu stark verlangsamten und manchmal zu instantanen Reaktionen auf Klimadrifts führen. Alles was nun nicht durch Massenbilanz- und Längenmessungen erfasst ist, muss dann durch satellitäre Fernbeobachtung erledigt werden.
Ich habe hier einmal die Frage gestellt, wo es denn überhaupt noch vorstossende oder zumindest nicht zurückgehende Gletscher gibt. Das Bulletin gibt Antwort und natürlich lautet sie: “fast nirgendwo”. Es gibt zwei Gruppen von Gletscher-Beobachtungen. 1) Basis Informationen zur Nettobilanz, Akkumulations-Fläche und Gleichgewichtslinie. Diese Basis-Informationen existieren für mehr als 1000 Gletscher weltweit wobei die längste Zeitserie 1720 startet. 2) Detaillierte Informationen gibt es zu 30 Referenz-Gletschern aus 9 verschiedenen Bergregionen, insgesamt sind 226 Massenbilanz-Zeitserien im WGMS Netz enthalten.
Suchen wir mal nach den “Ausnahmen”: Vorstossende und/oder im Gleichgewicht befindliche Gletscher befinden sich im wesentlichen in zwei Regionen. Einige sehr maritime Gletscher in Norwegen, welche zwar auch eindeutig in einer Region liegen, die sich erwärmt, in der aber bisweilen starke Niederschläge jedes potentielle Abschmelzen kompensiert. Gewachsen sind in den Jahren 04/05 insbesondere der Engabreen und der Nigardsbreen Gletscher. Die Gesamtbilanz für Norwegen ist trotzdem negatif.
Bild 3 Briksdalsbreen, ein outlet Gletscher des Jostedalsbreen, in Norwegen im Laufe der letzten 20 Jahre. Ein niedrig gelegener (340Meter über Meeresniveau) dessen Massenbilanz stark vom Winterniederschlag bestimmt wird. Ein starkes Vorstossen des Gletschers in den 90er Jahren wurde in erster Linie durch die starken NAO bedingten Niederschläge begünstigt. Kaum schwank die NAO um und der Feuchtetransport stoppte, hastete der Briksdalsbreen wieder den Berg hinauf.
In Russland wuchsen insbesondere zwei Gletscher im Kaukasus Gebirge, Djankuat und Garabashi. Für alle 6 Gletscher des russischen Netzes gilt, dass sie deutlich an Masse in den letzten 30 Jahren verloren haben (zwischen 2 bis 6 Meter Netto Bilanz).
Tja und das war’s leider mit den wachsenden Gletschern im WGMS. Alles andere schmilzt, überall. ZB in den USA mit fast 20 Gletschern die alle und ohne Ausnahme in beiden Jahren weiter an Masse verloren. Hier mal die Statistik aller im WGMS befindlichen Gletscher mit Massenbilanz.
Kommentare (5)