Ob die kleinen Eisbären tatächlich schmelzen müssen, hängt natuerlich entscheidend davon ab, was die Ursache der momentanen arktischen Erwärmung ist. Seit 30 Jahren ist diese Erwärmung ungefähr zweimal so stark wie die Erwärmung der Nord-Hemisphäre als ganzes und gibt somit sicher das augenfälligste Beispiel, was passieren wird, wenn sich ganze Klimazonen verschieben oder verschwinden. Die arktische Erwärmung ist in der Tat nochmal stärker genau da wo Kontinent und arktischer Ozean aufeinandertreffen. Nun, da schnellt natürlich jeder Klimaforscher gleich nach vorne, schnippst mit den Fingern und ruft Eis-Albedo Feedback! Da wo die Treibhausgas-getriebene globale Erwärmung den Schnee schneller schmelzen und das Seeeis schneller verschwinden lässt, führt die veränderte Rückstrahlkraft oder auch Albedo eines blossen unbedeckten Tundrabodens oder eines offenen Arktischen Ozeans zu verstärkter Erwärmung. Unzählige Modellläufe zeigen genau diese Wichtigkeit des Albedo-Feedbacks für die nördlichen polaren Breiten und für die Verstärkung jeden globalen Klimawandels in polaren Breiten. So weit, so gut. Nur wie sieht es in der Welt da draussen aus?
Folgen der globalen Erwärmung: Titanic-Cover
Ein Team schwedischer Meteorologen hat sich dazu sogenannte Re-Analyse Daten angeschaut, in diesem Fall Re-Analysen des Zentrums für Mittelfristige Wettervorhersage in Reading (ECMWF) und veröffentlichte seine Resultate in Nature. Was genau sind Re-Analyse Daten? Eine schwierige Frage. Diese Daten werden von den groszen Vorhersagezentren wie dem ECMWF oder NCEP bereitgestellt. Was sie im Prinzip machen, ist, dass sie ihr aktuell “bestes” Vorhersagemodell nochmal laufen lassen, d.h. sie begeben sich in die Mitte der 50er Jahre, dem Zeitpunkt, ab dem genügend meteorologische Informationen für eine solche Rechnung bereitstehen und lassen das Vorhersagemodell nochmal loslaufen: diesmal aber nicht als Prognose, sondern als eine Simulation, die andauernd durch die tatsächlich beobachteten Messungen von Temperatur, Wind etc. auf die “rechte Bahn” gezwungen wird. Dieses Verfahren ist die eigentliche Kunst beim Erstellen eines Re-analyse Produkts. Es geht dabei um das richtige Mischen der physikalischen Konsistenz des Modells mit dem beobachteten Wetterverlauf.
Und wozu ist das gut, wenn doch das alles das Wetter von gestern ist? Nun, mehr und mehr Klimatologen, und so auch ich, interessieren sich für die klimatologische Interpretation dieser Re-analyse Daten. Was führte zur starken Erwärmung in Europa in den letzten Jahren? Wieviel Niederschlag fiel in den 80 im Nordatlantik? Solche und ähnliche Frage die allein mit den Beobachtungen schwer zu klären sind, werden an die Re-Analyse gestellt..
Doch es ist Vorsicht angebracht. Manche Modellparameter sind von Natur aus kleinskalig und im Detail von magerer Qualität (Niederschlag) und in manchen Gegenden gibt es schlicht keine Daten, die das Modell auf den “rechten Weg” zwingen würde.
Was nun haben Graversen und Kollegen bezüglich der Arktis gemacht? Sie schauten sich die Re-analyse Temperaturfelder an und kamen zu dem Schluss, dass die stärkste Erwärmung in der mittleren Troposhäre zu finden ist und eben nicht am Boden, da also wo gerade die Albedo-Feedbackprozesse ihr Unwesen treiben sollen. Diese Erwärmung in der Höhe brachten sie mit einem verstärkten Wärmetransport in die Arktis in Zusammenhang und schon könnte man denken, dass somit “nur” eine womöglich natürliche Zirkulationsänderung für die arktische Erwärmung der letzten 30 Jahre verantwortlich sei. In der Tat ist dem schon allein deshalb nicht so, weil selbstverständlich eine regionale Erwärmung stark durch Zirkulation beeinflusst sein und trotzdem durch die globale Erwärmung verursacht sein kann. Das ist überhaupt kein Widerspruch und in Graversens et al. Paper wird solch ein logischer Fehler auch nicht begangen (allerdings in Pressemitteilungen zu diesem Paper, etwa AFP oder New Scientist). Die Modelle simulieren durchaus einen verstärkten Wärmetransport in die Arktis. Ein Umstand, der hier in einem Post bei Realclimate herausgestrichen wurde. Trotzdem blieb das ûberraschende Resultat, dass die eigentlichen lokalen Feedbackprozesse in der schwedischen Studie als recht unwichtig dastanden.
In dieser Woche sind nun ganze drei Antworten zu der Graversen et al. Studie in Nature erschienen, die jede verschiedene Aspekte der Studie kritisieren. Die erste ist von Peter Thorne vom Met.Office in Reading. Er hält insbesondere die Qualität der Re-analyse Daten in der Arktis für unzureichend. Da, wo keine Daten vorliegen, läuft das Modell “frei” und ist nicht mehr unbedingt eine perfekte Wiedergabe der tatsächlichen Zirkulation in der Vergangenheit. Der chaotische Wetterverlauf lässt mehrere Lösungen zu und nichts zwingt das Modell auf die beobachtete Trajektorie. Thorne veranschaulicht das, indem er die Re-Analyse Temperaturen der mittleren Troposphäre mit den äquivalenten Satellitentemperaturen vergleicht. Je weiter man sich Richtung Pol und das heisst weg von den Wetterstationen und Radiosonden-Daten entfernt, umso stärker entfernt sich das Re-Analyse Modell von den Satelliten Beobachtungen. Ähnliches sagt auch Cecilia Bitz und Quiang Fu, die insbesondere darauf hinweisen, dass verstärkter Wärmetransport in die Arktis als Resultat eines intensivierten globalen Wasserzyklus einerseits erwartet wird, andererseits aber von der polaren Erwärmung selbst wieder abgeschwächt wird. Je mehr sich die Pole erwärmen, umso schwächer wird der Temperaturgradient von niederen zu hohen Breiten und umso geringer wird der meridionale Wärmetransport.
Grafik 1: Vergleich von Re-Analyse-Temperaturtrends mit Trends von Radiosonden in der Arktis. Aus Grant/Brönnimann/Heimberger 2008
Den schwersten Treffer aber landeten die Schweizer Atmosphärenphysiker um Stefan Brönnimann. Sie zeigten, dass die vorhandenen Radiosonden Daten tatsächlich eine stärkere Erwärmung am Boden im Einklang mit dem Albedo Feedback zeigten und dass selbst die Re-analyse Daten dort, wo sie durch Radiosonden Daten beeinflusst wurden (siehe Grafik 1), diese starke Bodenerwärmung zeigten. Ein Argument mehr dafür, dass das Signal des Graversen Paper ein Artefakt der Re-Analyse Daten sein könnte.
Die polare Verstärkung der globalen Erwärmung ist eine sehr robuste Eigenschaft der Modelle und es scheint mir schwer vorstellbar, wie dieses auch in vielen Paleo-Beobachtungen existierende Phänomen allein durch Zirkluationsänderungen unterhalten werden könnte ohne einen robusten lokalen Klimamechanismus, der die die ganze Sache am Leben hält. Die letzten Rekordjahre im Meereisschwund (2008 zeigt die zweitgeringste und 2007 die geringste je gemessene Meereisausdehnung in der Arktis) lassen vermuten, dass diese Fragen bald geklärt sein werden.
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