Eine klassische Funktion von Zeitungen ist die Kritik. Sie bewerten Vorgänge in Politik oder Kunst gemäss ihren Kriterien und denen ihrer Leserschaft. So haben sicher konservative Zeitungen eher konservative Kriterien, nicht nur wenn es um die Politik geht, sondern auch um die Kunst oder um andere Aspekte des Lebens, und so genauso bei liberalen oder eher links ausgerichteten Zeitschriften. Bei der Wissenschaft ist es anders, respektive sollte es anders sein. Da sollte es entweder gute oder schlechte Artikel geben und fertig. Nun ist das aber nicht so, es ist erst recht nicht so bei den Klimawissenschaften. Politisch mag eine Zeitung beispielsweise der Meinung sein, dass teure Grundlagenforschung von praktischen Nutzen und weniger teuer sein sollte und schon mag ein Artikel zur bald möglichen Entdeckung des Higgs Boson etwas weniger enthusiastisch und etwas mehr von der Frage durchdrungen sein : War das die Milliarden wert ?
Bild 1: Zum Ende des Polarjahrs 07/08 gab die WMO und die ICSU einen kurzen Bericht heraus.
Bei der Klimaforschung ist alles immer noch schlimmer und praktisch jeder Zeitungs-Artikel findet in einem Phasenraum statt, dessen Achsen von letzten Moral- und ökonomischen Fragen aufgespannt ist. Bei einem Artikel, der die Ergebnisse einer marinen Sedimentbohrung und die Klimavariabilität in Pleistozän behandelt, schwingt immer auch die Frage mit : Und was denken sie von Al Gore?
Warum also nichtmal umgekehrt den Wissenschafts-Journalisten auf die Finger schauen ? In loser Folge werde ich mir mal die Online Ausgaben der grossen deutsche Zeitschriften klimawissenschaftlich zur Brust nehmen. Es geht nicht darum, den Klimaschlaumeier zu spielen, sondern so gut es geht, objektiv nachzuhalten, ob der jeweilige Journalist und seine Redaktion wohl ihre Arbeit gemacht haben. Kann man die Aussagen des ursprünglichen wissenschaftlichen Artikel verstehen ? Ist die Wichtigkeit des Artikels richtig eingeordnet ? Sind Ansichten und Meinungen sauber von den Fakten und den Aussagen des zu Grunde liegenden wissenschaftlichen Artikels getrennt ? Na, und am besten machen wir es wie in der Schule, es gibt Noten zwischen 1-6 und am Ende des Jahres 2009 gibt es Mittelnoten fuer die bewerteten Zeitungen.
In diesem Sinne , kommen wir mal zum ersten Artikel erschienen in der Online Ausgabe der Welt : Gletscher verlieren 103 Milliarden Tonnen pro Jahr. Der Artikel wurde, soweit ich diese Dinge verstehe, von DPA gekauft und dann auf die Welt Online Ausgabe gesetzt. Das aber zählt nicht als Entschuldigung. Schliesslich interessiert mich bei einem möglicherweise fehlerhaften Mercedes auch nicht, ob die fraglichen Scheibenwischer aus Taiwan kamen. Wo Mercedes drauf steht, ist Mercedes drin und was die Welt veröffentlicht, ist ihre Verantwortung.
Bild 2: Eines der im WMI/ICSU vorgestellten Ergebnisse des IPY, des International Polar Year. Abweichungen der Zahl der Tage mit Eisschmelze an der Oberfläche des Grönländischen Eisschildes. Die Grafik zeigt Ergebnisse eines Mikrowellen Sounders für das Jahr 2008. Grün liegt dabei ungefähr auf dem klimatologischen Mittel von 1979-2007, während gelb und rot starke Schmelzereignisse anzeigen.
Dieser Welt Online Artikel ist schlicht unterirdisch. Ich kann mir keine journalistische Ausbildung vorstellen, in dem dieser Artikel nicht dankbar als schlechtes Beispiel präsentiert werden könnte. Worum gehst es : Die beiden UN Organisationen WMO (World Meteorological Organisation) und die International Council for Science (ICSU) gaben als massgebliche Trägerorganisationen einen Abschlussbericht zum Internationalen Polar Jahr heraus und haben in einer Pressemitteillung natürlich den Erfolg der wissenschaftlichen Bemühungen (50.000 Forscher, Techniker, Logistiker) gewürdigt. Einige wichtigere Resultate des IPY wurden dabei mit angegeben. Hier ist der entsprechende Bericht zu finden, und zwar auch in Deutsch. Was schreibt die Welt dazu ?
« Es vergeht kaum eine Woche in diesem Jahr, in der Klimaexperten nicht neue Hiobsbotschaften veröffentlichen: Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen jetzt, dass sämtliche Gletscher der Antarktis rapide an Masse verlieren – und zwar rund einhundert Milliarden Tonnen pro Jahr. Das entspricht der gesamten Eisfläche Grönlands »
“Die Eisfläche Grönlands entspricht einhundert Milliarden Tonnen”. Selbst wenn man mal grosszügig über die nicht-eindeutige Transformation von Quadratmetern in Tonnen absieht, der Satz fühlt sich zumindest so an, als ob in der Antarktis jährlich das Äquivalent des Grönländischen Eisschildes abschmilzt. Ein Phänomen, was erstaunlicherweise bislang völlig unbemerkt verlaufen ist, obwohl die Eismasse Grönlands doch ca. 6-7 Metern globalem Meeresspiegel-Anstieg entspricht.
Was wurde gemäss Welt noch von den WMO/ICSU Verantwortlichen berichtet ?
“Im Forschungszeitraum sei die Eisbedeckung an den Polen während des Sommers um etwa eine Million Quadratkilometer zurückgegangen und damit auf den geringsten Stand seit Beginn der Satelliten-Aufzeichnungen gefallen. Die Folge könnte ein beispielloser Anstieg des Meeresspiegels sein, hieß es im Abschlussbericht der Weltwetterorganisation WMO und des Internationalen Rates für Wissenschaft ICSU zum Internationalen Polarjahr 2007/08.”
Im Text zwischen dem grönlandischen und dem antarktisschen Eisschild reingequetscht lässt dieser Satz erst gar nicht vermuten, dass nun plötzlich vom arktischen Sommer-Meereseis die Rede ist. In der Tat zeigte Meereis, wie hier auf Primaklima ja oft berichtet, in den letzten Jahren einige ungewöhnliche Einbrüche, die über den langfristigen und prognostizierten Trend hinausgehen und die man sicher berichten könnte. Doch wie ein Mehr oder Weniger an Meereis denn nun den Meeresspiegel verändern kann, dass muss mir die Welt-Redaktion erst zeigen. Dem Archimedischen Prinzip zufolge, verdrängt ein im Wasser aufschwimmender Körper nämlich genau das Wasservolumen, dass seinem Gewicht entspricht. Durchs Schmelzen allein jedenfalls ändert sich der Meeresspiegel keinen Zentimeter. Weiter im Text :
Zu erwarten sei ein Anstieg zwischen einem und 1,5 Metern, sollte die antarktische Eisfläche zusammenbrechen, warnte Summerhayes.
Nun Colin Summerhayes ist der Verantwortliche des Britischen Antarktis Programm und so geh ich mal davon aus, dass er weiss, dass die Antarktis ungefähr 60 Metern Meeresspiegel-Anstiegs entspricht, 6-7 Meter gehen davon auf die potentiell instabilere West-Antarktis. Der Satz im Welt Artikel liegt im Niemandsland zwischen falsch und unverständlich (« zusammenbricht « ?). 1.5 Meter ist momentan nach verschiedenen Studien ungefähr die Obergrenze des Meeresspiegel-Anstiegs bis 2100. Aber ob das mit dem Satz gemeint war?
Der Weltklimarat hatte 2007 erklärt, mit zunehmender Erwärmung könnte der Meeresspiegel bis Ende des Jahrhunderts um 18 bis 58 Zentimeter steigen. Sollte die Eisdecke an den Polen andauern, sei ein Anstieg um weitere zehn bis 20 Zentimeter möglich. Damit würden tiefliegende Regionen überflutet und Millionen Menschen in die Flucht getrieben.
Als ich diesen Satz gelesen habe beschlich mich zum ersten Mal das Gefühl, dass der Artikel nur das Resultat einer automatischen Übersetzung eines an sich wahrscheinlich englischen Textes war. Sollte « die Eisdecke andauern » ? Ja was dann ? Dauert die Decke an, dann schmilzt das Laken. Ich habe keine Ahnung, worauf sich das bezieht und was es bedeuten könnte, aber es verspricht fürchterlich zu werden.
Fazit : Der Artikel schafft es nicht klar zu machen, wer was wann und wozu gesagt hat. Das sind wohl journalistische Schwerstfehler (soweit ich das verstehe). Die in der urspünglichen Presseerklärung zwar auch nicht gerade schön strukturierten Resultate des “International Polar Year” sind im Welt Artikel völlig beliebig über ein Blatt Internet-Papier verteilt worden. Zwischen wissenschaftlichen Ergebnissen verstreut finden sich immer wieder Kassandrarufe eines untergehenden Planeten Erde. Es wird nicht klar, wer das behauptet (die WMO Erklärung zumindest nicht) und wie das im Zusammenhang zu den wissenschaftlichen Ergebnissen steht. Der relativ kurze Artikel ist gespickt mit Unsinnssätzen, die auch ich mit aller Erfahrung nicht zuordnen kann. Auch oberflächliches Durchlesen MUSS zumindest diese Sätze finden. Der Artikel war mehrere Tage « Aufmacher » der online Ausgabe der Welt. Ich gebe ihr aus den oben genannten Gründen eine 5 für diesen Artikel, eine 5 mit Sichtweite zur 6.
PS In Kürze zum ausgehenden Polarjahr, an dem ich auch in einigen Projekten beteiligt war, hier mehr auf Primaklima. Bis dahin vielleicht schon mal in die wirklich tolle Bildergalerie der WMO reinschaun.
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