Das Interessante an Wissenschaftsgeschichte, abgesehen von all den unzähligen Anekdoten und Heldensagen, ist das Gebirge der Irrtümer, Probleme und Fehlschlüsse zu erkennen, das überwunden werden musste, um entscheidende Fortschritte zu erzielen. Individuell für jeden einzelnen Forscher ist der Moment, an dem sich nach harter Arbeit alles zusammenfügt und der Schleier zerreisst, natürlich phantastisch. Aber diese Momente bleiben auch im Gruppengedächtnis der Forscher hängen. Wer diese Geschichte nicht kennt, wird mit ziemlicher Sicherheit auf dieselben Klippen laufen, die doch zuvor schon so kunstvoll umsegelt wurden.
Bild 1: Sir William Herschel, in Hannover geboren und durch die französische Besatzung nach London vertrieben. Von der Musiktheorie, über die Mathematik kam er schliesslich zur Astronomie. Er entdeckte mit einem seiner selbstgebauten, für die damalige Zeit riesigen Teleskope den Uranus und fand experimentell als erster die Infrarot Strahlung.
Darum jetzt ein paar Posts zur Wissenschaftsgeschichte des Treibhauseffekts, die zeigen, wie hart es war, um die Treibhaustheorie (1) schematisch zu formulieren, (2) praktisch die nötigen Messungen durchzuführen und (3) diese zu nutzen, um quantitative Rechnungen durchführen zu können. Diese Posts sind wie immer auf primaklima mit reichlich Zitaten versehen, stützen sich aber ganz wesentlich auf die phantastische Habilitationsarbeit von Jean Louis Dufresne vom Laboratoire de Météorologie Dynamique, LMD.
Im Jahre 1800 entdeckte William Herschel die Infrarot Strahlung in denkbar einfachster Weise, nur musste man erstmal die Idee haben. Herschel war ein vor den französischen Truppen nach England geflohener Astronom, der unter anderem durch die Entdeckung des Planeten Uranus Ruhm und Eintritt in die Royal Academie erlangte. Bei der IR Entdeckung hielt er einfach ein Thermometer in das von einem Prisma gespaltene Sonnenlicht, und zwar in den Bereich jenseits des roten Lichts. Die Temperatur stieg natürlich an und das Konzept der Wärmestrahlung war geboren. Na, und weil man noch nicht so genau wusste, womit man es zu tun hatte, nannte man diese Strahlung die “dunkle Wärme” oder la “chaleur obscure”.
Bild 2: Jean-Baptiste Joseph Fourier formulierte 1824 zum ersten Mal in seinen Mémoires das Konzept der Absorption der von der Erde emittierten Wärmestrahlung durch die Atmosphäre.
Ein Vierteljahrhundert nach Herschel formulierte Jean-Baptiste Joseph Fourier zum erstenmal das Prinzip des Treibhauseffekts in seinem berühmten Text “Mémoire sur les températures du globe terrestre et des espaces planétaires”. Zuerst 1824 erschienen in den Annales de Chimie et de Physique wurde später mit leichten änderungen nachgedruckt in den “Mémoires de l’Academie royal des Sciences de l’Institut de France (1827). Die meisten Kommentatoren dieses Papers dürften ohnehin nur den 1860 in den Werken Fouriers erschienenen, weiter verbreiteten Nachdruck haben. Von den 28 Seiten seiner Mémoires beschäftigt sich Fourier lediglich 2 Seiten lang mit der chaleur obscure, zwei Seiten, die ihm deutlich mehr Ruhm einbrachten als die übrigen 26.
Fourier wurde berühmt durch seine Arbeiten zur Wärmediffusion, zu deren numerischer Lösung er eben auch die nach ihm benannte Fourier-Transformation einführte. Diese Kenntnisse wandte er nun auf das Problem der Erdoberflächentemperatur an. Im welchen Mass wird diese vom heissen Erdinneren, in welchem von der Sonne beeinflusst? Zur Zeit Fouriers dachte man, dass ein rapide abkühlender Erdkern starken Einfluss auf die Erdoberfläche haben könnte. Auf den 26 Seiten lösst Fourier dieses Problem mit mathematischer Gründlichkeit gestützt durch eine Reihe von Beobachtungen. Er erkannte, dass ein vertikaler Tiefengradient von ca. 1°C pro 30-40 Meter nicht ausreicht, um wesentlich zu den Oberflächentemperaturen beizutragen. Also ist es die Sonne, die die Temperaturen auf der Erde bestimmt. Aber wie genau?
Bild 3: Schema der “Boite Chaude” von Saussure. Das Innere der Box war schwarz ausgeschlagen, gut isoliert und mit doppelter Verglasung abgedeckt..
Um das näher zu untersuchen, formulierte er das Prinzip der Energiebilanz, die nötig sei, um die Temperatur an der Erdoberfläche zu verstehen. Die verschiedenen Wärmeflüsse (geothermisch, solar etc.) müssten aufaddiert werden, um die Temperaturen an der Erdoberfläche zu verstehen. Weiterhin analysierte er einen Apparat, der vom schweizer Physiker Horace-Bénédict de Saussure gebaut worden war: die “boite chaude”. Es handelt sich um einen stark isolierten Kasten (Doppelverglasung!) dessen Boden schwarz ausgekleidet ist. Das Innere des Kastens ist deutlich wärmer als seine Umgebung. Fourier sieht klar, dass die solare Strahlung in Wärme umgesetzt wurde und dass die “chaleur obscure” anscheinend nicht den verglasten Kasten verlassen kann. Zwar diskutiert er die Rolle der freien Luftzirkulation, die offensichtlich im Vergleich zur Umgebung unterdrückt ist, hält sie aber für vernachlässigbar. Letzteres ist natürlich für so einen Kasten, ja selbst für ein echtes Treibhaus, falsch.
Und dann kommen der entscheidende Satz:
” C’est ainsi que la temperature est augmentée par l’interposition de l’atmosphère, parce que la chaleur
trouve moins d’obstacle pour pénétrer l’air, étant à l’état de lumière, qu’elle n’en trouve pour repasser dans l’air lorsqu’elle est convertie en chaleur obscure.”
“So also steigt die Temperatur gerade durch das Dazwischenstellen der Atmosphäre, da die Wärme in Lichtform (GH i.e. solare Strahlung) leichter in Luft eindringt als wenn sie sich erstmal in Form der “chaleur obscure” (GH i.e. IR Strahlung) befindet.”
Bild 4: Der Schweizer Physiker Saussure baute die “boite chaude” als eine Möglichkeit die Intensität solarer Strahlung zu vermessen (daher auch hélio thérmometre).
Wenn man überlegt, was Fourier eigentlich an experimentellen Hinweisen zur Verfügung hatte, ist die Analogie, die er zwischen der “boite chaude” und der Atmosphäre zog ein absoluter Geniestreich.
Was fehlt in seiner Analyse? In erster Linie das entscheidende Wechselspiel zwischen IR Absorbern und Emittern. Er erkennt qualitativ die Möglichkeit der Absorption in der Atmosphäre, aber er weiss nichts von erneuter ungerichteter Emission.
Ein amusantes Detail am Rande. Fourier diskutiert ebenfalls die Temperaturverteilung auf der Erde. Er begründet kurz und falsch, warum er glaubt, dass es im wesentlichen keinen Wärmetransport auf der Erde gäbe. In der Tat gab es zu dieser Zeit keine Messungen, die etwas anderes gezeigt hätten. Wenn also jeder Ort auf der Erde fast unabhängig vom Wärmeaustausch mit seiner Umgebung ist, ja dann sind doch die Polargegenden in der monatelang andauernden Polarnacht im thermischen Gleichgewicht mit dem All. Von daher schätzt er die Temperatur des interplanetaren Raums auf ungefähr -50°C ab. Und wie kommt dieser interplantare Raum auf diese im Vergleich zum absoluten Nullpunkt so hohen Temperatur? Na, weil all die Sterne all die Planeten da draussen erhitzen und somit eine Hintergrundtemperatur von vollen -50°C erzeugen.
All das ist nicht wirklich falsch. Mangels Messungen fehlten Fourier einfach vernünftige Anhaltspunkte, um eine gute Abschätzung zu machen. Ozean und Atmosphäre transportieren in der Tat ~6 Peta-Watt jährlich aus den niederen Breiten Richtung hohe Breiten. Die Treibhausgase hindern auch in der Polarnacht die Pole ins thermische Gleichgewicht mit dem All zu kommen, na und schliesslich die kosmische Hintergrundstrahlung beträgt eben ~3K und nicht 220K.
Doch das Prinzip war formuliert und wir werden sehen, wie Fouriers Nachfolger die Sache mit dem Treibhaus weiter vorantrieben.
PS Ausser auf Jean Luis Dufresnes Habilitationsarbeit sei auch noch auf diesen Artikel in “La Météorologie” verwiesen.
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