Florian schrieb hier ueber die Titius Bode Reihe, einer einfachen Formel mit der die beiden Astronomen Johann Daniel Titius und Johann Elert Bode die Verteilung der Planeten in unserem Sonnensystem beschreiben wollten. Am Ende scheint es nicht so recht zu klappen (insbesondere als die später entdeckten Planeten Neptun und Pluto hinzugefügt wurden). Florian resumiert abwinkend:
“Das Gesetz des Titius war also nur eine zufällig passende “Formel”, hinter der keine echten physikalischen Gesetzmäßigkeiten standen. …Am Ende war es aber dann doch nicht mehr als eine nette Zahlenspielerei.”
Bild 1: Die sogenannte Balmer-Serie des Wasserstoffs. Elektronenübergänge im Wasserstoff emittieren sichtbares Licht, undzwar an distinkten Linien die damals (zu Zeit Angströms, Bunsens und Kirchhoffs) nur sehr ungefähr vermessen werden konnten. Die angegeben Wellenzahlen über dem Spektrum entsprechende der damaligen Genauigkeit.
Das erinnerte mich an ein Kapitel des hervorragende Buchs “Der Zahlen gigantischer Schatten” des Wiener Mathematikers Rudolf Taschners (Taschner ist auch derjenige, der das Projekt math.space gestartet hat) und zwar zur Entwicklung des Wasserstoffmodells von Niels Bohr und der Erklärung der Quantenübergänge im Wasserstoff. Es zeigt ein Beispiel, wohin man mit Zahlenmystik und der auf nichts begründeten Überzeugung, die Welt müsse von einfachen harmonischen Gesetzen bestimmt sein, so kommen kann.
In der Mitte des 19ten Jahrhunderts arbeiteten die beiden deutschen Chemiker/Physiker Robert Bunsen und Gustav Kirchhoff zur Spektroskopie von Gasen, ein Thema auf das ich bei meiner kleinen Reihe zur Geschichte des Treibhauseffekts noch zurückkommen werde. Insbesondere beschäftigten sie sich mit den sehr distinkten Leuchtlinien des Wasserstoffs. Der Wasserstoff wurde in einer Röhre elektrisch angeregt und die entstehenden Linien klassisch spektroskopisch vermessen (siehe Bild 1). Dabei wird bestimmt, wieviele Schwingungen einer Linie in einen Meter hineinpassen, die sogenannte Wellenzahl (Schwingungen/meter). Das Ergebniss ist deprimierend nichtssagend: 1523310, 2056410, 2303240, 2437290, 2518130. So what?
Wahrscheinlich könnte uns das ja etwas über die Natur der Dinge verraten aber da im atomaren Bereich keinerlei Anschauung uns helfen kann, was fangen wir um Gottes Willen mit diesen Zahlen an?
Bild 2: Johan Jakob Balmer, Mathematiklehrer zu Basel und Numerologe.
Auftritt Johann Jakob Balmer. Ein schweizer Mathematiklehrer an der Unteren Tochterschule zu Basel. Seine Leidenschaft: Zahlenmystik. Von der Kabbalistik und Numerologie befeuert setzte er so ziemlich alles mit allem in Verbindung. Die Stufenanzahl der Pyramiden und der Grundriss biblischer Tempel. Und wo er schon mal dabei war, nahm er sich halt auch der nichtssagenden Zahlen Angströms, Bunsens und Kirchhoffs an. Und so rechnete er drauf los, als gäb’s kein Morgen.
Zuerst einmal wird alles mit allem in Relation gesetzt:
2056410:1523310=1,349962,
na unter Freunden=1.35=135:100=27:20
Aha. 2303240:1523310=1.511997
Oeh, sagen wir =1.512=1512:1000=189:125
Hätte hier einer von den Lesenden noch weitergemacht?
2437290:1523310=1.599996
Ok. Sagen wir =1.6=16:10=8:5
Und schliesslich nach einigem Rumrechnen
2518130:1523310 ungefähr gleich 81:49.
Die Spekrallinien des Wasserstoffs verhalten sich also nach Balmer ungefähr wie
27:20, 189:125, 8:5, 81:49
“Ungefähr” wohlgemerkt und ohne die geringste Begründung. Warum sollten diese Verhältnisse ganzzahlig sein? Es gibt keinen Grund dafür.
Doch Balmer macht einfach weiter. Diese ganzzahligen Verhältnisse waren ihm immer noch nicht schön genug.
Die ersten 3 Nenner: 20,125, 5 sind durch 5 teilbar und man erhält die Quadratzahlen 2*2=4, 5*5=25 und 1*1=1. Die vierte Zahl, 49, ist auch eine Quadratzahl. Wir haben also 5*5 und 7*7.
Wo bleibt aber 6*6? Balmer wollte jetzt alles in Quadratzahlen ausdrücken und vermutete, dass die fehlenden Quadratzahlen durch Kürzen weggefallen sind. Ihm war wohl klar, dass die Messung der Wellenzahl als Schwingungen pro Meter sehr willkürlich gewählt ist. Damals war der Meter noch als Bruchteil des Erdumfangs definiert, keine sehr hilfreiche Grösze bei der Bestimmung von Elektronenübergängen in einem Wasserstoffatom. Was tun also? Na, weil er die 5 loswerden wollte und irgendwie die fehlende 6*6 vermisste, erweitert er die kleinste Wellenzahl des Wasserstoffs 15223310 mal mit 5/36 und erhalt so:
15223310=5/36*10967832
Man führe sich abermals vor Augen, was der Mann hier macht. Die Länge der Pyramiden zum Alter Katherina der Grossen in Verbindung setzen ist ein Klacks dagegen.
Alles muss also jetzt mit 5/36 multipliziert werden und so in Relation zu einer unbeobachteten künstlichen Zahl in Verbindung gesetzt werden. Diese Zahl wird später Rydberg Konstante genannt werden. Weiter geht’s. So sieht unsere Spektralreihe jetzt aus (i.e jede Zahl unten ist mit der Rydbergkonstante zu multiplizieren um die obigen Wellenzahlen zu erhalten)
5:36, 3:16, 21:100, 2:9, 45:196
Jetzt sind schon fast alles “schöne” Quadratzahlen: 36, 16, 100, 9, 196. Sie sind nur nicht strikt aufsteigend geordnet (Warum das so sein sollte, weiss nur der Balmer, keine Beobachtung, kein Prinzip würde so etwas erzwingen). Er erweitert also 3:16 und 2:9 entsprechend und erhält:
5:36, 12:64, 21:100, 32:144, 45:196
Diese Zahlen mit der Rydberkonstante multipliziert ergeben gerade das sichtbare Wasserstoffspektrum. Man kann die Nenner (die ja schon Quadratzahlen sind) noch mit der Quadratzahl 4 etwas vereinfachen:
36=9*4, 64=16*4, 100=25*4, 144=36*4 und 196=49*4
Das sind Nenner. Schön anzusehen. Kann man was zu den Zählern sagen? Na, man könnte einfach die “*” durch ein “-” ersetzen.
5=9-4, 12=16-4, 21=25-4, 32=36-4, 45=49-4
Nochmal. Das ist aus einer bestimmte Sichtweise betrachtet reiner Unsinn, Zahlenmystik pur. Und doch (sein wir ehrlich) ist jeder, der bis hierhin gefolgt ist, bereit, Balmer weiter zu folgen. Denn die Wasserstoffserie schreibt sich jetzt plötzlich so:
(9-4)/9*4=1/4-1/9
(16-4)/16*4=1/4-1/16
(25-4)/25*4=1/4-1/25
(36-4)/36*4=1/4-1/36
(49-4)/49*4=1/4-1/49
Spätestens hier sind wir einfach so weit, nach einem physikalischen Gesetz zu suchen. Ganz egal, ob die einzelnen Schritte durch Kabbalistik motiviert waren. Ganz egal wie “ungefähr” diese Verhältnisse in Wirklichkeit zur Zeit Balmers bestimmt werden konnten. Da muss doch einfach irgendetwas sein.
Bild 3: Die volle Pracht der bei Elektronenübergängen von einem Quantenzustand zum anderen erzeugten Spektrallinien. Nur die später nach Johann Balmer benannte Balmerserie (Sprünge zur Quantenzahl 2) fällt dabei ins sichtbare Teil des Spektrums.
Es war Niels Bohr in seiner Nobelpreis gekrönten Arbeit von 1913 vorbehalten dieser Zahlenmystik einen Sinn zu geben. Er postulierte, dass das Elektron des Wasserstoffs sich ausschliesslich in Quantenzuständen 1,2,3,4,.. etc aufhalten könne und dass Sprünge eines Elektrons von einem Quantenzustand in den anderen mit der Emission eines Photons verbunden sind welche der folgende letztlich auf Balmer zurückgehenden Formel gehorchten:
Formel der Übergänge im Wasserstoff. Lambda gibt die Wellenlänge an (ihr Kehrwert ist die Wellenzahl), RH ist die Rydbergkonstante, die Balmer aus ästhetischen Gründen brauchte und p und n ganzzahlige Quantenzahlen. Für die Balmerserie ist p=2.
Zwei Schlussbemerkungen, die ich ebenfalls Taschners Buch entnehme:
1) Was anfänglich eine Anschauung war (so etwas wie kleine Elerktronenkügelchen die um einen dicken Kern sausen) verflüchtigt sich vollständig in Zahlen, nichts als Zahlen.
2) Natürlich waren all diese Messungen nur approximativ (so wie sie es heute letztlich auch noch sind). Die aberwitzige Zahlenakrobatik Balmers und letztlich die Basis der Quantenphysik startet mit den nur sehr unvollständigen Messungen eines Angströms, Bunsens oder Kirchhoffs. Bohr war mit seinen Schülern (Heisenberg, Weiszäcker, etc.) ja häufig zu Bergausflügen unterwegs und eines Abends war es die Reihe an ihn zu spülen. Fasziniert betrachtete er sein Werk: ” Dass man mit schmutzigem Wasser und einem schmutzigen Tuch schmutzige Gläser sauber machen kann – wenn man das einem Philosophen sagen würde, er würde es nicht glauben”.
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