Kopenhagen steht vor der Tür. Einige Publikationen kamen punktgerecht heraus, um die Verhandlungen noch mit frischem Futter zu versorgen. Der Copenhagen Diagnosis Report sollte eine Art Aufrischung des IPCC AR4 darstellen. Der ist aber erst 2 Jahre alt und so steht ungefähr das Gleiche drin. Soo viel passiert ja nun auch nicht bei uns im Business. Darum fand ich den Report auch nicht wirklich spannend. Und ob es bei den doch sehr politischen Verhandlungen hilfreich ist, zu wissen, was das Seeeis 2007-2009 gemacht hat, wag ich doch zu bezweifeln. Manchmal fände ich da ein bisschen mehr Coolness ganz gut: “Es gibt nichts Neues, Wissenschaft braucht Zeit und ansonsten reden wir über Abläufe, die Dekaden dauern.” Ausserdem, wenn schon aktuell, dann aber auch richtig: Es fehlen im Report die arktische Meereisbedeckung 2009 (ging rauf) genauso wie die CO2 Emissionen 2009 (gehen runter, siehe unten).
Bild 1: CO2 Emissionen nach Raupach et al. 2007 und Le Queré et al. 2009. Der Wert für das Jahr 2009 ist natürlich abgeschätzt, ebenso wie der mögliche weitere Verlauf der Emissionen.
Ein paar jüngst veröffentlichte Arbeiten zum Kohlenstoffzyklus fand ich aber dann doch sehr interessant und will sie hier mal diskutieren. Letztlich zeigen diese Arbeiten, wie schwierig es wohl wird, die ökonomisch-technologischen Entwicklungen so zu beeinflussen, dass es (in einem ersten Schritt) zu einer Minderung der Steigerungsraten bei den CO2 Emissionen kommen könnte, von einer Reduzierung mal ganz zu schweigen. Bild 1 zeigt den starken Anstieg der CO2 Emissionen in ungefähr der Zeit zwischen Kyoto (1997) und Kopenhagen (2009). Die Emissionsbilanzen basieren nicht auf irgendwelchen atmosphärischen Messungen, sondern auf detaillierten Energieverbrauchsbilanzen der einzelnen Länder (wieviel Kohle, Gas, Öl wurde gekauft, im eigenen Land gefördert, exportiert, etc.). Die 80er und 90er Jahre waren noch von Steigerungsraten um 1% geprägt und schnellten dann in kürzester Zeit auf über 3% in den 00ern hoch. Die Finanz- und schliesslich Weltwirtschaftskrise der letzten beiden Jahre hatte einen durchaus beeindruckenden Einfluss auf diese Steigerungsraten und hat uns innerhalb eines Jahres (2009) um ca. drei Jahre “zurückgeworfen” (siehe Bild 1). Die Ökonomen vom IMF (International Monetary Fund) nehmen an, dass die Emissionen bald wieder den Rythmus vor der Krise aufnehmen werden.
Bild 2: b) Emissionen der letzten Jahre aufgeteilt nach Annex B und Non-Annex B Ländern gemäsz Kyoto Protokoll. c) Aufteilung der globalen Emissionen je nach Energiequelle. 2005 hat die Kohle das Öl überholt. d) Entwicklung der globalen Per Capita Emissionen.
Offensichtlich bewegen sich die Emissionen somit am oberen Rand aller Scenario-Abschätzungen, deren Extrem (A1FI) das Suffix FI, also “Fossile Intensive” trägt. Was trägt zu dieser Entwicklung bei? Welche Änderungen der globalen Wirtschaft führen zu dieser Emissions-Trajektorie, immer mal angenommen, dass das Kyoto Protokoll einen eher vernachlässigbaren Einfluss auf diese Vorgänge hatte? Bild 2 gibt einige Antworten.
Das Kyoto Protokoll spricht insbesondere von Annex B und Non-Annex B Ländern. Erstere entsprechen im wesentlichen den entwickelten “klassischen” Starkemittenten (Europa, USA, Japan etc.), die zum Teil das bindende Protokoll unterschrieben haben. Die Non-Annex B Länder umfassen dann den ganzen Rest, insbesondere also die sich stark entwickelnden Staaten China, Indien, Brasilien etc. Die Emissionen der Annex B Länder blieben relativ stabil, während die Entwicklung der übrigen Ländern stark nach oben ging (Bild2b). Deren Energiehunger wird vor allem von der meist hauseigenen Kohle gestillt (Bild 2c), was nochmals unterstreicht, was man ja häufig schon zu hören bekam, dass nämlich auf lange Sicht das entscheidende Problem die Kohle ist.
Bild 3: Exportierte und Importierte CO2 Flüssen je nach Land. Die Grafik wurde erstellt, indem die globalen Warenflüsse und die mit den jeweiligen Produkten assoziierten CO2 Emissionen berechnet wurden.
Warum aber liegt die tatsächliche Entwicklung am oberen Rand der IPCC Scenarien? Anders gefragt, haben denn die Ökonomen des IPCC die Entwicklung Chinas, Indiens, Mexikos und der anderen Länder, die mittlerweile die G20 Konferenzen vervollständigen, dermaszen unterschätzt? Nicht wirklich. Der eigentliche Grund ist, dass der per Capita Energiekonsum nicht, wie vom IPCC angenommen, stabil blieb oder eher technologisch verbessert wurde. Bild 2d zeigt, dass diese IPCC Annahme bis ca. 2000 durchaus zutraf, doch dass seitdem der per Capita Verbrauch stark gestiegen ist. Wenn das ein anhaltender Trend sein sollte, kann man allerdings alle Abschätzungen zukünftiger Treibhausgas-Konzentrationen knicken. Ein rascher Technologietransfer, der die Effektivität chinesischer und anderer Länder Energieproduktion deutlich erhöht, mag da aber helfen.
Bild 4: Das Gleiche wie für Bild 2b, hier wurden rechts aber der Import und Export der entsprechenden CO2 Flüsse aus Bild 3 verrechnet.
Internationale Verhandlungen, so wie in Kopenhagen, haben immer auch mit der Frage zu tun, was fair und gerecht ist. Zwei Argumente werden dabei von den sich stark entwickelnden Ländern (China etc.) immer wieder ins Feld geführt, um ihre Forderung nach entweder keinen bindenden oder sehr laschen Emissionsbeschränkungen für ihre eigenen Ökonomien zu unterstreichen. Das erste ist das des CO2-Konsumenten im Gegensatz zum klassischen Gesichtspunkt des CO2-Emitenten. Das zweite ist das der “historischen” Gerechtigkeit.
Den ersten Punkt illustriert die folgende Karte (Bild 3) sehr gut. Es zeigt, welche CO2 Emissionen von den verschiedenen Ländern letztlich exportiert bzw. importiert werden. China oder Indien benutzt die meist von eigener Kohle produzierte Energie zur Produktion von Produkten, die meist in den Annex B Ländern gekauft und konsumiert werden. Dieser effektive Export von CO2 Emissionen ist eine Konsequenz der sich beschleunigenden Umgestaltung der globalen Wirtschaft. Die industrielle Produktion verschiebt sich mehr und mehr in die Non-Annex B Länder, während sich die vermeintlich erste Welt in “saubere, verschmutzungsfreie” Dienstleistungsgesellschaften wandeln, die zunehmend noch konsumieren, was anderswo produziert wurde. Korrigiert man diese Tendenz in Bild 2b, gelangt man zu Bild 4, was natürlich einiges relativiert. Eine Konsumenten-orientierte CO2 Bilanz sähe China wahrscheinlich momentan nicht als Nummer 1 auf der Liste.
Der zweite Punkt, den man häufig hört, ist der der historischen Gerechtigkeit. Die Annex B Länder hätten ja schon in der Vergangenheit dermaszen CO2 emittiert. Bevor irgendjemand in China, Indien, Indonesien oder sonstwo darüber auch nur nachdenke, Emissionen effektiv einzuschränken, müsse der “Westen” erstmal vorneweg gehen.
Man kann dieses Problem mathematisch als Funktion beschreiben, welche zwischen zwei extremen Standpunkten interpoliert. Nehmen wir an, um ein Klimaziel X zu erreichen, dürften nach den Klimamodellen noch Y Gigatonnen CO2 freigesetzt werden. X wäre dabei so etwas wie die öfters diskutierte 2°C Erwärmung relativ zum vorindustriellen Klimastatus. In einer Welt, wo die stärksten CO2 Emitter auf immer die stärksten Emitter bleiben dürfen, nach dem Motto: “Das hammer immer so gemacht”, bliebe etwa die USA auf ewig die Nummer eins, denn ihre integrierten Emissionen liegen klar vor allen anderen Ländern. Die USA bekämen also einen relativ groszen Anteil vom verbleibenden Y. In einer Welt aber, in der alle Menschen gleich sind und sich lieb haben, bliebe natürlich ein riesiger Batzen von Y für, sagen wir, Indien übrig. Keines der beiden Extreme wird eintreten, aber als Verhandlungsbasis ist es wahrscheinlich hilfreich, in diesen Kategorien zu denken. In eine Formel gegossen sieht das dann so aus:
Wobei Sj der Anteil der globalen CO2 Emissionen (also Y) ist, die dem Land j noch zugestanden werden.
Fj die akkumulierten Emissionen von Land j und F die globale Summe aller Länder.
Pj der Bevölkerungsanteil des Landes j an der globalen Bevölkerung P.
w muss in Kopenhagen verhandelt werden.
Bild 5 zeigt dann, wie so etwas für die verschiedenen Länder und Regionen aussieht. Das Klimaziel ist in dieser Graphik 2°C, welches bei der Median Wahrscheinlichkeit der Modelle ein Y (also das maximal noch zu emittierende CO2) von 1000PgC (Peta Gramm Kohlenstoff) =1000 MtC erlaubt. Die können nun entweder nach historischen Vorbild (w=0) oder nach per Capita Gerechtigkeit (w=1) verteilt werden. Für die USA etwa ergäbe ein reiner per Capita Ansatz ein verbleibendes Emissionsrecht von ca 25 GtC, d.h. mit anderen Worten beim momentanen US-amerikanischen Ausstoss von 1.6 GtC pro Jahr ist in 15 Jahren Schluss. Man kann annehmen, dass es ein Verhandlungsziel Obamas sein wird, das w möglichst klein zu halten.
Interessanterweise ist der “Vorteil” einer per Capita Regelung für China gar nicht so klar. Mit dem gewählten Stichtag 2006 macht es für China relativ wenig aus, ob man nun per Capita rechnet oder die historische Tendenz berücksichtigt. Sie haben eben schon ganz beachtlicht aufge- und über-holt beim CO2 Emittieren. Da läesst es sich dann sehr entspannt verhandeln.
Bild 5: Verteilung von 1000PgC auf die verschiedenen Länder, je nach dem ob eher eine Statuts Quo (w=0) Verteilung oder eine Per Capita Verteilung vorgenommen würde.
Es wird spannend, was in Kopenhagen rauskommt. Ich persönlich halte solche Ziele wie +2°C mit 1000PgC nicht mehr für durchsetzbar und wenn es so wäre, dann sollte das auch irgendwer in Kopenhagen mal klar sagen. Eine grundsätzliche Einigung auf die Mechanismen der Verteilung (das w beispielsweise oder die Anrechnung der CO2 Exporte) und der Überprüfung der nationalen Versprechen wäre daher schon nicht schlecht. Besser jedenfalls als fiktive CO2 Caps, die dann doch in Kürze wieder eingerissen werden müssen.
Literatur:
Le Queré et al. Nature Geosciences, 2009
PS: Dank an Philippe Ciais für einige der Abbildungen.
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