Ich habe diese wissenschaftliche « Besprechung » des Films Avatar von James Cameron auf der Webseite von Sylvestre Huet, Journalist bei der Liberation, gefunden. Wie sein Autor Thomas Heams, der sofort damit einverstanden war, dass ich seinen Text übersetze und hier zweit-veröffentliche, mag ich gut-gemachte Science Fiction sehr und bin da unter den Physikern nicht wirklich eine Ausnahme, um es mal zurückhaltend zu sagen (tatsächlich habe ich noch keine einzige Ausnahme getroffen). Science Fiction erzählen meist nicht so viel über die aktuelle Wissenschaft, sondern wie die meisten Menschen sich Wissenschaft, Wissenschaftler und natürlich die durch diese Wissenschaft geformte Zukunft vorstellen. Es ist meist eine Reise in populäre Irrtümer, die aber doch zeigen, wie sehr Wissenschaft mittlerweile unsere Phantasie befeuert. Der folgende Text hat mir ganz besonders gefallen, weil er genau diese Diskrepanz zwischen eigentlicher Wissenschaft und den allgemein verbreiteten Ideen, die wir über sie haben, aufdeckt.
Thomas Heams ist Maitre de Conférence zum Thema Genetik an der AgroParisTech und Mitherausgeber und Autor von « Les mondes Darwiniens, l’evolution de l’evolution ». (Leider bislang nur auf französisch erhältlich)
Avatar wirft Fragen nach unserem Verständnis der Evolution und “unserer” Rolle im Universum auf.
Ist die Avatar Welt eigentlich glaubwürdig ? Die Frage könnte nutzlos oder am Thema vorbei gestellt erscheinen. Der neue Film James Camerons ist natürlich vor allem ein Werk der Phantasie. Aber wie alle Science Fiction Filme, die bestimmt sind ihrer Zeit ihren Stempel aufzudrücken, erlaubt « Avatar » auch einen Blick auf unsere Vorstellungskraft, die er gleichzeitig befeuert und von der er sich andererseits nährt. Es ist einfach spannend sich auf das Spiel einzulassen, in dem Universum, das Cameron vor uns ausbreitet, einige nette Intuitionen und vorgefertigte Ideen aufzuspühren, die uns vieles über unsere Beziehung zur Welt und über die Art und Weise, wie unsere Gesellschaft wissenschaftliche Theorien « verdaut », verraten.
Die erste Hypothese, auf der « Avatar » beruht, ist die, dass ein ausserirdisches Leben existiert, welches sehr dem unseren ähnelt. Er lädt geradezu zu einer angeregten Debatte über die Grenzen der Biologie und Kosmologie ein, die sich genau um die Frage des Ursprung des Lebens dreht : War das, was auf der Erde vor 3.8 Milliarden Jahren auf der Erde passierte, ein angesichts der verfügbaren Ingredienzien und Umstände ein unvermeidbarer Prozess oder eine fantastische Ausnahme? Um darauf eine Antwort zu finden sehen sich die Forscher extraterrestrischen Lebens, die Exobiologen, unsere nächsten Nachbarn, insbesondere den Mars, ganz genau an. Sie hoffen dort, vergebens bis zum heutigen Tage, biologische Aktivität oder zumindest deren fossilierte Spuren zu finden. Das alles gibt es nur zum Preis eine grundsätzlichen Frustration : Diese Spuren zu finden wäre sicher ein starker Beleg für die Hypothese des « unvermeidbaren Lebens », hingegen, sie dort nicht zu finden, würde uns unseren Zweifeln überlassen, da es keine echten anderen erforschbaren Kandidaten in unserer Nähe gäbe.
Hat James Cameron eigentlich einen Blick in die Werke Stephen Goulds und Richard Dawkins geworfen? Wollen’s hoffen.
Cameron entscheidet diese Debatte auf spektakuläre Weise : Ausserhalb unseres Sonnensystems, schon bei der « nächsten Haltestelle » im Universum im nächstgelegenen Sonnensystem, dem vom Alpha Centauri (immerhin auch 4.4 Lichtjahre entfernt), befindet sich der üppige Mond Pandora. Damit plädiert Cameron sicher sehr deutlich zu Gunsten der Idee des Lebens als einer unvermeidbaren Konsequenz der galaktischen Evolution.
Und Charles Darwin? Wäre er in “Avatar” sitzen geblieben oder schreiend rausgelaufen?
Aber die Nähe endet dort nicht: Was dem Evolutionsforscher sofort ins Auge springt, ist die bemerkenswerte Ähnlichkeit zwischen der terrestrischen und der Pandorischen Biosphäre, also einem Leben basierend auf einer Chlorophyl-Vegetation und Tieren, von denen einige sicher Säugetiere sind. Doch zumindest in der Theorie garantiert uns absolut nichts, dass extraterrestrisches Leben so aussähe. Nichtmals ein Leben auf zellularer Basis, kleinste fundamentale Grösze unseres « Lebens », von der Bakterie bis zur Sequoia sempervirens, und Beleg ihres gemeinsamen Ursprungs, muss es wirklich anderswo geben; es gibt nichtmals die Sicherheit, dass ein solches extraterrestrisches Leben auf DNA Basis stattfände, absolut notwendige These, um die DNA des Helden Jake Sully und die von Na’vi zu rekombinieren (Anm. GH : wir sprechen von intergalaktischen Sex). Auch da lassen die Entscheidungen Camerons denken, dass eben diese Formen und Strukturen unvermeidbar sind und sich perfekt überall, wo Leben auftaucht, reproduzieren. Implizite Konsequenz und gleichzeitig Kollateralschaden dieser Hypothese: Der Mechanismus der natürlichen Selektion, d.h. dass lokale und blinde Spiel des Zufalls und der Selektion, welches Charles Darwin vor 150 Jahre formulierte, und welches bis auf den heutigen Tag eine fantastisches Instrument darstellt, um die Fülle der Entwicklung alles Lebendigen zu erklären, bekäme einen harten Schlag versetzt. Denn wenn ähnliche Strukturen unabhängig auf weit entfernten Planten auftauchten, dann bedeutete das, dass wir dem Zufall eine viel zu grosse Rolle auf der Erde zugewiesen hätten.
Statt mit 10.000 Chinesen und Amerikanern den EIfelturm raufzuwetzen, sei jedem beim nächsten Parisbesuch der Besuch der Grande Galerie de l’Evolution im Jardin des Plants empfohlen. Didaktisch einer der besten Austellungen zum Thema Evolution. Nur wie sähe ein solches Museum auf Pandora aus?
Man müsste dann dringendst andere Mechanismen betrachten, um solche gemeinsamen Tendenzen zu erklären, Tendenzen wie etwa den Übergang zum multi-zellularen Leben, die Unterscheidung zwischen Pflanzen und Tieren, ganz zu Schweigen von der Entwicklung einiger Formen des Lebendigen hin zu Kultur und Zivilisation. Selbst wenn nichts verböte, sich rationale Erklärung von all dem zumindest vorzustellen, so würde diese Perspektive doch die Türen hin zu all den Zweideutigkeiten weit aufstossen, von denen sich dank Darwin und seinen Nachfolgern die Biologen Stück für Stück und mit Erfolg entfernt haben, Zweideutigkeiten, die eben möchten, dass dunkle, vielleicht sogar göttliche Kräfte, in den Schlüsselmomenten der Evolution eingriffen, um ihr eine Richtung zu geben.
Macht das aus James Cameron einen Anti-Evolutionisten ? Nein, natürlich nicht. Die Idee eines gemeinsamen Ursprung der Arten isttiefgründig darin angelegt, dass die Gesamtheit aller groszen Tierarten (Vipperwolf, Hammeread, Thanator und anderen Hyppoferox) Sechsfüssler sind – wo doch ihre « Äquivalente » auf Erden Vierfüssler sind, eine scheues Eingeständnis an die Idee, dass interstellare biologische Evolutionen nicht dazu verdammt sind, sich zu ähneln.
Und diese allgemeine Sechsfüssigkeit auf Pandora erklärt sich genau in der klassischen Darwinistischen Perspektive der Abstammung : Die naheliegendste Erklärung besteht darin einen gemeinsamen Vorfahren all dieser Arten zu vermuten, der eben auch Sechsfüssler war und von dem ab sie alle abstammen. Die Na’vis, die anthropomorphen Helden des Films, scheinen im übrigen von einer sechsfüssigen auf Bäumen lebenden Affenart abzustammen, die wiederum anderen Tieren im Pandorischen Bestiarium ähneln, den Prolemuris. Wir stellen darüberhinaus einen ähnlichen Verlust bei den Banshees fest, eine Art Vogel und daher gänzlich unterschiedlich von den Na’vis : Auch das erklärt sich mit den Mitteln moderner Evolutionslehre, nämlich durch das Phänomen der Konvergenz, welches besagt, dass bisweilen ähnliche Charakteristiken bei weit von einander entfernten Tierarten auftauchen (oder verschwinden), was zu der Illusion einer evolutiven Verwandschaft führen kann.
Daher ist Cameron sicher Darwinist, nur eben nicht in einem modernen Sinne des Wortes. Auf die Spitze getrieben und aus dem Zusammenhang gerissen, kann diese Position hin zu allen möglichen Verdrehungen wie « Intelligent Design » führen, ein verkleidete Scheinwissenschaftlichkeit und in Wirklichkeit abgeleitet vom Kreationismus, eine Deklination der Wissenschaft « light », da sie so tut als ackzeptiere sie die Evolution und führt doch « intelligente » Kräfte ein, um die groszen Übergänge zu erklären. Aber führen wir dem Regisseur nicht einen falschen Prozess.
Cameron ist weit davon entfernt, der erste Science Fiction Autor zu sein, der fremde Ökosysteme voller befremdlicher Ähnlichkeiten geschaffen hat. Im übrigen nimmt er nur das Recht des Künstlers, uns eine Welt auszumalen, die uns nicht zu weit entfernt und auch nicht zu bekannt erscheint, um uns gleichzeitig die Faszination des Fremden und auch die Empathie, die uns die Nähe einflöszt, erleben zu lassen.
Selbst die bekanntesten Evolutionisten haben im Laufe lang herangereifter Arbeiten, die im 20ten Jahrhundert die Neodarwinistische Synthese vorangetrieben haben, ihre Schriften mit ähnlichen Überlegungen bestückt. Ohne in irgendeiner Weise auf das Übernatürliche Bezug zu nehmen, haben sie recht häufig der Idee einer allgemeinen Richtung in der Geschichte des Lebendigen einen Platz eingeräumt. Dieses « Schwächeln » findet sich etwa auch aus der Feder des grossen Genetikers und eines der Hauptdenker des Neo-Darwinismus, Théodosius Dobzhansky, wieder, der einerseits schloss, dass extraterrestrisches Leben in Nichs dem unsrigen ähneln würde, der aber auch der Idee das Wort redete, dass « die biologische Evolution eine Tendenz und allgemeine Ausrichtung habe ».
Es ist aber auch in diesem Jahr, in dem wir Charles Darwin feiern, einer der faszinierendsten Aspekte der Geschichte evolutionistischen Denkens, mit Geduld diesen Weg einzuschlagen, der entschlossen diese Vision einer « allgemeinen Tendenz » zurückweist. Die Fortschritte in der Molekular-Biologie, die Theorie der neutralen Evolution gemäsz Motoo Kimura und auch die der punktuellen Gleichgewichte gemäsz Stephen Jay Gould, all dies weist uns den Weg einer fundamentalen Änderung unseres Verständnissses. Sie zeigen uns unter anderem, dass keineswegs alle übertragenen genetischen Eigenschaften Resultat einer « reinen Anpassung » sind, und dass eine Geschichte des Lebens auch solche absolut unvorhersehbaren und zufälligen Phänomene wie etwa den Absturz eines Meteors berücksichtigen muss, der wohl jedwede Biosphäre aus dem Gleichgewicht brächte und bei der Gelegenheit auch jedem Determinismus ein Ende setzte. Die Säugetiere und somit später auch unsere Spezies hätten sich wahrscheinlich nicht entwickelt und sich mit solcher Effizienz verbreitet, wenn die Dinosaurier nicht aus solch rein zufälligen Gründen, die auf jeden Fall nichts mit dem zu tun haben, was sich in ihren Genen findet, praktisch vollständig verschwunden wären. Ach und übrigens, wenn die groben Tendenzen sich auf jedem bewohnbaren Planeten wiederfinden sollen, wo sind eigentlich die Dinosaurier auf Pandora geblieben ?
Kurz, James Cameron präsentiert uns eine schlecht abgespeckte Version der Evolutionstheorie, die aber wohl ungefähr dem ähnelt, was das breite Publikum dafür hält. Letzteres ackzeptiert wohl weitesgehend die Idee der « Evolution », aber sträubt sich häufig gegen ihre völlige Blindheit. Unter anderem ist es für viele immer noch ein Schock, dass die Spezies homo nicht mehr und nicht weniger das reine Produkt des Zufalls und der Selektion ist wie alle anderen Formen des Lebens. Und doch ist es so und es ist leider notwendig, noch recht häufig daran zu erinnern, dass der Homo Sapiens weder das Ziel, noch den Gipfel, auch nicht die Perfektion und genauso wenig das Ende der Evolution darstellt. « Avatar » nimmt uns auf eine lange Reise zu jenem Planeten Pandora, welcher nicht existiert und der doch gerade in unser Leben tritt. Er erzählt auch von uns angesichts unserer winzigen Stellung im Universum, von unseren « phansievollen » Konstruktionen, die wir uns so zusammensetzen, um es uns bequem zu machen. In diesem Sinne, regt dieser Film zu anderen Entdeckungsreisen an, nämlich zu uns selbst. Gute Reise.
Kommentare (89)