Poster. Poster sind eine mittlerweile Tradition gewordene Form der Wissenschaftskommunikation. Statt 12.5 Minuten vor 50 Leuten zu sprechen, legt man in möglichst zugänglicher Form sein Schaffen auf ca. 100cm*200cm dar. Vom Abstract bis zu den Conclusions weisen kleine Pfeile den Weg über die wissentschaftliche Wandtapete, gespickt mit kleinen Formeln, Graphiken, Fotos vom Labor etc.. Poster sind häufig besser als in einem dunklen Saal gegen eine Wand anzusprechen und am Ende keine Frage zu bekommen. Sie sind aber auch so ziemlich das Alberndste, was wir so treiben, und stehen bekanntlich als Wegweiser zum Orkus des von Postdoc zu Postdoc-Stelle eilenden desillusionierten Jungforschers: Der Pharmavertreter. Diesen Orkus hat ja bekanntlich Siegfried Bär in seinem exzellenten Macchiavelli für Wissenschaftler, “Forschen auf Deutsch”, so trefflich beschrieben. Und so stehen wir da vor unseren Postern als wollte wir Laborzubehör verkaufen und warten darauf, das einer vorbeikommt und eine Frage stellt. “Hey, geh doch nicht weg….”
Bild 1: Auf der AGU in San Francisco wurden ca. 10000 Poster zu Themen von Plattentektonik bis Stratosphärenchemie vorgestellt. Die entsprechende Posterhalle hat in etwa die Ausmasze der A380 Montagehalle. Hier ein Foto um 7:45 Morgens.
Tausendmal wurde es wiederholt, tausend Mal wurde und wird es auch auf dieser AGU nicht beachtet, und so wird es bleiben, bis ans Ende aller Zeiten. Die allerallererste Regel eines gelungenen wissenschaftlichen Posters lautet: Möglichst wenig Text! Es gibt bei einer Veranstaltung wie der AGU 15.000 eingeschickte Abstracts, 10000 wurden davon als Poster ackzeptiert. Kein Mensch kann das noch alles verdauen. In meiner Session gab es ungefaehr 30-40 Poster, die in zwei Stunden von den Interessierten betrachtet werden konnten. Niemand kann in zwei Stunden 30 Paper lesen. ALSO sollte man nicht soviel auf einem Poster schreiben, schliesslich steht man ja neben dem Poster und kann alle Details erklären, wenn nötig. Aber nein, vergebens. Auch noch das letzte technische Gefrickel, wie irgendetwas gemessen wurde, wird in Font 8 Groesze in eine Ecke gequetscht. Kein Mensch kann das verstehen oder interessiert sich dafür, ausser den drei Jungs oder Mädels in der Welt, die gerade an genau dem gleichen Thema arbeiten. Aber für die wird anscheind das Poster angefertigt. Impactfactor 1.E-20.
Seit Generationen stürzen sich also all die Doktoranden vor den Konferenzen an die Arbeit und an die immer ausgefeilter werdenen Multimillion-Colour-Printer und brechen mit einer verbissenen Wiederholungswut, die an schwere Fälle von Palilalie erinnert, alle elementaren Regeln des Graphikdesigns und der kognitiven Psychologie. Seitenweise werden, wenn es geht, gleich zwei Paper auf einmal auf ein Poster gepappt. Der Text wird gleich ganz reinkopiert. Allein den Abstract zu lesen, dauerte sicher 10 Minuten, aber keine Angst, keiner nimmt sich die Zeit dafür. Gerade die Klima-Modellierer bepflastern ihre Poster mit möglichst kleinen vielfarbigen Weltkarten (unter 50 geht gar nichts), als gäbe es kein Morgen mehr. Es ist anscheinend unmöglich die Aussagen ihrer wissenschaftlichen Arbeit darzustellen, ohne die Farbeinstellung des letzten Multicolorprinter von Hewlett Packard auf unendlich einzustellen.
Ich reg mich bei dem Thema immer völlig unangemessen auf, aber ich glaub schon, dass diese Problem in seiner Wichtigkeit deutlich vorm Scheitern der Verhandlungen in Kopenhagen liegt. Warum nimmt eigentlich niemals einer die jungen aufstrebenden Köpfe in der Wissenschaft bei Seite und verrät ihnen, ruhig mit gesenkter Stimme, dass die Qualität eines Posters weder daran gemessen wird, ob es einem gelungen ist, den erweiterten Macintosh Fontsatz voll auszureizen, noch besteht er darin, beim Ausdrucken seines Posters mindestens drei Farbpatronen zu verschiessen.
Bild 2: Kleine Schildchen weisen einem den Weg. Da bin ich natürlich nicht reingegangen als Klimaforscher. Petrol! Die haben Nerven.
Abschliessend noch zwei Phänotype der Postersessions, die jeder der Gelegenheit hat, bei solchen Sessions mal dabei zu sein, sofort erkennen kann. Ich nenne sie mal: La Belle et la Bête.
La Bête ist Professor seit mindestens 20 Jahren, er hat einen Ruf als Koryphäe und seine Sekretärin kümmert sich normalerweise um die Details. Irgendein böses Schicksal hat es gewollt, dass er (es sind immer Männer) diesmal keinen invited talk bekommen hat, sondern ein Poster. Ein Umstand, den er erst 24 Stunden vorm Abflug bemerkte. Was tun? Kein Doktorand in der Nähe, dem man die Arbeit schnell aufs Auge drücken könnte. Nichts einfacher als das. Einfach drei Din A4 XY-Graphiken ausdrucken, fertig ist die Laube. Diese sind nicht nur in Schwarz und Weiss gehalten, sondern natürlich der Übersichtlichkeit halber auch ohne Achsenbeschriftung angelegt. La Bête ist aber Herr der Situation und korrigiert dies rasch direkt mit dem Kugelschreiber auf den selbstverständlich schräg an die Posterwand gepinnten Einzel-Blättern. Da er jahrelang im Business ist und wie gesagt eine Koryphäe, drängen sich die Studenten und seine alten Kollegen vor seinen drei Blättern als würde er Flachbildschirme zum halben Preis verkaufen. Nebenan steht einsam ein Postdoc im ersten Jahr. Sein Poster ist ein Farbexplosion mit kleinen ornamentalen Verziehrungen, die sich erst beim näheren Hinschauen als über das Regenbogenposter gegossene Wortschlangen erweisen. Er erhält in den zwei Stunden genau ein Frage: Ob er vielleicht ein wenig zur Seite gehen könne, man könne gar nicht richtig die drei xy-Graphiken nebenan erkennen.
Bild 3: Maria Dos Santos (Name von der Redaktion geändert) von der Universität Rio de Janeiro präsentierte ihre Arbeiten zum Thema: “Seasonal variation of Megacity NOx emissions and their impact on bird fertility in Brazil”. Ein sperriges Thema, was aber überraschend sehr nachgefragt wurde.
La Belle hingegen ist natürlich ein Wissenschaftlerin. Sie ist Belle, wie der Name schon sagt, und arbeitet wie alle anderen verbissen und mit Eifer an der Wissenschaft. Irgendwann, während sie nochmals versonnen auf ihr Multicolorposter mit 20 Seiten Text schaut, kommt ihr der an sich richtige Gedanke, dass das vielleicht nicht reichen wird. Sie erinnert sich plötlich an das, was Mama ihr immer gesagt hat: Der erste Eindruck zählt. Und so bretzelt sie sich am Tag der Posterpräsentation auf, als wäre sie bei den Schwiegereltern in Spe zum ersten Mal zum Rolladenessen eingeladen. Sonst immer in Jeans und Schlabberpullover unterwegs, erscheint sie plötzlich vor ihrem Poster als wäre sie eine italienische TV-Wetteransagerin. Umwerfend. Und hey, es funktioniert. Niemand hätte sich je für die isotopische Zusammensetzung von Iridium in fossilierten Strausseneiern aus dem Oligozaen interessiert, aber jetzt ist die Bude voll. Wie Fruchtfliegen am Klebestreifen bleiben die zufällig männlichen Jungwissenschaftler an ihrem Poster hängen und La Belle lächelt zufrieden. Mama hatte doch recht.
Mein Poster war übrigens gut besucht.
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