Der Titel teilt sich in zwei Fragen. Beginnen wir mit Teil II: Warum hätte Pachauri bereits 2007 aufhören sollen? Der Grund ist ganz einfach. 5 Jahre sind genug. Der Präsident des IPCC gibt Pressekonferenzen (wobei er notgedrungen über Sachen spricht, von denen er nur bedingt Ahnung hat), schüttelt Ban-ki Moon die Hand, lässt die Reisegelder der IPCC Wissenschaftler verwalten, und empfängt Nobelpreise, zu deren Empfang er vor allem eines können muss: Mahnen und traurig gucken. Selbst wenn er die Neigung verspürte, sich mit dem Strahlungstransport oder den Problemen der Abschätzung des Meeresspiegelanstiegs mal ernsthaft zu beschäftigen, es wäre für seine Arbeit so wichtig wie, sagen wir, das Verständnis statistischer Wirtschaftsmathematik für Angela Merkel: Schadet nicht, hilft aber auch nicht besonders. Kurz, er hat einen politischen Job.
Und zwar keinen einfachen. Das Thema Klimawissenschaft und mögliche darausfolgende Konsequenzen für unser Handeln geht so richtig ans Eingemachte unseres Lebensstil, unseres Reichtums, everything. Sollte (es sieht nicht so aus) es jemals zu einer globalen Reaktion im Sinne einer fundamentalen Änderung der Art und Weise, wie die Menschheit Energie produziert, kommen, dann ist es natürlich klar, dass es dabei viele Verlierer und wahrscheinlich auch viele Gewinner gäbe. Wer diesen Job also macht, begibt sich in ein weltanschaulich-ökonomisches Minenfeld, aus dem er/sie niemals als Freund aller hervorgehen wird und in dem die Beurteilung seiner Arbeit immer von politischen Grundüberzeugungen der Beurteilenden abhängt. Wer den Job auch annimmt, der sollte das wissen, sein sicher hohes Gehalt einstreichen und sich nicht beschweren, dass in seinem Privatleben herumgestöbert wird, sein Aussehen unter klar rassistischen Tendenzen mit einem Neanderthaler verglichen und genau nachgeschaut wird, womit er denn sonst so sein Geld verdient. Das sollte man am besten gleich in die Stellenausschreibung mit reintun. Wem das nicht gefällt, sollte es eben als Sparkassendirektor oder Eisverkäufer versuchen.
Bild 1: Man soll aufhören, wenn’s am Schönsten ist. Dr. Pachauri feiert im Kreise seiner Familie den Freidensnobelpreis fürs IPCC.
Hat Pachauri seine Arbeit gemacht? Na klar. Alle Kollegen, die beim IPCC dabei waren, haben ihn nur bei den Diskussionsrunden am Schluss gesehen. Absolut alle, die ich fragte (ich habe allerdings nicht wirklich ALLE IPCC-ler befragt, sondern nur 2), haben mir bestätigt, dass er niemanden in seine Arbeit reingequatscht habe und dass er ab und an sogar mal interessiert nachgefragt habe. Bei den Pressekonferenzen schaut er immer sehr ernst und ich finde er kommt da prima rüber. Er hat keine Sekretärin im Genfer IPCC Büro belästigt (da der Hort ehrlichen investigativen Wissenschaftsjournalismus, Anthony Watts, bislang darüber noch nicht berichtet hat, kann man das praktisch ausschliessen. Hätte Pachauri sich auch nur mal auf die Schreibtischkante seiner Sekretärin gesetzt, hätte Watts sicher schon von Vergewaltigung gesprochen.) und soweit ich weiss, fehlt auch kein Geld in der Kasse. Hat er Fehler gemacht? Na klar: Er sollte Errata lieben lernen. Es gibt nichts Schöneres als Errata und wenn so offensichtliche Fehler, wie die berühmte Himalaya Gletscher Prognose, rauskommen, dann setzt man sich schnell hin, ruft den Georg Kaser oder sonst jemanden, der Ahnung zum jeweiligen Thema hat, an und schreibt ein Erratum. Errata erhöhen die Glaubwürdigkeit und die Veröffentlichungszahl (die Hälfte meiner Veröffentlichungen sind Errata) und verhelfen einem zu einer besseren Persönlichkeit. Das hat er leider nicht gemacht und ist damit leider nicht alleine in der Welt. Aber ich gleite ab. Das gehört bereits zu dem Teil, weswegen Pachauri nicht zurücktreten sollte. Die Frage war, warum er hätte vor zwei Jahren zurücktreten sollen?
Bild 2: Ganz unabhängig davon, ob jemand Fehler, formelle oder wirkliche Fehler begangen hat, wer sich in den Klimakriegen in eine exponierte Position begibt, kann jederzeit zu Recht und zu Unrecht von den Medien abgestraft werden. Phil Jones dachte nach dem Climategate Skandal an Selbstmord.
Ich hoffe es ist bereits klar geworden, dass ich nicht glaube, dass der IPCC Präsident bei dem ganzen wissenschaftlichen Prozess, ja selbst bei der Wahrnehmung dieses Prozesses in der Öffentlichkeit, besonders wichtig ist. Es wär netter, wenn der Job mit Stil und Ernsthaftigkeit durchgezogen würde, aber ansonsten. Und da es eben ein politischer, man könnte fast sagen, symbolischer Job ist (eher wie Queen Mum als Gordon Brown), und da dieser Job in einer extrem feindlichen Umgebung durchgezogen werden muss, hätte er nach dem AR4 seinen Hut nehmen, den Nobelpreis in eine Klarsichthülle stecken und fortan glücklich amerikanische Geschäftsdinner per gut-bezahlter Feelgood-Vorträge zum Klimawandel bereichern solle. Kein Politiker ist so gut, dass er nach 5 Jahren nicht mal was anderes tun sollte. Er/Sie wird eitel, klebrig, wiederholt sich, bleibt in Seilschaften kleben, isst zuviel Flugzeugfrass und sieht sich verliebt im Früstücksfernsehen reden. Das muss nicht sein.
So, deswegen hätte er also 2007 in den Vorruhestand gehen sollen. Und warum soll er jetzt weitermachen?
Erstens, ob bei irgendeiner Aussage jemand im IPCC eine WWF Studie zitiert hat, ist die Verantwortung der Lead Autoren des jeweiligen Kapitel und nicht Pachauris. Pachauris Funktion ist eben nicht die “letzte” Durchsicht des IPCC Reports, denn wäre sie es, dann müsste er von den verschiedenen Themen, die im IPCC behandelt werden, eine Ahnung haben und das hat er nicht. Keine einzelne Person hat das.
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Bild 3: Imja Gletscher in Nepal. Schrumpft mit einer Geschwindigkeit von ca 70 Metern pro Jahr (oben 1950 unten 2007 nach Guardian). Wer den “Skandal” um die Himalaya Gletscher mal ergoogelt, wird feststellen, dass von 100 Artikeln zu dem Thema sich 95% mit dem Skandal der falschen Vorhersage des IPCC beschäftigen und nur 5% noch erwähnen, dass diese Gletscher tatsächlich und in dutzenden Studien bestätigt, zurückgehen. So frisst die Meta-diskussion die Diskussion auf. Haps.
Zweitens, absolut kein Text auf Erden, der länger als eine halbe Seite lang ist, ist fehlerfrei. Dieses ganze Gerede davon, dass die Wissenschaft besudelt worden sei, weil auf Seite 800 das Jahr 2035 als Ende der Himalaya Gletscher genannt wird, und sie ihre Integrität bewahren müsse, verwechselt den AR4 mit dem Talmud. Wissenschaft ist wie jede andere Tätigkeit des Menschen fehlerbehaftet und vorläufig. Und kein Pachauri bewahrt uns davor.
Drittens, die “Skandale” um Pachauri sind nicht der Grund für die Schwächung seiner Position. Weil er irgendein Consultingbüro neben seinem IPCC Job betreibt, soll er zurücktreten? Ein durschnittlicher deutscher Politiker hat wahrscheinlich zwanzig Nebenjobs, vom Aufsichtsrat bei Bayer bis zum DFB Ligaausschuss. Niemand stört sich daran. Nach den mediterranen Standards (und die kenne ich mittlerweile besser als die deutschen) ist diese “Ämterverquickung” Pachauris ein Witz. Niemand in Frankreich oder Spanien käme auch nur auf die Idee für sowas den Rücktritt eines Funktionärs zu fordern. Die “Skandale” um Pachauri sind nicht Grund der Schwächung seiner Position. Sondern umgekehrt, die Schwächung seiner Position (und die des IPCCs und der Klimawissenschaften) sind Grund für die “Skandale”. Man sei ganz beruhigt. Wäre es nicht seine Nebentätigkeit in seinem Consulting Büro gewesen, dann wäre es halt was anderes.
Viertens, aber vielleicht müsse man ihn symbolisch opfern, um für den wissenschaftlichen Auftrag des IPCC “Glaubwürdigkeit” zu gewinnen? Bullshit. The proof of the pudding is in the eating. Die Glaubwürdigkeit des IPCC ergibt sich einzig daraus, dass jemand durch Lesen und Durcharbeiten des Reports den wissenschaftlichen Process mit all den sicheren und unsicheren Aussagen ehrlich nachzuvollziehen versucht. Pachauri ist dafür so sehr verantwortlich wie Susan Stahnke für einen Bombenteppich in Afghanistan oder eine Medaille im Zweierbob. Er verliest und vermittelt lediglich das Resultat.
Fünftens, vielleicht wird ja alles besser, wenn man Pachauri austauscht und einen Oxford Abgänger mit korrektem Haarschnitt nimmt? Vielleicht sogar mit Hans von Storch jemanden, der immer eine zumindest zum IPCC Mitigation Kapitel III gewisse Distanz gepflegt hat? Ich mache mal die Vorhersage (so sehr ich Hans für einen guten Kandidaten für die Zeit nach dem AR5 halte), dass das rein gar nichts änderte. In sechs Monaten wären wir genauso weit wie vorher. Der Oxford Abgänger, so käme raus, bezahle keine Steuern für das pakistanische Kindermädchen, sein offener Swimming Pool sei eine Energieverschwendung (Glaubwürdigkeit!) und der IPCC bliebe für grosze Teile der Öffentlichkeit immer noch eine prä-faschistische Organisation zur Unterdrückung freier Meinungsäusserungen, die sie angeblich ja jetzt schon sei.
Daher mein Ratschlag an Pachauri: Auf keinen Fall zurücktreten, die Schnauze halten und nicht rumjammern, sondern still und verbissen seine Arbeit machen. Und natürlich Errata, Errata, Errata.
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