Ich hatte in zwei ersten Teilen zur Geschichte des Treibhauseffekts auf zwei französische Beiträge aufmerksam gemacht, nämlich den Beitrag Jean-Baptiste Joseph Fourriers und den Beitrag Claude Pouillets. Der erstere formulierte als erster das Konzept des “Treibhaus Erde” (das Wort “effet de serre”, also Treibhauseffekt, fiel allerdings nicht), indem er eine Analogie zwischen der “boite chaude” (einem Kästchen mit Glasabdeckung) und der Atmosphäre aufstellte. Er verstand die Umsetzung von solarer Einstrahlung in langwellige Wärmestrahlung ohne das Konzept eines elektromagnetischen Kontinuums gekannt zu haben. Diese Wärmestrahlung oder, wie wir heute auch sagen, Infrarot-Strahlung nannte sich dann auch etwas mystisch “la chaleur obscure”. Eine Analogie zwischen einem Kästchen mit Glasabdeckung und der Atmosphäre ist schön und gut, aber das musste natürlich in vieler Hinsicht quantifiziert werden.
Bild 1: Samuel Pierpont Langley [1834-1906]
Claude Pouillet machte einen ersten wichtigen Schritt. Er masz mit einem unglaublich einfachen Instrument, dem Pyrhéliometer, die Solarkonstante, dass heisst die Strahlungsstärke der Sonne angegeben in Watt/m2. Mit diesen Messungen, die er im Hinterhof seines Instituts, dem “art et metiers“, durchführte, näherte er sich mit 1228W/m2 bis auf nur 10% dem heutigen Wert von 1367W/m2 an. Eine phantastische Leistung bei der auch damals schon arg verschmutzten Pariser Luft. Doch lange Zeit wurde dieser Wert nicht anerkannt und das lag an einem anderen Pionier des Treibhauseffekts, Samuel Pierpont Langley, um den es heute gehen wird.
Bild 2: Das NASA Langley Centre bei Hampton in Virginia
Zur Erinnerung, wir befinden uns nach wie vor im 19ten Jahrhundert. Die Anfänge der Quantenphysik liegen immer noch verborgen in den heranwachsenden Hirnwindungen eines kleinen Jungen namens Max Planck. Und doch beschäftigten sich schon sehr viele Physiker mit den verschiedenen Typen von Strahlungen und ihren Brech- und Beugungsverhalten. Einer der gröszten Autoritäten auf diesem Gebiet wurde der 1834 in Massachusetts geborene Samuel Pierpont Langley. Er ist einer Väter der modernen Astrophysik und ein Luftfahrtpionier ganz im Stile der wackeligen Schwarz/Weiss Filmchen, bei denen sich immer irgendwelche Wagemutigen in Seifenkisten einen Abhang hinunterstürzen. Heute ist nach ihm das älteste NASA Labor, dem Langley Centre in Virginia, benannt.
Bild 3: Das von Langley entworfene Bolometer, ein hochempfindlicher Licht/IR Strahlendetektor, der die Daten für Plancks Betrachtungen zur Strahlung eines schwarzen Körpers lieferte.
Langley wuchs in eher einfachen Verhältnissen Verhältnissen auf, die ihm unter anderem den College Besuch nicht gestatteten. Seine erste Ausbildung als Ingenieur und Architekt hatte daher auch einen sehr praktischen Aspekt. Zusammen mit seinem Bruder, der Chemiker wurde, blieb er aber immer an der Wissenschaft dran und hangelte sich langsam in der damaligen Wissenschaftshierachie nach oben. So war er Assistant Professor der Mathematik an der U.S. Naval Academy in Annapolis und Assistent am Harvard College Observatorium. Der entscheidende Moment kam, als die Western University of Pennsylvania (heute University of Pittsburgh) ausgerechnet in der meist industrialisierten Gegend der USA eine Erweiterung ihres astronomischen Allegheny Observatorium plante und dann eben auch einen neuen Chef suchte. Das Geld für all das kam von einem lokalen Mäzen namens William Thaw. Mit Samuel Langley wurde dann jemand gewählt, der den Rahmen der klassischen astronomischen Messungen deutlich erweitern wollte. Heute haben sich Astronomen und Astrophysiker ja ganz doll lieb und wissen gar nicht so recht, wer was macht und ist. Damals aber gab es doch ein arges Ringen um die wenigen verfügbaren Teleskope.
Bild 4: Zentrales Element des Bolometers, eine Wheatstone Brücke. Drei elektrische Widerstände sind bekannt. Der vierte ist eine dünne Metallfolie, Rx, die durch Licht/IR Strahlungsabsorption erwärmt wird. Ihr sich dann ändernder Widerstand wird durch einen präzisen Abgleich mit den bekannten Widerständen bestimmt.
Langleys wohl enscheidender Beitrag war die Konzeption und der Bau eines damals revolutionären Instruments zur Vermessung der IR Strahlung, ein Instrument mit dem schönen Namen Bolometer (ich konnte nicht so recht rauskriegen, wo der Name herkommt Aber Leser Sascha konnte. Es kommt aus dem Griechischen bolein, “werfen”, “strahlen”. Ein bolometer ist logischeweise also ein Strahlungsmesser.). Von aussen betrachtet ist das Bolometer ein relativ schmales Rohr mit einem Eintrittsspalt für das einfallende Licht. Im Inneren befindet sich eine sogenannte Wheatstone Brücke, eine ringförmig angebrachte Schaltung von vier elektrischen Widerständen. Drei dieser Widerstände sind sehr gut bekannt, der vierte Widerstand ist eine sehr dünne metallische Folie, die höchst sensibel auf Temperaturänderungen reagiert. Bekanntlich ist ja der elektrische Widerstand eine Funktion der Temperatur des leitenden Metalls. Das einfallende Licht/IR Strahlung wird also von diesem Metallstreifen absorbiert, dieser ändert die Temperatur, die wiederum den Widerstand ändert. Schwups haben wir ein potentiell höchst empfindlichen und kalibrierbaren Strahlungsdetektor.
Bild 5: Das heutige Mount Wilson Observatorium. Langley führte auf dem 1740 Meter hohen kalifornischen Berg Messungen des solaren nahen IR Spektrums durch, damals noch ganz ohne Observatorium.
Die Schmerzen stecken auch hier im Detail. Die ganze Schaltung wurde damals von einer Batterie alimentiert, deren Spannung natürlich nicht so stabil war, wie man es eigentlich bräuchte. So driftete die abgelesene Stromstärke die ganze Zeit fröhlich herum (sie wird per regelbaren Widerstand immer auf null gebracht) und jede Messung musste x-Mal wiederholt werden. Der Metallstreifen absorbiert die einfallende Strahlung leicht frequenzabhängig, was einem, wenn man quantitative Messungen bis hinein ins ferne infrarote Spektrum unternehmen will, schonmal ein paar graue Haare kosten kann. Doch das Schlimmste war vielleicht, dass Langley ja den gesamten Spektralbereich eines strahlenden Körpers vermessen wollte. Das heisst, dass das einfallende Licht aufgespalten werden muss, Linie für Linie. Das tat man damals mit Prismen. Da klassische Glasprismen aber im wesentlichen nur das sichtbare Licht brechen, brauchte es anderer Materialien. Es stellte sich nun heraus, dass die Kristalle eines Minerals mit der chemischen Zusammensetzung NaCl Brecheigenschaften bis ins Infrarote hinein besassen. Ich möchte gar nicht daran denken, was es bedeutete Salz in Prismenform zu bringen.
Bild 6: Aus einer Originalarbeit von Langley. Messung des Strahlungsspektrums der Sonne und eines auf ca 100°C erhitzten Körpers. Die Abzisse geht von 0 bis ca. 13 mikrometer. Solch präzisen Messungen bei solch niedrigen Temperaturen waren vor Langley nicht möglich.
Die ersten Bolometer baute Langley noch selber und arbeitete dann mit dem Instrumentenbauer William Grunow zusammen. Dieser verkaufte seine Instrumente später, als sie durch Langleys Messungen populärer wurden, auch an die damals führenden deutschen physikalischen Institute, unter anderem an Otto Lummer, der an Helmholtz’ Lehrstuhl arbeitete und der dann später die entscheidenen Messungen durchführte, die zu Plancks Strahlungsgesetz schwarzer Strahler führte. Dieser William Grunow nun schrieb an Samuel Langley in einem Brief einen der schönsten Sätze, die je die Leiden eines besessenen und schiesslich resignierenden Instrumentenbauers beschrieben haben.
I feel sorry to perceive my inability to follow up the making of bolometers, on account of the circumstances of my situation, the bad effect on my health (eyes and nerves) caused by the anxiety which the making of bolometers always creates on me, and by the knowledge that I should give up the making of them, rather then continue without being able to improve or perfect them.
Überflüssig zu erwähnen, dass es Langley war, der immer präzisere und empfindlichere Bolometer verlangte. Indem er den armen Grunow in den körperlichen und nervlichen Ruin trieb, gelang es ihm schliesslich, dass in Bild 6 gezeigte Spektrum zu messen.
Schade nur, dass die Messungen ursprünglich nicht die Wellenlänge der untersuchten Strahlung lieferten, sondern deren Brechungswinkel im Steinsalzprisma! Wie also an die physikalischen Einheiten Wellenlänge oder Frequenz kommen, wenn man im Infraroten arbeitet, wo die gängigen Prismenkalibrierungen nicht mehr funktionieren?
Er erzeugte dazu mit Hilfe eines Beugungsgitters aus dem Sonnenspektrum einen Strahl, der einer bekannten Fraunhofer Linie (die D Linie liegt im dritte Ordnungs Spektrum bei ca 0.6 Mikrometer) entsprach. Das zweite und erste Ordnungspektrum der Fraunhoferlinie konnte man dann mit der Formel für solche Beugungsgitter berechnen und Langley brauchte sie nur noch in seiner Prismazerlegung wiederfinden. Siehe für den Versuchaufbau auch Bild 7. So kam er an die Kalibrierung seiner Prismen (Wellenlänge in der Abhängigkeit des Brechungswinkels) bis tief ins Infrarote hinein. Genauer eben bis ca. 13 Mikrometer, dann war bei allen damals bekannten Prismen Feierabend.
Bild 6 zeigt nun einmal das von ihm auf dem Mount Wilson gemessene Sonnenspektrum, also das Spektrum eines schwarzen Strahlers bei einer Temperatur von ca. 5000 Grad, und das ebenfalls mit Langleys Bolometer gemessene Spektrum eines Körpers von nur 100 Grad. Eine absolute technisch-wissenschaftliche Meisterleistung zu seiner Zeit.
Bild 7: Kalibrierung des Bolometers und insbesondere des vorgeschalteten Steinsalzprismas. Ein Beugungsgitter G liefert ein bekanntes Spektrum von Fraunhofer Linien, die dann im Spektrum des Prisma wiedergefunden werden müssen.
So konnte Langley die Aufspaltung eine IR Strahls im Prisma eichen.
Langley ist mehrmals auf den 1700 Meter hohen Mount Wilson gekraxelt, weil er sich dort fern der in der unteren Atmosphäre störenden Absorption (Verschmutzung, Wasserdampfs) der Sonnenstrahlung wähnte. Er fand in seinen Messungen dort eine Vielzahl der hauptsächlich dem Wasserdampf geschuldeten Absorptionslinien im nahen Infrarot des Sonnenspektrums, die bis dahin völlig unbekannt waren. Aus dem gesamten so gemessenen Sonnenspektrum berechnete er fälschlicherweise eine Sonnenkonstante von 2140W/m2, deutlich schlechter als unser Wissenschaftsheld aus dem zweiten Teil der Greenhouse-Saga, Claude Pouillet. Da er aber damals schon eine absolute Autorität in seinem Fach darstellte und unzweifelhaft seine Messungen deutlich aufwendiger als die Pouillets und, wie man heute sagen würde, technologisch “cutting edge” waren, galt dieser Wert der Solarkonstante für die nächsten 20 Jahre nach seiner Mount Wilson Expedition als Referenzwert.
Bild 8: Von Samuel Langley gebautes Observatorium zur Messung des IR Spektrums des Mondes.
Damals konnte man noch Grossprojekte starten und am Ende resigniert die Schultern heben: Hat eben nicht funktioniert. Heute wollen wir Köpfe rollen sehen, wenn am CERN das LHC nicht innerhalb einer Woche nobelpreiswürdige Resultate liefert. Langley hatte ebenfalls solch ein für damalige Verhältnisse Grossprojekt gestartet. Der von ihm veranlasste Anbau an das Pittsburgher Allegheny Observatorium (siehe Bild 8) hatte beeindruckende Dimensionen. Sein Ziel war es, mit hochpräzisen IR Messungen das Spektrum des Mondes zu vermessen und daraus dessen Strahlungsfluss (die Mondkonstante sozusagen) zu bestimmen. Man kann sich sicher schon denken, dass es nicht so einfach ist, die Infrarotstrahlung eines fast eine halbe Millionen Kilometer entfertnen Objekts mit Temperaturen zwischen -150°C bis +120°C zu bestimmen, und nach nur 5 Jahren verbissener Arbeiten gab Langley schliesslich auf. Doch bei diesen Messungen produziert er sozusagen als Beiprodukt einen Datensatz von 24 Absorbtionsserien mit insgesamt 700 Linien, die das Absorptionsverhalten der terrestrischen Atmosphäre katalogisierten. Zwanzig Jahre später sollte dieses Nebenprodukt der gescheiterten Messung der Mondkonstante das Interesse eines schwedischen zukünftigen Nobelpreisträgers der Chemie namens Svante Arrhenius erregen. Aber das ist eine andere Geschichte.
PS. Schon beim letzten Posting zur Geschichte des Treibhauseffekts wurde bemängelt: Und wo bleibt John Tyndall? Über den gibt es für die ganz Neugierigen bereits sehr viel Material im Internet. Er war der erste, der Gasabsorptionsmessungen insbesondere mit CO2 durchgeführt hat. Ich lese gerade sein 1872 erschienenes “Radiant Heat”. Also noch etwas Geduld.
PPS. Genau wie die vorherigen “Historien Postings” wurde auch dieses von der tollen Habilitationsschrift von Jean-Louis Dufresne motiviert. Ferner sei noch auf einen Artikel der Wissenschaftshistorikerin Andrea Loettgers aufmerksam gemacht: “Samuel Pierpont Langley and his Contributions to the Empirical Basis of Black-Body Radiation” aus dem die meisten Abbildungen stammen..
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