Die französische Regierung hat ja, wie ich gestern berichtete, die Taxe Carbone gekippt. Nicolas Sarkozy persönlich hatte noch vor 6 Monaten in einer an Rhetorik schwer zu überbietende Rede versichert, dass diese Ökosteuer (das Wort Steuern für das Ganze ist recht verwirrend, aber ich habe im Moment keinen anderen Ausdruck) eingeführt würde und dass dies ein zentrales Versprechen seiner Präsidentschaft darstellt. Nun ist die Sache also gekippt und dem grossen “Was-soll-ich-gesagt-haben?” übergeben worden. Da dachte ich mir, Zeit für einen kleinen historischen Überblick zum Thema Lüge, Verrat, Wahlversprechen und all das.
Fall 1: Walter Ulbricht und die Mauer.
Was wurde gesagt?
Wie lange von Aussage bis vollzogener Lüge 2 Monate.
Was passierte? Die Aussage stammt von einer Pressekonferenz am 15 Juni 1961. Am 11. August gingen die Arbeiten los.
Wie sieht man die Geschichte aus der Distanz? Die Mauer wird sicher von der Mehrheit der Betroffenen wie auch der Historiker als Verbrechen betrachtet. Ich bin mir nicht sicher (ich hoffe, niemand versteht das jetzt falsch), ob es eine Diskussion gibt oder gab, ob die DDR als Staat hätte weiter existieren können, ohne die Mauer zu errichten.
Konsequenz fuer den Lügner? Keine und schon gar keine negative. Ulbricht war einer der unbeliebtesten Politiker dieser Zeit überhaupt (in Ost und West) und das hat sich auch nach seinem Tod unter anderem dank der Mauer nicht gebessert.
Fall 2: George Bush senior und die Steuern
Was wurde gesagt? Read my lips, no new taxes!
Wie lange von Aussage bis vollzogener Lüge ca. 2 Jahre.
Was passierte? George Bush senior gab dies hohe Versprechen beim Nominierungsparteitag 88. Da anders der Haushalt nicht auszugleichen war, wurden nach einigen Verhandlungen mit dem damals demokratischen Senat und Repräsentantenhaus verschiedene Verbrauchssteuern raufgesetzt (Mineralölsteuer). Die Verteidigungslinie betonte dann, dass diese Steuern ja nicht NEW sein. Ein subtiles logisch korrektes Argument, was niemanden so recht überzeugte.
Wie sieht man die Geschichte aus der Distanz?
Es gab keine andere Lösung.
Konsequenz fuer den Lügner? Sowohl der parteiinterne Gegenkandidat Buchanan als auch später der siegreiche Bill Clinton heizten ihn damit ganz schön ein. Das gebrochene Versprechen hat wohl sehr zu Bushs Niederlage beigetragen. Die Geschichte geht aber meist mit diesem Klassiker aller Politikerlügen (keine Steuererhöhungen) sehr milde um. Zumindest habe ich nicht den EIndruck, dass Bushs Bild im Nachhinein wesentlich von der Steuerlüge geprägt ist.
Fall 3: Barschel und das Ehrenwort
Was wurde gesagt?
Wie lange von Aussage bis vollzogener Lüge Null.
Was passierte? Barschel liess bekanntlich den damaligen SPD Kandidaten Engholm bespitzeln. Als das herauskam, leugnete er mit dem obigen Ehrenwort und einer eidesstattlichen Erklärung alles ab.
Wie sieht man die Geschichte aus der Distanz? Der Medikamentenkonsum (Tavor!)der deutschen Politelite steht unter starker Beobachtung.
Konsequenz fuer den Lügner?
Wahrscheinlicher Selbstmord mit einem weiteren Medikamentenmix.
Fall 4: Nixon und die Behinderung der Justiz.
Was wurde gesagt?
Wie lange von Aussage bis vollzogener Lüge
0. Diese Pressekonferenz fand am 11 November 1973 statt, das kritische Gespräch zwischen Nixon und seinem Berater John Dean bereits am 21ten März desselben Jahres. In diesem Gespräch diskutierten die beiden wie der Watergate Skandal vertuscht, d.h. nicht in einen Zusammenhang mit dem Präsidenten gebracht werden könnte. Die Zahlung von Schweigegeldern wurde vereinbart.
Was passierte? Watergate ist die Mutter aller “-gates” und jeder kennt die Story. Dustin Hoffman hat alles rausgekriegt.
Wie sieht man die Geschichte aus der Distanz?
Hmm. Ist es übertrieben? Aber ich hab den Eindruck seit Watergate halten alle alles für möglich in der Politik und meine Vermutung ist, dass es mindestens 50% weniger Konspirationsbesessene in der Welt gäbe ohne diesen Skandal.
Konsequenz für den Lügner?Schmählicher Rücktritt. Immerhin hatte Nixon erste Schritte unternommen den Vietnamkrieg zu beenden, was ihm vielleicht ein relativ positives Image gesichert hätte. So wurde da aber nix draus.
Fall 5: Angel Acebes und der 11-M
Was wurde gesagt?
Wie lange von Aussage bis vollzogener Lüge Die Sache zog sich relativ lange hin, aber viele Menschen sahen die obigen Aussagen schon Stunden später als Lüge an.
Was passierte? Am 11ten März explodierten im Madrider Zentralbahnhof Atocha insgesamt 100 Kilo Sprengstoff, eine Explosion, die 191 Tote zur Folge hatten. In der Aufzeichnung oben assoziiert Acebes, der damalige spanische Innenminister, die ETA mit dem Anschlag, obwohl Grössenordnung des Anschlags und Art der Opfer absolut nicht ETA typisch waren. Das Video ist eine Aufzeichnung vom Abend des 11ten März und die Polizei hatte bereits einen Kastenwagen gefunden, der verdächtiges Material und einige islamistische Schriften enthielt. Die regierende Partido Popular, PP, verlor die nur drei Tage später stattfindenden Wahlen.
Wie sieht man die Geschichte aus der Distanz? Schon Otto
Schily regte sich damals nur wenige Tage darüber auf, dass das spanische Innenministerium keine Informationen über einen mutmasslich islamistischen Hintergrund weitergegeben hatte. Allgemein gilt wohl, dass man parteipolitische Spielchen vor Wahlen mit vielem betreiben kann, aber eben nicht mit 191 Opfern eines Terroranschlags.
Konsequenz für den Lügner?Keiner der damaligen PP Politiker (Aznar eingeschlossen), die damals die ETA Karten zogen, hat die Affäre politisch überlebt. Trotz teilweise sehr schlechter wirtschaftlicher Lage ist ein Sieg der jetzigen Oppositionspartei PP gegen die Sozialisten immer noch keine ganz klare Sache. Das Misstrauen sitzt immer noch tief.
Der Fall 6: Sarko und die Taxe Carbon
Was wurde gesagt?
Faire la taxe carbone, "c’est une question d’honnêteté"
envoyé par liberation. – Regardez les dernières vidéos d’actu.
Wie lange von Aussage bis vollzogener Lüge 6 Monate
Was passierte?Die Taxe Carbone war das Herzstück der Umweltpolitik Sarkozys. Er hat sie nun nach Druck aus den eigenen Reihen, die eine Reaktion auf die verlorenen Regionalwahlen forderten, zurückgezogen.
Wie sieht man die Geschichte aus der Distanz? Wissen wer noch nicht.
Konsequenz für den Lügner? Es könnte sein Waterloo werden.
Die Lüge ist ein riskantes Terrain und es ist kaum zu erkennen, wann ein Politiker sie überlebt und wann nicht. Solche Formulierungen wie “read my lips” oder “Ehrenwort” werden vom Publikum in recht archaischer Weise immer noch sehr ernst genommen und fügen der ja ohnehin gefährlichen Lüge weiteren Sprengstoff hinzu. Kulturelle Unterschiede kommen hinzu und was ein Spanier noch zu vergeben bereit ist, ist ein US -Amerikaner vielleicht nicht mehr bereit zu verzeihen. Was dem Lügner grundsätzlich helfen mag, ist ein stark polarisiertes politisches Umfeld. Wenn man sich quasi in einem ideologischen Krieg mit einem verhassten Gegner befindet, dann sind die Seinen schonmal bereit eine Lüge als notwendiges Übel zu verzeihen. Letzteres gilt insbesondere bei Ulbricht, Cheney, Rumsfeld, Bush und in Maszen bei Acebes. Die Linke und die PP gehen in Spanien immer noch miteinaner um, als stünde Franco mit Truppen in Casablanca bereit um überzusetzen. So blieben, PP intern zumindest, alle bei der vorgegebenen Linie, dass die ETA am Atocha Attentat beteiligt sei, als das längst völlig absurd war, nur um keinen Zoll den Sozialisten zu weichen.
Was kann man vor dem Hintergrund über Sarkozys Taxe Carbone sagen? Kann es ihm das politische Genick brechen? Hier die Pros und Cons:
Pro: “Une question d’hônneté” sagte er und das ist auch in Frankreich, wo dem politischen Personal ein gewisser Spielraum bei der Interpretation der Wahrheit eingeräumt wird, sehr gefährlich für ihn. Die Opposition ist erstarkt und, seit Cohn-Bendit den Laden bei den Grünen hier schmeisst, sind Öko-Themen durchaus in. Sie werden diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen. Das entsprechende Video mit Sarkozys Rede wird in den nächsten Wahlkämpfen Non-Stop zu sehen sein.
Cons: Keiner versteht wofür die Taxe Carbon genau da ist (Keiner ist vielleicht ein bisschen übertrieben) und ausserdem, sei es doch eine Steuer (was eigentlich nicht stimmt, denn eine Steuer endet im Staatssäckel und das tut die Taxe Carbone eben nicht). Ausserdem murmelt Sarkozy was von “Aufgeschoben ist nicht Aufgehoben”, was vielleicht eine haltbare Verteidigungslinie ist.
Wer hat noch schöne Beispiele von politischer Lüge und Verrat zu bieten? Ich glaube, das bietet doch reichlich Stoff für die Zukunft. Natürlich werden alle sagen: Hey, wo bleibt Rumsfeld, Cheney und Dobbleyou? Das stimmt sicher. Das Problem ist bei den Dreien: Welche Lüge? Es sind einfach zu viele.
PS Zu diesem Posting haben Scienceblogs-intern beigetragen: Jürgen Schönstein, Jörg Friedrich, Ali Arbia
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