Bei den Temperaturrekonstruktionen für die letzten tausend Jahre à la Mann,Jones,Esper,Moberg,Juckes werden immer wieder zwei Kritikpunkte genannt:
1) Statistisch-mathematische Probleme, die mit den meist verwandten Regressionsmethoden zu tun haben. Damit sind also alle Methoden gemeint die einen linearen Zusammenhang zwischen Proxy (Baumring, Eiskern, Seesediment etc.) einerseits und meteorologischen Messungen andererseits erstellen. Ich will nicht in die Details gehen, aber sagen wir mal, es wäre nett, wenn man noch andere Methoden zu Hand hätte, um Proxy-Daten in Temperatur-muster und -serien zu überführen.
Bild 1: Lage und Zahl der verwandten Proxies.
2) Diese auch im letzten IPCC diskutierten globalen Rekonstruktionen (“global” ist nicht ganz richtig, tatsächlich beschäftigt sich die überwiegende Mehrheit dieser Arbeiten immer nur mit der Nordhemisphäre) benutzen unter anderem die Annahme, dass Korrelationen zwischen den Proxys und manchmal weit entfernten Temperatur-Variationen über die Zeit konstant bleiben. Als Beispiel nehmen wir mal einen hypothetischen Baum im Noreste Brasiliens, der stark auf Niederschlagsvariationen reagiert. Letztere hängen von ENSO Variationen ab und die haben bekanntlich was mit den Temperaturen im Pazifik zu tun, also mit Temperatur-Variationen die viele tausend Kilometer von dem Baum entfernt stattfanden. Die Konstanz dieser “Tele-connections” über einige hundert Jahre hin, ist natürlich mit Unsicherheiten behaftet, die innerhalb des Ansatz selbst nicht weiter abgeschätzt werden können.
Daher werde ich hier mal ein bisschen Werbung für ein gerade neu herausgekommenes Paper Werbung machen, das auf die beiden Kritikpunkte in gewisser Weise eingeht. Das Paper von Joel Guiot und Kollegen (auch aus meinem Labor) ist an einer etwas ungewöhnlichen Stelle (Webseite) veröffentlicht und darum diese “Werbekampagne”.
Joel Guiot benutzt statt einer Regressions-Methode eine sogenannte Analog Methode. Diese Methode wird wohl gerne in der Pollen-Paläontologie verwandt und versucht gewissermaszen, “auf einen Schlag” die Unterschiede zwischen einem Proxydaten-feld und einem Temperaturfeld zu minimieren. Hier wird dieses Analog Verfahren kombiniert mit einer Zerlegung der Daten in einen langsam variierenden (niedrigfrequenten) Anteil und einen schnellen, von Jahr-zu-Jahr variierenden (hochfrequenten) Anteil, um das Problem der ebenfalls problematischen Trennung dieser Variationen in den Baumringen zu vermeiden. Dieser Teil des Papers erinnert daher an Anders Mobergs Ansatz, welcher ja die von allen Milleniums-Rekonstruktionen die stärksten centennialen Variationen produziert hat, eben weil diese durch das Verfahren nicht mehr von den vermeintlich “flachen” Baumringserien mitkontrolliert werden. Ich hab letztlich keine rechte Ahnung, ob das nun das “bessere” Verfahren ist oder nicht.
Bild 2: Vergleich der lokalen Temperaturrekonstruktion mit der Ausdehnung des Aletsch Gletschers (oben) und einer Gruppe skandinavischen Gletscher.
Das zweite oben genannte Problem der Rekonstruktionen wurde schlicht dadurch umgangen, dass hier nur Europäisches Klima rekonstruiert wurde. Kaum eine Region hat soviele exzellente Paläorekords aufzuweisen, die obendrein noch mit vielen klimarelevanten historischen Quellen verglichen werden können. Die verwandten Proxies sind eher sensitiv auf Variationen der Sommertemperatur, weshalb es sich hier auch um eine Rekonstruktion der April-September Temperaturen handelt.
Bild 1 zeigt die Verteilung der benutzten Proxies. Wenn auch hier wieder die Baumringe dominieren, tragen sie fast ausschliesslich zu dem hochfrequenten Anteil der Rekonstruktion bei. Um 1300 geht die Zahl der Proxies deutlich herunter, bleibt aber mit um die 50 für eine “kleine” Region wie Europa immer noch recht beachtlich. Eine einfache Evaluierung der lokalen Information (die Temperaturrekonstruktion findet ja auf einem Gitter statt, welches es somit erlaubt, zwischen den einzelnen Proxies mit der Analog Methode zu “interpolieren”) mit dem Vorstossen und Zurückweichen des Aletsch Gletscher in der Schweiz (Bild 2 oben) und einer Gruppe skandinavischer Gletscher (Bild 2 unten) zeigt, dass die Analog Methode hier eine ganz sinnvolle Temperaturrekonstruktion darstellt. Die gerade für Europa charakteristischen Klimaepochen MWP (Medieval Warm Period) und LIA (Little Ice Age) kann man ganz gut erkennen, man sieht aber auch wie unterschiedlich diese beiden Phasen allein in Europa ausfallen (Bild 3).
Bild 3: Europa (siehe das Gitter oben) wurde aufgeteilt in vier Subregionen. Dargestellt sind die Temperaturen des Sommerhalbjahrs.
Der Temperaturverlauf (Bild 3) hat nichts von einem flachen Hockeystick und sieht relativ Mobergesque aus. Trotzdem ist man im Norden Europas in den letzten Dekaden über das Niveau jeder Warmzeit des Mittelalters hinausgestossen. Auch Europaweit (unterste Kurve in Bild 3) stellt die letzte Dekade die wärmste der letzten 1300 Jahre dar, wenn auch nur haarscharf. Selbst innerhalb einer sehr kleinen Region wie Europa fällt das Timing und die Stärke dieser Epochen sehr unterschiedlich aus. Während man im Südwesten Europas am ehesten von einer langen und relativ uniformen Warmzeit im Hoch- und Spätmittelalter (800-1200) sprechen kann, taucht im Nordosten gerade mal eine kurze Warmzeit im 7ten Jahrhundert auf. Ein Intervall in der kleinen Eiszeit um 1600 herum taucht in allen vier Sub-Regionen gleichzeitig auf und lässt natürlich an eine gemeinsame Ursache denken. Doch gerade diese Phase der LIA entspricht gerade NICHT dem Maunder Minimum, der Phase schwächster Sonnenaktivität im letzten Jahrtausend. Die begann nämlich um 1665 herum dauerte bis ca. 1705 und passt eben nicht wirklich zu dem hier relativ deutlichen Temperaturminimum. Sowohl, was die Identifikation bestimmter “allgemein bekannter und ackzeptierter” Warm- oder Kaltphasen angeht, als auch, was deren “wahrscheinlichen” Ursachen betrifft, handelt es sich beim Klima der letzten 1000 Jahre um ein verdammt kompliziertes Problem.
Bild 4: Temperaturanomalien nach den gröszten bekannten Vulkanerruptionen auftraten.
Richtig interessant scheint mir aber ein anderes Resultat dieses Papers, nämlich eine Analyse der Temperaturmuster, die den Variationen der beiden wichtigsten natürlichen Forcingfaktoren entsprechen: Vulkanerruptionen einerseits (gerade wieder aktuell) und die Variationen der Solarkonstante. Es gehört ja zu den unglückseligen Zufällen der Paläoklimatologie, dass es immer dann, wenn die Sonne relativ schwach vor sich hinfunzelte, es gleichzeitig zu einer Häufung von Vulkanerruptionen kam. Ein Zufall, der Generationen von Paläoklimatologen in die Depression treibt: Wars die Sonne oder der Vulkan?
Das letzte Jahrtausend war gespickt mit Vulkanerruptionen, ich erwähne nur mal drei der wichtigsten: Tambora (Indonesien) 1815, Krakatoa (Indonesien), 1883, Kuwae (südlicher Pazifik), 1453. Die europäischen Temperaturmuster in den Jahren nach einer Eruption ähneln sich immer sehr (Bild 4). Während natürlich global die Aerosole zu einer verstärkten Reflektion des einfallenden Sonnenlichts und somit zu einer Abkühlung führen (der Pinatubo Ausbruch im Jahre 1993 etwa zu einer Abkühlung) ist der Effekt regional durchaus komplizierter. Das Sonnenlicht wird in der unteren Stratosphäre teils reflektiert, teils im nahen Infrarot des Sonnenspektrums absorbiert. Es ist eine beachtliche Bestätigung der hier gezeigten Temperaturrekonstruktionen, dass sie solche nicht-trivialen Temperaturmuster über das ganze Millenium hinweg nachvollziehen kann. Diese Muster sind erst im Zusammenhang mit der Pinatubo Erruption klar beobachtet (hier und hier) und verstanden (hier) worden .
Bild 5: Temperaturmuster, die mit den Minima und Maxima der Sonnenaktivität assoziiert sind.
Wie sieht es nun mit dem Einfluss der Sonnen-Maxima und Minima aus? Guiot fasste die fünf deutlichsten Aktivitäts-Maxima und -Minima zusammen und analysierte die entsprechenden Temperaturmuster (Bild 5). Die Sonnenmaxima ähneln sich noch am ehesten. Vier der fünf Temperaturmuster zeichnet ein Maximim in Zentral und Südeuropa aus. Die Minima aber ähneln sich weder in ihrem Muster, noch im Vorzeichen der Temperaturreaktion gemittelt über die gesamte Region. Insbesondere das Maunder-Minimum erscheint leicht wärmer in der Perspektive des Klimas der letzten 1000 Jahre. So kann das manchmal gehen.
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