Ich wollte noch einmal auf einige Punkte zurückkommen, die bei der Diskussion um die Guiot Rekonstruktion angefallen sind und auf die ich keine Zeit hatte zu antworten. Bereits in der Einleitung meines letzten Artikels zum Thema habe ich erwähnt, warum ich gerade diese neue Studie interessant finde. Sie benutzt nicht unbedingt bessere, aber andere, unabhängige, statistische Kalibrationsmethoden als die klassischen linearen Korrelationstechniken à la Mann oder Juckes. Ich habe sie NICHT vorgestellt, weil sie das letzte Wort in Sachen millenaren Paleotemperaturen sein soll. Interessant ist gerade die Methode und das Verfahren und dann eben der Vergleich mit den anderen Studien.
Bild: Hach, der Brugel. Wer ihn mal googlet, findet eigentlich deutlich mehr Indian Summer Bilder als frostige Winterszenen. Aber irgendwie ist er zum Pictor Maximus der kleinen Eiszeit geworden, weiss der Kuckuck wie.
Es gab im wesentlichen vier Kritikpunkte (ausser dem üblichen Ranting):
1) Guiots Studie sei im flagranten Widerspruch zu existierenden Paleo-studien. Insbesondere die entweder neutral oder sogar leicht wärmer als normal ausfallenden Phasen schwacher Sonnenaktivität, die Guiot zeigt, seien “offensichtlicher Unsinn”.
2) “Hide the Decline”: Der gezeigte rekonstruierte Temperaturverlauf divergiere von den wirklichen gemessenen Temperaturen. Die gezeigten Grafiken verdeckten diese Tatsache.
3) Die rekonstruierten Temperaturverläufe seien im Widerspruch zu den Gletschervorstössen und -rückzügen.
4) Die rekonstruierte europäische Variabilität sei kleiner als die einiger globaler Studien. Das könne nicht sein.
Hier nun zuerst zu Punkt 1.
Ein überraschendes Feature der Guiot-schen Temperatur Rekonstruktion war das Fehlen eines klaren Signals für die bekannten Sonnenaktivitäts-Minima (Oort, Wolf, Sporer, Maunder, Dalton). Hingegen zeigte die Studie ein zwar nicht überwältigendes, aber immerhin doch konsistentes Signal für die unbenannten Maxima (siehe Bild 5 im ersten Primaklima Beitrag dazu). Das wurde heftig kritisiert und so habe ich mal nach weiteren unabhängigen Studien Ausschau gehalten.
1) Weinernte-Daten aus der Schweiz (Meier et al., GRL 2007).
Bild 1: Sommertemperaturen basierend auf Weinerntedaten aus der Schweiz.
Zwei Drittel der Zeitspanne von 1665 bis 1705 liegen leicht über dem Mittel (Bild 1) definiert als die Zeitspanne von 1960-1990. Dann in vielleicht einer Dekade zum Ende hin liegen deutlich kühlere Temperaturen vor. Das kürzere Dalton Minimu ist ebenfalls etwas kälter als das gewählte klimatologische Mittel. Die kälteste Zeitspanne liegt zwischen 1720-1780, also gerade in einer Zeit, in der die Sonne relativ aktiv war.
Bild 2: Vergleich der Schweizer-Rekonstruktion basierend aus Weinernte-Daten mit 5 anderen Studien (siehe hier).
Im selben Papier findet sich ein Vergleich mit 5 weiteren Zeitserien/Rekonstruktionen. Die meisten zeigen bzgl. des Maunder und Dalton Minimums ähnliches Verhalten. Nur die Schweizer Baumringserien von Ulf Büntgen zeigen stärkere centenniale Variabilität und klarere Signale. Erstaunlich auch deshalb, weil Büntgens Baumringe in die Arbeit Guiots mit eingegangen sind. Jedoch führt Guiots Ansatz wohl dazu, dass von den Baumringen immer nur der hochfrequente Anteil genommen wird.
Würde man ohne weiteres Wissen, wann es denn nun ein Sonnenaktivitäts-Minimum gegeben hat, die Meiersche oder auch die Guiotschen Temperaturkurven anschauen, man würde das Maunder-Minimum nicht als eine klar markante Klimaepoche erkennen können. Erst etwas verspätet habe ich festgestellt, dass die Meierschen Erntedaten in Guiots Paper mit drin sind. Wie sieht es aber bei anderen Analysen aus?
2) Weinernte-Daten aus Wien/Österreich. Diese Datums-Angaben werden deshalb so gerne genommen, weil sie meist besser mit den Temperaturen über die Kalibrationszeit hin korrelieren (Parson R von 0.6 bis 0.7 sind keine Seltenheit) als die Baumringe und natürlich perfekt datiert sind. Bild 3 zeigt die Rekonstruktion der Sommertemperaturen, die leider diesmal eine sehr kurze Kalibrationszeit hat, da die Weinernte in dieser Region nicht bis an die Neuzeit fortgeführt wurde. Ich lasse mal jeden selber entscheiden, ob er ein klares Maunder und Dalton Minimum sieht.
Die kältesten zwei Dekaden fallen in Übereinstimmung mit einer Studie, die bei uns durchgeführt wurde (Etien et al.) in das Interval 1770-1780, also genau VOR dem Dalton Minimum. Es ist ein Kreuz.
Die Autoren kommentieren dies mit einer etwas überraschenden Zusammenfassung:
The fact that the absolute minimum can be found in the decade 1771-1780 as also in Etien et al., (2008), which is known for being rather cold (Maunder Minimum) confirms a successful reconstruction.
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Guiot meint, dass das Maunder Minimum zwischen 1665 und 1705 fällt, Wikipedia ist etwas grosszügiger und nennt 1645-1715.
Bild 3: Weinerntedaten aus Österreich.
Ist wohl auch ein bisschen Geschmacksfrage. Was nehmen wir als Indikator für die solare Aktivität? 14C?
Bild 4: Solare Aktivität basierend auf 14C Radioisotopen übers letzte Jahrtausend hinweg
Oder doch lieber Sonnenflecken?
Bild 5: Astronomisch beobachtete Sonnenflecken.
3) In Guiots Rekonstruktion tauchen in der Tat “historische Quellen” auf. Es handelt sich aber ausschliesslich um Weinerntedaten, eine Information die, trotz Änderungen von Anbautraditionen, Rebsorten etc., ganz besonders “objektiv” erscheint und sehr erfolgreich über die Kalibrationsperioden funktioniert.
Es gibt aber noch viele andere historische Quellen, die in den letzten Jahren erfolgreich von einer rein deskriptiven, qualtitiven Ebene zu wirklich quantitativen Information veredelt wurden. Die eigentlichen Quellen sind sehr unterschiedlicher Natur, beispielweise den Beginn der Segelsaison im Stockholmer Hafen, welche vom Eis in der Ostsee abhängt und daher Rückschlüsse auf die Winter/Früjahrs Temperaturen zulässt. Solche Zeitserien werden sodann digitalisiert (beispielsweise auf einer Skala zwischen -3 und +3 verteilt). Petr Dobrovolny plublizerte mit Anders Moberg und Christian Pfister und einigen anderen eine Zusammenstellung all dieser historischen Quellen. Es sei also besonders unterstrichen, dass dies genau die häufig von Skeptiker angeführten “offensichtlichen” historischen Informationen sind, die zumindest nach ihrem Daführhalten soviel glaubwürdiger sind als meinethalben die “trügerischen” Baumringe. Die Dokumente stammen aus der Schweiz, Deutschland, Tschechien, Slowenien und Polen. Bild 6 zeigt das
Zentraleuropäische Mittel.
Bild 6: Historische Quellen nach Dobrovolny et al.
Hier kommt jetzt sowohl für das Maunder und das Dalton Minimum das Timing einigermaszen hin, die kälteste Dekade und der längste Temperaturabfall findet aber z.B. gerade zwischen 1550 und 1600 (kälteste Dekade dürfte zwischen 1585 und 1595 liegen), einem Zeitabschnitt mit stetig ansteigender solaren Aktivität, die um 1600 herum ein lokales Maximum erreichte (siehe die 14C Daten oben).
4) Es gibt bekanntlich andere Methoden Multiproxy Temperatur-Rekonstruktionen zu erstellen – basierend meist auf linearen Korrelationen zwischen den Proxies und den Temperaturen der Kalibrationsperiode. Sie haben so klangvolle Namen wie “PC Regression” oder “RegEM”. Jürg Luterbacher und Co-Autoren haben diese “klassische” Methode (im Vergleich zu Guiots Analog-Methode) auf eine Vielzahl europäischer Proxy-Records angewandt (es gibt mit Sicherheit einen Überlapp mit Guiots Proxy, insbesondere bei den Baumringen). Wieder ist der kälteste Zeitabschnitt im Sommer kurz vor 1600. Das Maunder Minimum ist je nach verwandter Methode leicht wärmer als das 20te Jhd (= Referenzperiode ist hier das ganze 20te Jhd), oder leicht kälter als die Referenzperiode. Timing und Amplitude der rekonstruierten Temperaturen für Sommer und Winter haben keinen sehr klaren Zusammenhang mit den Minima der Sonnenaktivität (am ehesten noch im Winter). Das Problem wird gerade dann deutlich, wenn man, wie zB Herr Malberg, einen “eindeutigen Zusammenhang” zwischen den europäischen Temperaturen zum Ende der kleinen Eiszeit (1870-1940) und der solaren Aktivität sieht. Für diesen Temperaturanstieg (1850-1940) scheint es doch ganz gut zu stimmen mit der Sonne und den Temperaturen? Allein das Problem ist, dass es viele Zeitabschnitte vorher gibt, bei denen es nicht oder zumindest nicht so schön klappt.
Bild 7: Multiproxystudie für Europa nach Luterbacher et al. 2004.
Zusammenfassung: In dem kleinen Überblick hier habe ich in ein paar jüngst erschienenen Studien nachgeschaut, ob Guiots Rekonstruktion in einem klaren Widerspruch zum Stand des Wissens in Sachen Paleo-rekonstruktionen der europäischen Sommertemperaturen stehen. Ich selbst bin sicher nach wie vor überzeugt, dass es einen Zusammenhang zwischen Sonnen-Aktivität und Klima gibt, wenn auch einen relativ schwachen. Aber, einmal überlagert mit dem vulkanischen Forcing und rein stochastischen Variationen, lässt sich dieser Zusammenhang in Amplitude und Phase nur extrem schwer finden. Wintertemperaturen geben ein etwas klareres Signal als die hier diskutierten Sommertemperaturen, bei denen selbst die Phase niedrigster Sonnenaktivität des letzten Jahrtausends, dem Maunder Minimum, kaum nennenswerten Einfluss zeigt.
Ein solarer Einfluss auf die NAO respektive AO, die ja im wesentlichen Winterphänomene sind, via stratosphärischer Zirkulation (QBO) findet sich durchaus in der Literatur. Jeder dieser Zusammenhänge ist statistischer Natur, also “gestört” durch grosse interne Klimavariabilität. Die vorgeschlagenen Mechanismen, die einen solaren Einfluss auf QBO, dann Stratosphäre, dann arktischer Oszillation und schliesslich Wintertemperaturen in mittleren Breiten haben sollen, sind durch die Bank noch umstritten und die statistischen Zusammenhänge relativ schwach.
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