Nach all den ernsten Beiträgen wieder mal ein lustiger. Bei der Besprechung des Papers von Joel Guiot und Kollegen waren 4 Fragen offen geblieben. Die erste habe ich hier behandelt und dabei gezeigt, dass die Guiot Studie NICHT in “flagrantem” Widerspruch zu aktuellen Rekonstruktionen in Europa steht und dass ferner die Phasen niedriger Sonnenaktivität keinen besonders klaren Abdruck in den rekonstruierten europäischen Sommertemperaturen hinterlassen.
Als kleiner Nachtrag dazu füge ich nochmal eine Temperaturrekonstruktion aus unserer Arbeitsgruppe hinzu. In ihrer Doktorarbeit hat Nathalie Etien einen kombinierten Proxy für die Sommertemperaturen der Region zwischen der Ile de France und dem Burgund entwickelt. Sie benutzte eine lineare Kobination aus Weinerntedaten und Wasserisotopen in Baumringzellulose, die eine sehr gute Korrelation (r=0.8, siehe Bild 1) über die Kalibrationszeit im 20/19ten Jahrhundert ergaben (Baumringe sind oft deutlich schlechter korreliert).
Bild 1: Kalibrierung des kombinierten Wein/Isotopen Proxies über die letzten 120 Jahre.
Die Rekonstruktion geht bis ins 15te Jahrhundert zurück. Die Phase niedrigster Sonnenaktivität in den letzten 1000 Jahren, (das Maunder Minimum zwischen 1650-1710) ist nicht nur leicht wärmer als die Zeitabschnitte davor und danach (wobei man da sicher über die statistische Signifikanz streiten mag), sie ist auch unterbrochen durch die wärmste Temperaturanomalie der gesamten Serie überhaupt. Für ca. 10-15 Jahren waren die Temperaturen zwischen ca. 1680 und 1700 so warm wie erst wieder am Ende des 20ten Jahrhunderts (siehe Bild 2).
Bild 2: Sommer-Temperaturrekosntruktion seit ca 1500 mit relativ warmen Maunder-Minimum.
Das soll nicht belegen, dass das Maunderminimum eine besondere Warmphase darstellt (wahrlich nicht), sondern dass der Einfluss der Sonne aufs Klima schwer eindeutig zu fassen ist, obwohl es sich doch um ein globales Forcing handelt. Andere Beispiele dazu im ersten Addendum zum Guiot Paper.
Ein zweiter Kritikpunkt lief unter dem Stichwort “Hide the Decline”. In seiner primitiven Form geht es darum, dass einem nicht die ganze Wahrheit gezeigt wird (niemals, nie). Insbesondere wird einem also verschwiegen, dass in den verschiedenen Temperaturrekonstruktionen einem das Abweichen der jeweiligen Rekonstruktionen von den tatsächlichen gemessenen Temperaturen vorenthalten wird. Wenn das also irgendwer irgendwann für irgendwen getan hat, dann verurteile ich das hiermit (“Fehlverhalten Verurteilen” ist eine unglaublich befriedigende Angelegenheit und unter den Top 5 Gründen, warum es Primaklima gibt.). Die wissenschaftliche Literatur ist allerdings randvoll damit, was denn wohl verantwortlich dafür ist, dass einige der Rekonstruktionen der Temperatur für die letzten 1000 Jahre in den letzten 40 Jahren nicht so wollen, wie sie sollen, und eben nicht den meteorologisch beobachteten Temperaturen folgen. Was ist also los?
Einige Baumarten, genauer deren Ringdicke (TRW=tree ring width) oder deren Dichte (MXD=Maximum Density), zeigen in einigen Regionen ab den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts eine solche Divergenz, d.h. die gemessenen Temperaturen folgen mehr oder minder dem Rythmus der globalen Erwärmung und die Proxy-serien aus vorerst unklaren Gründen fallen ab. In der klimaskeptischen Sicht der Dinge bedeutet das im Wesentlichen, dass also die verschiedenen Klimarekonstruktionen, die ja stark auf Baumringreihen beruhen, nichts wert sind. In der Wissenschaft aber arbeiten eine ganze Reihe von Gruppen an diesem Problem, nichtmals unbedingt in erster Linie um die Klimarekonstruktionen zu verbessern, sondern um etwas über mögliche nicht-klimatische Faktoren, die das Baumwachstum beeinflussen könnten, zu lernen.
Im Gespräch sind eine ganze Reihe von möglichen Effekten, und ich zitiere hier den entsprechenden Abschnitt aus Hakan Grudds exzellenten Paper zur neuen Torneträsk Baumring Rekonstruktion (genau, das ist der gleiche Hakan Grudd, der von Allègre massiv verfälscht wurde). “Exzellentes Paper” übrigens deswegen, weil es das erste Baumring-Paper ist, was ich ohne Probleme vollständig und ohne Langeweile gelesen habe.
Hier also nach Grudd, was momentan so auf dem Markt ist, um das Divergenz Problem zu erklären:
Diverging trends between tree-ring chronologies and temperature in the late twentieth century have been observed across the high latitudes of the Northern Hemisphere (see D’Arrigo et al. 2007 and references therein). This apparent widespread loss in the sensitivity to temperature is, however, not fully understood and several
different explanations have been proposed, e.g. relating the phenomenon to changes in the atmospheric composition (Briffa et al. 1998b, 2004); to drought stress (Barber et al.
2000); physiological threshold effects (D’Arrigo et al. 2004; Wilmking et al. 2004); and to changes in the length of the growing season (Vaganov et al. 1999). However, such ”end effects” or biased trends in a tree-ring chronology could, potentially, also be related to the
methodology used for standardization and chronology development (Cook and Peters 1997; Melvin 2004).
Es sind also eine Reihe von Umweltfaktoren im Gespräch, die eben unabhängig von der Temperatur auf die Bäume einwirken könnten. Interessant ist ein vollständig technischer Punkt in dieser Liste, die sogenannten “Endeffekte”. Was ist das? Eine Baumringserie besteht aus hunderten individueller Messungen 100erter unterschiedlicher Bäume. Zu einem belibigen Zeitpunkt besteht also ein Messpunkt aus N Messungen von Dichte und Dicke, die von Bäumen unterschiedlichen individuellen Alters stammen. Dieses Alter nennt man “cambial age”.
Bild 3: Alterseffekt bei Dicke und Dichte der Torneträsk Baumringreihe.
Es gibt nun einen gut bekannten Alterseffekt bei Bäumen, der im wesentlichen dazu führt, dass junge Bäume schneller wachsen als alte, ganz unabhängig vom Klima. Ein Blick auf meine Jüngste bestätigt übrigens, dass diesen Effekt auch beim homo sapiens gibt. Also haben die Baumring Experten verschiedene Methoden entwickelt, um diesen Alterseffekt statistisch rauszunehmen und möglichst nur den Klimaeffekt übrig zu lassen. Die technischen Details sollen dabei mal nicht interessieren. Im Prinzip geht man davon aus, dass man zu jedem Zeitpunkt in einer Baumring-Serie durch das Cambial Age eine Korrektur für den Alterseffekt bei Dichte und Dicke vornehmen kann (siehe Bild 3). Na, und dann ist auch schnell klar, dass es leicht zu rein statistischen/praktischen Randeffekten kommen kann, denn der letzte Teil der Serie hat ja einige Besonderheiten.
1) Nur tote Bäume sind gute Bäume, denn die kann man nach Herzenslust zerschneiden und genau bis zur oft nicht symmetrisch liegenden Mitte zählen. Dann und nur dann hat man eine Chance, das cambial age korrekt zu bestimmen. Lebende Bäume aber mag der ökostalinistische Klimaforscher nur ungern umhauen und so bohrt er mit solchen kleinen Bohrern wie in Bild 4 gezeigt vorsichtig und schonend in den betreffenden Bäumen herum. Nicht sicher, dass man so das cambial age für den jüngsten Teil der Serie korrekt bestimmt.
Bild 4: Hoffentlich trifft er auch genau die Mitte, sonst führt das zu unangenehmen Effekten bei der Alterskorrektur. Siehe auch hier.
2) Auch ist die Altersverteilung im jüngsten Teil der Serie nicht die gleiche wie zu irgendeinem beliebigen anderen Zeitpunkt aus offensichtlichen Gründen. Grudd hat nun insbesondere jüngere Bäume zum 20ten Jahrhundert Teil der Torneträsk Serie hinzugefügt, was dem benutzten RCS Statistikpaket (Regional Curve Standardisation) deutlich besser erlaubt, den Alterseffekt herauszuarbeiten. So verbesserte sich erstens die Korrelation der Rekonstruktion über das 20ter Jahrhundert hinweg und, surprise surprise, verschwand ausserdem das Divergenzproblem ab den 60er Jahren (siehe Bild 5). Ausser den oben angeführten Umweltproblemen, die zur Divergenz beitragen mögen, sind solche rein statistische Probleme auch ein wichtiger Faktor.
Bild 5: Die neue Rekonstruktion von Grudd (blau) zeigt im Vergleich zu den beiden vorigen nun keine Divergenz mehr. Dies erreichte er insbesondere durch Hinzufügen relativ junger Bäume in den jüngsten Teil (20tes Jhd.) der Baumringserie.
Nach all dem aber nun zur Frage, wurde im Primaklima Beitrag zu Guiots Europa Paper der Decline versteckt (die üblichen Verdächtigen hatten schon wieder Schaum vorm Mund: “Hide the decline” Richtig erkannt. Warum zeigt er nur nicht die Rekonstruktion bis zum Ende? ).
Es gab aber eine einfache Lösung für dieses vermeintliche Problem, um herauszufinden, ob hier irgendetwas « hidden » ist. Ich hab mir die Daten des Guiot Paper geben lassen und sie nochmal etwas deutlicher geplottet (s.Plot 6). Hier also für drei der europäischen Subregionen und das europäische Mittel gezeigt. Keine Divergenz, nirgends.
Bild 6: Vergleich der beobachteten regionalen Temperaturen mit den auf Proxies basierenden Rekonstruktion. Es gibt in Guiots Rekonstruktion keine Divergenz.
Ich habe nicht die verschiedenen Baumringserien , die in Guiots Rekonstruktion eingegangen sind, nachgeschlagen, so kann ich leider nicht sagen, ob die « fehlende » Divergenz auf die Auswahl der Baumringserien zurückgeht oder ob es auch mit dem statistischen Ansatz der Rekonstruktion zu tun hat. Von einigen der verwandten Serien weiss ich in jedem Fall, dass sie keine Divergenz zeigen, z.B. diese Baumringserie aus den Schweizer Alpen und wer zu diesem Thema noch mehr wissen will kann hier bei Ulf Büntgen und hier bei Jan Esper sicher noch mehr und aus erster Hand finden.
Es bleiben noch zwei weitere Einwände (Punkt 3 und 4) zu beantworten. Guiots Rekonstruktion widerspreche den rekonstruierten Gletscher
vorstössen und die Europäischen Temperaturamplituden seien im Widerspruch zu entsprechenden globalen Rekonstruktionen.
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