Während also gerade die jetzige “grosze Kältewelle” zu Ende geht (aechz, es fängt gerade wieder hier an zu schneien), wollte ich noch einmal ein paar Punkte im Zusammenhang mit den letzten angeblich oder scheinends so kalten europäischen Wintern und ihren genauso scheinbaren Widerspruch zur globalen Erwärmung aufgreifen. Die jetzt ausklingende Kältewelle gehört (per Auge) zu einem Wetterregime, das man “Scandinavian Blocking” nennt, wobei ein Hochdruckgebiet über dem Nord-Atlantik/Skandinavien die ansonsten in West-Europa vorherrschenden Westwinde abblockt und stattdessen nordöstliche Luftmassen hereinpumpt. Wie wir unten sehen werden, ist das ein durchaus häufiger vorkommendes winterliches Wettermuster in Europa und das einzig Ungewöhnliche daran scheint mir, dass dieses Muster normalerweise nicht besonders viel Schnee bringt, was aber offensichtlich diesmal nicht der Fall war.
Bild 1: Wintertemperatur in De Bilt (Holland) während der letzten 40 Jahre. Die rote Gerade gibt den Trend an, die rote Kurve eine lineare Kombination aus Trend+NAO.
Es ist recht wahrscheinlich, dass von dieser 10 tägigen Kälteperiode im November- und vielleicht auch im Dezember- Temperaturmonatsmittel nichts übrig bleibt. Der November zumindest fing sehr mild in West-Europa an (fast 20°C im Elsass) und endete dann sehr kalt, was in der Summe eben eher Null Anomalie ergibt. Während die kalte Luft von Polen bis Spanien durchmarschierte, kamen auf der Rückseite sehr warme Luftmassen nach Südost-Europa. Sofia lag etwa vor einer Woche bei knackigen +23°C, während die sonst so maritim abgefederten Waliser bei -15°C vor sich hinbibberten. In der Liberation las ich auch, dass dieser Wintereinbruch sehr früh in diesem Jahr eingetreten ist. Kann schon sein, dass es früh war. Letztes Jahr zur gleichen Zeit zumindest lag sogar ein bisschen mehr Schnee als jetzt bei mir vor der Tür.
So weit, so gut. Es gibt ja nun eine globale Erwärmung und der eine oder andere könnte ja vielleicht den Eindruck haben, dass “die Winter momentan immer kälter werden” und dass da doch ein Erklärungsbedarf bestünde. Natürlich ist eine Teil der Antwort immer trivial, nämlich dass ja Europa nur ein winzig kleiner Teil des Planeten ist und daher sicher nicht besonders aussagekräftig zum Thema “globaler” Erwärmung sei. Das stimmt schon, man kann aber noch ein bisschen tiefer buddeln.
Bild 2: Residuals der Wintertemperaturen in De Bilt (Holland), Potsdam, Hamburg nach Abzug von Trend+NAO Anteil (siehe Bild 1). Das Residuums des Winter 2009/2010 scheint nicht mehr ungewöhnlich kalt.
In einem Beitrag zum Ende des letzten kalten Winters 2009/2010 diskutierte ich, wie kalt dieser Winter eigentlich war, wenn man den Zirkulationsanteil und den Trend vorher mal abzog. Ich hatte nur ein paar lange Stationsreihen in und um Deutschland herum genommen (Potsdam, De Bilt etc.). Der Erwärmungstrend, den alle diese Stationen in ihren Wintertemperaturen zeigen, ist natürlich nicht unbedingt 100% anthropogen, aber doch wahrscheinlich ein grosser Teil. Als Proxy für jede Art von winterlichen Zirkulationsanomalien nahm ich die NAO, die in der Tat einen guten Teil der schnellen Jahr-zu-Jahr Variationen erklärt (siehe Bild 1) und die im vergangenen Winter tatsächlich extrem war (L’Heureux et al. verfasste ein ganzes Paper zum Thema NAO 2009/2010 und wie ungewöhnlich diese war. Der NAO Index wich drei sigma vom Mittelwert ab.). Zieht man dann also von der vollen Temperaturreihe den Trend und den NAO Anteil ab, so bekam man für den Winter 2009/2010 einen sehr sehr durchschnittlichen Winter heraus (siehe Bild 2).
Bild 3: Vorherrschende Winter-Wetterregimes (a-d) in Europa und ihr variierender Anteil am Winterwetter der vergangenen Jahre (e-h). NAO- war das deutlich vorherrschende Muster im Winter 2009/2010, noch deutlicher sogar als der Rekordwinter 1962/63.
Offensichtlich könnte man dazu vieles einwenden und besser machen. Warum nur ein paar Stationen? Warum ist die winterliche Zirkulation nur durch die NAO repräsentiert und nicht auch durch andere Wettermuster? Nun, ich hatte natürlich eine gute Entschuldigung: Das ist schliesslich nur ein kleiner Blog am Ende des Universums, for god’s sake.
Ich war dann aber doch überrascht, dass jemand sich dieses Themas ernsthaft annahm und obendrein jemand von meinem Labor. Die Fragestellung war, ähnlich wie in meinem Posting, wie ungewöhnlich war denn nun dieser Winter 2010? Zuerst einmal haben die Autoren (Julien Cattiaux und Co-Autoren) eine präzisere Beschreibung der winterlichen Wetterlagen erstellt, indem sie die täglichen Karten des Geopotentials auf 500 HPa (Z500) betrachteten. Diese Wetterregimes können dann im Nachhinein etwa mit dem klassischen NAO index assoziiert werden. So zeigt Bild 3, dass das vorherrschende Muster (a=NAO+) und das drittwichtigste Muster (c=NAO-) eben mit den beiden Phasen der Nord-Atlantischen Oszillation verbunden sind und ungefähr 50% der vorkommenden Regimes ausmachen. NAO- hatte, wie man das bei betrachten des NAO Index schon erwarten konnte, in 2009/2010 einen überragend groszen Anteil. Regime 2, das Scandinavian Blocking macht in einem Durchschnittswinter ca 25 Tage aus und hätte in diesem Winter 2010/2011 wahrscheinlich schon mal ein Dutzend Tage vorgelegt.
Bild 4: Vergleich von beobachteten Temperatur-Anomalien (Winter 2009/2010) und
Analog-Temperaturen. Diese wurden errechnet, indem man die zehn ähnlichsten Wettersituationen zu der jeweiligen Jahreszeit in der Vergangenheit bestimmte und deren Mitteltemperaturen errechnete.
Wie geht man jetzt das Problem Trend vs. Wetterlage besser an als ich es getan habe? 1) Statt 5 Stationen nehme man 230 Stationen über ganz Europa verteilt. Bild 4 a zeigt die 2009/2010 Winteranomalien. Tatsächlich, es war also sehr kalt überall. 2) Statt jetzt einfach wie ich den NAO Index zu nehmen und bei jeder Station eine lineare Korrelation mit den Temperaturen zu erstellen, suchten Cattiaux et al. für jede Station individuell für jeden einzelnen Tag des Winters 2009/2010 zehn ähnliche Wetterlagen aus dem Zeitraum 1949-2009. Die Ähnlichkeit wurde mit einer statistischen Methode der Z500 Muster bestimmt (Spearmans Korrelation). Diese zehn ähnlichen Wetterlagen der Vergangenheit ergeben eine mittlere Temperatur für die jeweilige Station (Bild 4b).
Jetzt kann man natürlich viel sauberer zwischen Trend und Zirkulation (i.e. Wetter) unterscheiden. Die Wettersituationen des letzten Winters hätten einen Winter wie den des Jahrhundertwinters 1963 erwarten lassen. Heraus kam aber ein Winter der deutlich wärmer ausfiel als es die 2010/2011 Wetterlagen eigentlich hätte vermuten lassen (siehe die warme Abweichung des 2009/2010 Winters in Bild 4c). Bild 4d und e zeigen dann nochmal (ähnlich wie ich es versucht habe) die Aufteilung von Trend- und Wetterlagen-abhängiger Temperatur und bestätigt nochmals, dass der Winter 2009/2010 deutlich zu warm ausgefallen ist, wenn man ihn mit den analogen Wettersituationen der Vergangenheit vergleicht.
Kann man also mit all diesen Informationen sagen, wann genau es nie wieder Schnee in Deutschland geben wird? Na, dazu muss man vielleicht ein paar sehr grobe Annahmen machen. 2006 etwa war ein sehr milder Winter. Auch der war wahrscheinlich nicht absolut schneefrei, aber wenn man schon halb die Zugspitze rauf muss um Schnee zu sehen, dann kann man ja jetzt mal, um des Arguments willen, so tun als wäre das ein “Deutschland-ohne-Schnee-Winter” gewesen mit einer Abweichung von 2 sigma über dem Mittel. Um die Sache etwas “leichter” zu machen, nehmen wir mal an, wenn auch die wildesten Wetterkapriolen die Temperatur nicht mehr unter +1sigma bringen, dann ist Deutschland ein für alle mal “schneefrei”. Sagen wir ferner, dass die Wettersituationen, die zum 2009/2010 Winter (2 sigma unter dem Mittel, siehe Bild 4d) in der Zukunft genauso häufig vorkämen wie sie es heute tun. Sie seien also, so die Annahme, im Wesentlichen unberührt vom Klimawandel. Unter all diesen vereinfachenden Annahmen und bei stetig weiterlaufender Erwärmung in Deutschland (der europäische Trend in Bild 4d betrug etwas mehr als 1 Sigma in 30 Jahren, aber das könnte sich natürlich in der Zukunft etwas beschleunigen), dann dauerte es ungefähr noch 60 Jahre bis das klimatologische Mittel 3 sigma über dem 1980-2010 Mittelwert ist (wobei wir so tun, als ob wir jetzt bereits ein sigma darüber liegen, s. Bild 4). Das ist also das langersehnte und klare Ergebnis: Ab dem Jahre 2070 würde selbst der Wetterextrem-Winter 2009/2010 Deutschland keinen nennenswerten Schnee mehr bringen.
Bild 5: Vorhersagen (kalt, normal, warm) für den kommenden Winter 2010/2011 auf der Basis von 5 Klimamodellen.
Das ist sicher noch lang hin und ich werde dann zu gegebener Zeit ausführlich darauf eingehen. Wie aber steht es mit dem nächsten/jetzigen Winter 2010/2011? Das einzige Mittel um über den etwas sagen zu können, sind Ensemblevorhersagen mit Klimamodellen, die mit raffinierten Techniken an den jeweiligen Startzeitpunkt der Vorhersage herangeschoben werden. Bild 5 (nur auf die Vorhersage für Frankreich schauen, die Graphik wurde von MeteoFrance angefertigt) zeigt, dass von 5 Modellen 3 diesen Winter relativ kalt sehen, ein Modell auf neutrale Bedingungen tippt und nur das Met Office, wie jedes Jahr eigentlich, auf einen anomal warmen Winter setzt. Na, schau wer mal, wer Recht behält. Die Tommies oder die Frogs? Ich setze natuerlich auf die Frogs.
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