Erstmal natürlich: Frohes Neues an alle Primaklima Leser. Was wird das neue Jahr so bringen? Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird das vergangene Jahr in einigen Tagen als das wärmste je gemessene Jahr in einem der globalen Temperatur-Datensätze, dem GISS Datensatz, auftauchen. Und da all die verschiedenen Datensätze sehr ähnliche Rohdaten verwenden und nur leicht andere Algorithmen, um daraus eine globale Zahl zu kondensieren, wird 2010 natürlich auch in den anderen Datensätzen ganz oben mit dabei (Platz zwei/drei bei HadCRU und NOAA, Platz zwei bei den MSU Temperaturen der unteren Atmosphäre) sein.
Bild 1: Die Temperaturentwicklung in Europa während der letzten ca. 60 Jahre. Nach Daten der ECA – Klein-Tank et al..
All diese lustigen “Wettervariationen” geben unendlich viel Stoff, um sich im Internet in intelligenter und gemessener Form (hüstl) darüber auseinanderzusetzen, ob der Klimawandel denn nun in den letzten zwei Monaten endgültig gestoppt, mindestens aber doch verlangsamt, vielleicht aber sogar beschleunigt worden sei. Nur für die Annalen: Primaklima meint natürlich, und ich hoffe, dass ist für seine treuen Leser keine Überraschung, dass all diese kurzzeitigen Wetterschwankungen, selbst wenn sie auf globaler Ebene stattfinden, nichts an der Realität der globalen Erwärmung ändern. Denn der wird eben auf einer klimatologischen Zeitskala von mindestens zwanzig, besser dreissig Jahren entschieden. Umso kleiner die räumliche Skala und umso kürzer die betrachteten Zeiträume, umso schwerer wird es wohl werden, etwas zum Thema globaler Erwärmung aussagen zu können.
Ich bin mit Kind und Kegel in unserem 10 Jahre alten Polo und eleganten Sommerreifen durch den Schnee der Ardennen Richtung Deutschland und Weihnachten gefahren und habe mich natürlich auch gefragt, wo denn all der Schnee herkommt. Kann man solche Wetterkapriolen wie die starken Schneefälle vor Weihnachten 2010 sinnvoll vor dem Hintergrund des globalen Erwärmungstrends diskutieren? Einen ersten Anlauf habe ich ja hier unternommen, in dem ich ein Paper mehrerer Kollegen vom LSCE betrachtete, die für den “Extremwinter” 2009/2010 eine Analyse der Wetterlagen machten und so bei diesem Winter den Zirkulationsanteil vom Trendanteil zu trennen versuchten.
Bild 2: Temperatur-Anomalie des Extremherbsts 2006(a) mit gleichzeitigen meridionalem Windfeld (b) und den entsprechenden Ozeantemperaturen (c). Der zeitliche Verlauf der letzten 50 Jahre ist in (d) zu sehen.
Dieselben Kollegen haben das Gleiche aus leicht anderer Perspektive nochmal für den Extrem-Herbst 2006 unternommen und vielleicht hilft dieser Beitrag zu ihren Resultaten ja, diese ewigen Diskussionen über Wetter und Klima gehaltreicher zu gestalten. Nehmen wir an, wir beobachten ein starkes Gewackel und eben einen Trend an einer einzelnen Wetterstation oder an einem Mittel vieler regionaler Wetterstationen. Es ist dann sehr schwer, eine saubere Zuweisung (Attribution), was an diesem Trend denn nun anthropogen sein könnte, durchzuführen. Vielleicht hat sich die Gegend, aus der haupsächlich die Luftmassen kommen, aus irgendwelchen anderen Gründen erwärmt, vielleicht sind diese Luftmassen feuchter geworden und der verstärkte Treibhauseffekt feuchter Luft ist für den Trend verantwortlich, vielleicht haben sich aber auch die Wetterlagen aus ebenfalls unbekannten Gründen geändert?
Bild 3: Lineare Regression von Zirkulationsindex und Ozeantemperaturen auf die beobachteten Herbsttemperaturen der letzten ca. 60 Jahre.
Betrachten wir mal good old Europe. Bild 1 zeigt die mittlere westeuropäische Temperatur der letzten 50 Jahre (ermittelt aus 230 Wetterstationen, siehe Beitrag hier). In jeder der vier Jahreszeit sind die positiven Extreme (1 bzw 2 Standardabweichungen) am Ende der Zeitserie zu finden, während die negativen Ausreisser eher am Anfang der Zeitserie, insbesondere in den 60ern liegen. Drei Extremereignisse fallen dabei insbesondere auf. Der Sommer 2003, der Frühling 2007 und der Herbst 2006. Jedes dieser Ereignisse ragten mit mehr als drei Standardabweichungen aus der Statistik der letzten 50 Jahre heraus. Der Herbst 2006 ist dabei zu Unrecht aus der kollektiven Erinnerung sehr schnell verschwunden. Die europäische Temperaturanomalie (siehe Bild 2 a) betrug satte +2.6°C, was 3.5 Standardabweichungen (σ) entspricht.
Was waren die treibenden Faktoren dieses “heissen Herbsts”? JEDES Extremereigniss dieser Art ist zu allererst Mal Folge extremer Zirkulationsverhältnisse. Eine Strömung, die warme (kalte), in unseren Gegenden südliche (nördliche) Luftmassen heranbringt, ist also immer notwendig, um ein Extremereigniss hinzubekommen. So war auch im Herbst 06 eine sehr starke südliche Strömung zu verzeichnen (Bild 2b). Ein recht warmer Ozean vor den europäischen Atlantik-Küsten tat aber auch einiges hinzu (Bild 2c). Schon eine einfache Draufsicht auf die zeitlichen Verläufe (Bild 2c) zeigt, dass wahrscheinlich beide Faktoren (Luftströmung und Ozeantemperaturen) auf die europäischen Herbstemperaturen wirken.
Bild 4: Zirkulation allein erklärt nicht die Temperatur. Vergleich des Einfluss des Strömungsfeldes auf die europäischen Herbsttemperaturen der letzten 60 Jahre und im Vergleich dazu des Herbsts 2006.
Wenn man jetzt eine lineare Regression beider Faktoren auf die beobachteten Temperaturen durchführt, nimmt man im Grunde an, dass diese Faktoren voneinander unabhängig sind. Das ist aber sehr wahrscheinlich nicht der Fall. Schliesslich werden die Windfelder wohl etwas mit den Ozeantemperaturen (Küsten-Upwelling!) zu tun haben und diese wiederum werden das Windfeld über den Ozean beeinflussen. Statistisch kann man es trotzdem mal versuchen und Bild 3 zeigt, dass man von den beobachtenten +2.6°C des 2006 Herbstes ungefähr +1.3°C (50%) über die Zirkulationsanomalie erklären kann und weitere +0.7°C über die SST. Ganz ähnlich also wie bei dem sehr kalten Winter 2009/2010 liefert eine sinnvolle Miteinbeziehung der Zirkulation, dass diese ALLEIN die beobachteten Temperaturen (sei es für einen kalten Winter oder für einen heissen Herbst) nicht erklären können. Im Winter 2009/10 wie im Herbst 2006 gab es eben einen recht deutlichen unerklärten Wärmeanteil (siehe etwa Bild 4). “Unerklärt” könnte natürlich anthropogen heissen, d.h. dass maximal die gesamte Änderung der ozeanischen SSTs und der statistisch unerklärte Anteil (die verbleibenden +0.6°C) auf das Konto der Treibhausgase gerechnet würden. Das wären dann +1.3°C=50% des gesamten Extrem-Herbsts maximal.
Diese Betrachtung ist aber sicher grob vereinfachend. So bricht etwa das ganze statistische Modell für den Herbst 1993 (siehe Bild 3) völlig zusammen. Eine saubere Attribution müsste eben so gemacht werden, dass man sich die Extremwertstatistik in Modellläufen genauer anschaut, so wie das etwa Peter Stott hier gemacht hat. Zentrales Ergebniss dieser wie auch der vorigen Studie von Julien Cattiaux aber bleibt, dass sowohl kalte als auch warme europäische Saisonanomalien in der letzten Dekade wärmer ausfallen als es die Zirkulation es eigentlich erwarten lassen würde.
PS. Alle Grafiken sind von Julien Cattiaux erstellt und mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Kommentare (115)