Zurecht werden viele fragen, wie ich bei diesem Titel von Greenawayschen Ausmaszen da wohl die Kurve kriegen werde. Keine Sorge.
Bild 1: Europäische Abhängigkeiten Teil I. “Wir kaufen nicht beim Spanier” und 70.000 Arbeitslose in Almeria.
Fangen wir also mal bei der Gurke an. Hier in Spanien tobt gerade die Presse zum Thema Alemania und der Crisis de Pepino, der Gurkenkrise. Vor ca. einer Woche hatte ein Lebensmittellabor in Hamburg den vermeintlichen Erreger E. coli auf ein paar spanischen Gurken ausgemacht und die Hamburger Gesundheitssenatorin mit dem für Lebensmittelkontrollen geradezu geschaffenen Namen Cornelia Prüfer-Storcks spurtete direkt vom Labor zur Pressekonferenz und wiess mit gestrecktem Finger gen Süden: Tua culpa, spanische Gurke. Und weil man gerade schon mal beim Schuldzuweisen war, lies man in Hamburg auch noch die Namen der produzierenden Betriebe durchsickern: Fructicola aus Almeria und Frunet aus Malaga. Der Deutsche hat ja bekanntlich grosze Freude und auch, kann man leicht boshaft sagen, 1000 jährige Übung mit Kaufboykotts gegen ausländische Produkte und so wurde dann mit der Gurke gleich der gesamte spanische Lebensmittelimport in Kollektivhaft genommen. “Wir kaufen nicht beim Spanier”. El Mundo spricht von Verlusten im 100 Millionen Euronen Bereich und ca 70.000 bedrohten Arbeitsplätzen. Heute stellte ein ausführlicher Bericht dann auch den Lebenslauf der Hamburger Gesundheitssenatorin vor: La politica novata que acuso sin pruebas. Die Politanfängerin, die ohne Beweise beschuldigt.
Bild 2: Europäische Abhängigkeiten Teil II. Die Hamburger Gesundheitsministerin macht nie wieder Urlaub an der Costa del Sol.
Nachdem die Gurke aus Almeria jetzt per DNA Analyse aus der Todeszelle als völlig unschuldig entlassen wurde, bleiben hauptsächlich 4 Lehren und Konsequenzen: 1) Man weiss überhaupt nicht, wo der EHEC Erreger herkommt und die Suche geht weiter. 2) Ein beachtlicher ökonomischer Schaden in der spanischen Landwirtschaft mit insbesondere zwei Betrieben kurz vor dem Ruin. 3) Frau Prüfer-Storcks wird nie wieder Urlaub am Strand zwischen Costa Brava und Costa del Sol machen können. 4) Eine kleine Entscheidung in Norddeutschland kostet womöglich tausenden den Job in Südspanien.
Zum Zwecke meines Artikels möchte ich besonders auf auf Punkt 4 hinaus. Wir leben in Europa unglaublich vernetzt und die wirtschaftlichen und organisatorischen Bande zwischen, sagen wir, Deutschland und Spanien, sind wohl enger als die zwischen beispielsweise Californien und Alabama, wobei letztere doch einer Nation angehören.
Dieser Umstand hatte auch vor einigen Tagen die deutsche Kanzlerin angetrieben, die südländische Arbeitsmoral auf den Prüfstand zu schicken. Wer denn, so meinte Sie anlässlich der Schuldenkrise, vom deutschen Steuerzahler Unterstützung wolle, der müsse sich auch so anstrengen wie der Deutsche und wiess auf die Arbeitszeitregelungen in Portugal, Spanien und Grechenland.
Bild 4: Europäische Abhängigkeiten Teil III. Dem Spaniern deutsche Arbeitsmoral vorleben. Hier im Strandidyll in Benidorm.
Nun arbeitet der Spanier zwar eindeutig mehr pro Jahr als der Deutsche und was auch immer da an Problemen zwischen Deutschland und Spanien zu regeln ist, an der spanischen Arbeitszeit wird’s nicht liegen. Der entscheidende Punkt aber auch hier: die deutsche Kanzlerin kommentiert die Zahl der Feiertage in einem anderen EU-Land, da man ja in einer gemeinsamen Währungs- und Wirtschaftszone lebe und halt solche Dinge irgendwie harmonisiert gehörten. Ok, good point. Zwei Beispiele also, bei denen klar wird, wie sehr Europa mittlerweile zusammengehört, bis hin zu solch einem Pillepalle wie der Gurkenproduktion und der Feiertagsregelung.
Bild 4: Europäische Abhängigkeiten Teil IV. Energiepolitik, das mache mer besser alleine. Wir sind doch nicht blöd. Nur die anderen, halt.
So und jetzt kommt also der angekündigte grosze Bogen. Mit welchem Recht kann die deutsche Regierung eigentlich mal eben so den Atomaustieg proklamieren ohne ein Minimum an Koordination mit dem europäischen Nachbarn auch nur anzustreben. Jetzt geht es mal nicht darum, dass eine Hamburger Senatorin ein paar spanische Betriebe ruiniert oder die Kanzlerin den Südeuropäern erklärt, was sie am Pfingstmontag zu tun haben, sondern um eine ganz essentielle, ja strategische Entscheidung auf einem der wichtigsten Themenfeldern überhaupt: der Energieproduktion. Es geht darum, wie die europäischen Stromnetze ausgelegt werden, wie Risiko verteilt wird und wie (erinnert sich noch jemand?) die europäischen Emissionsziele erreicht werden sollen. Auf all das ist geschissen und in einer den eigenen Autismus geradezu verherrlichenden Art und Weise teilt Deutschland dem Rest Europas nur mit, dass es eine Vorbildrolle beim Atomausstieg einnehmen wolle. Das bedeutet ja wohl, dass alle anderen dem deutschen Vorbild folgen sollen. Und was, wenn die nun gar nicht folgen wollen?
PS Ich gehe mal davon aus, dass, insbesondere solange die neuen Kohlekraftwerke, die die Kernkraft ersetzen sollen, noch nicht fertig sind, auch weiterhin eifrig tschechischer und französischer Atomstrom nach Deutschland importiert wird. Scheinheiligkeit wird zur Staatsraison.
PPS Wir wissen noch nicht, wie die EHEC Geschichte ausgeht. Ich will aber mal meine Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass man erstens schnell rausfindet, wo der Erreger herkommt und dass zweitens am Ende eine deutsche Kartoffelsorte namens Bertha oder so Schuld ist.
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