So, das arktische Meereis tut nun wieder das, was es soll: nämlich wachsen. Ich habe meine Wette nach einem neuen Rekordminimum im September 2011 verloren. Der bisherige Rekordhalter 2007 lag bei ~4.3 Mill.km2, während 2011 etwa 300.000 km2 über diesem Rekord lag (siehe hier). Zum Vergleich: Die 80er lagen noch bei einer September Eisausdehnung von ca. 7-8 Mill.km2. Hier gab es bei Sceptical Science einen Überblick über die Wettverläufe der letzten Jahre. Tamino extrapolierte bei seinen Wettvorschlägen einfach Jahr um Jahr den Trend der letzten Jahre mittels eines quadratischen Trends und ist damit stets ziemlich erfolgreich. Grund dafür ist natürlich letztlich, dass das arktische Eisvolumen stets und stetig zurückgeht und die verbeibende Eismasse ein immer leichterer Spielball für das arktische Wettergeschehen ist. Aber welches Wettergeschehen denn nun genau?
Dazu veröffentlichte Frank Kauker und Kollegen eine sehr interessante Modellanalyse. Die möglichen und in der Literatur vorgeschlagenen Einflussfaktoren fassen die Autoren dieser Studie in einer langen Liste im Einführungsteil ihres Papers an:
“Candidates are atmospheric conditions in 2007 such as winds [Overland et al., 2008] or clear sky conditions [Schweiger et al., 2008] or oceanic conditions causing basal melting [Perovich et al., 2008; Zhang et al., 2008], including increased inflow of warm Pacific water through Bering Strait [Shimada et al., 2006]. Another hypothesis suggests a link to the ice thickness of the preceding winter [Maslanik et al., 2007].”
Natürlich hängen all diese möglichen Faktoren, die das 2007 Minimum bestimmt haben könnten und auch wahrscheinlich zukünftige Minima bestimmen werden, miteinander auf höchst nicht-lineare und komplizierte Weise zusammen. Selbst wenn man also ein perfektes Meereismodell hätte, wäre es sehr schwierig, den Finger auf einen Faktor zu legen, denn möglicherweise hat man in den langen klimatischen Ursache und Wirkungsketten doch wieder nicht den Anfang gefunden. Was kann man also tun?
Nun, ein Klimamodell ist ja, abstrakt betrachtet, eine Funktion, die von einem Satz von Eingansparametern ausgehend eine Reihe von Variablen berechnet. Eingansparameter sind hier nicht so sehr die eigentlichen Parameter des Models (also getunte Werte von Gröszen, die schlecht oder gar nicht bekannt sind und erst durch die Art der Parametriesierung der physikalischen Vorgänge im Modell “erzeugt” wurden) sondern hauptsächlich die Startbedingungen einer Simulation (also etwa die Temperaturen des Pazifik oder die Meereisausdehnung zu Beginn der Simulation). Das Problem, den “Schuldigen” für eine bestimmte Kombination von Endvariablen (also etwa die minimalen Meereisausdehnung 2007) zu finden, ist ein sogenanntes Inversionsproblem (siehe etwa diese sehr gute Vorlesung von Torsten Dahm). Es gibt verschiedene Methoden so ein Inversionsproblem anzugehen, je nach der Komplexität der zu Grunde liegenden Funktion f(X,t), welche natürlich im Falle eines vollen gekoppelten Klimamodells schon sehr kompliziert ist. So kann man etwa versuchen das “tangent linear model” oder das volle “adjoint model” zu berechnen. Das Ganze macht man dann am besten gleich voll automatisch mittels eines automatischen Differenzierers. Das benutzte Vorwärts-Modell (also das eigentliche Klimamodell) heisst NAOSIM. Ganz Allgemein hatte ich ja schonmal gezeigt, dass solche Modelle durchaus in der Lage sind, Extremereignisse wie das Minimum 2007 nachzubilden .
Bild 1: Welche Faktoren beeinflussten das Meereisminimum 2007? Ergebnisse der Inversions-Studie von Kauker et al weisen auf 4 maszgebliche Faktoren: Wind im Mai und Juni, Meereiisausdehnung im März und die Temperaturen im September.
Und wenn man das dann erstmal dieses Hin und Her zwischen Vorwärtsmodel und Inversmodel erfolgreich absolviert hat, dann kann man eben den Einfluss von Parameter X (Wind im Mai, Meereisaudehnung im Juni, Temperatur im Pazifik, etc. etc.) auf das schliessliche Minimum bestimmen. Und das Resultat sieht dann so aus:
Von all den vorgeschlagenen Faktoren machten gerade mal vier einen gewichtigen Beitrag zum Meereisminimum 2007: Die Windbedingungen im Mai und Juni, die Meereisausdehnung im März, und natürlich die Lufttemperaturen im September. Viele an sich “hoffnugsvolle” Kandidaten wie etwa die Ozeantemperaturen zu Begin der Simulation blieben recht deutlich auf der Strecke. Es bedarf wahrscheinlich noch weiterer Studien wie dieser, um herauszufinden, ob diese vier Faktoren bei jedem September-Minimum der letzten Jahre eine führende Rolle spielten. Wenn dem aber so wäre, dann sollten meine Wetten in Zukunft deutlich besser ausfallen als dieses mal. Ein weiterführende Analyse in Kauker et al. ergab, dass stolze 86% des Septemberminimums 2007 durch die oben genannten vier Faktoren kontrolliert ist.
Zurück aber zur verlorenen Wette 2011. Ich möchte mich nochmal bei all denen herzlich bedanken, die, obwohl sie die Wette eigentlich gewonnen haben, trotzdem Ihren Anteil zahlten. Ich habe daher am vergangenen Mittwoch dem Zentrum zur Stimulation von Kindern mit Down Syndrom, Enzephalitis, Hydrozephalus und ähnlichen Fällen die Summe von 200 Euro übergeben können. Das Zentrum wird von meiner Hermandad Buen Fin unter maszgeblicher Hilfe von Ärzten und Krankenschwestern aus Sevilla betrieben. Wenn die Hermandad natürlich eine katholische Organsiation ist, so kann ich allen versichern, dass Religion in dem Zentrum keine Rolle spielt und es nur um die regelmäszige Hilfe und Stimulation von ein paar Dutzend Kindern geht. Der Dank geht an: Wolfgang Flamme, miesepeter3, axel und just me.
Die Überweisungsquittung findet sich hier.
. “Con agradacemiento a los restantes participentes en el juego Primaklima que han realizado con tan desinteresada y altruista finalidad”
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