Die drei renomierten französischen Physiker, Sébastien Balibar, Yves Bréchet und Edouard Brézin, alle drei Mitglieder der Academie de Sciences, sprechen sich in diesem Aufruf für einen weiteren Einsatz und sogar Ausbau der Kernenergie aus. Sie begründen dies insbesondere mit den Gefahren des durch Treibhausgase verursachten Klimawandel. Im gerade beginnenden Wahlkampf in Frankreich setzen sie sich in diesem Text insbesondere mit der deutschen Entscheidung zum Ausstieg auseinander.
Der Text wurde zuerst von Sylvestre Huet auf science^2 veröffentlicht. Er selbst als auch Edouard Brézin waren mit der Zweitveröffentlichung einverstanden und Primaklima bedankt sich natürlich dafür.
«UNE ÉNERGIE DU PASSÉ ?
Die Zukunft unserer Kernenergie findet sich mitten im Wahlkampf wieder. Es gibt eine Spaltung zwischen rechts/links, aber auch eine Debatte innerhalb der Linken, wie die Erklärungen von Michel Rocard und Jean-Pierre Chévenement bezeugen (Anm. Ricard war sozialistischer Ministerpräsident unter Mitterand und Chevènement Innenminister. Beide gehören zur eher konservativen Linken, etwa wie Schmidt oder Steinmeier). « Archaische Energie » nennen es die Grünen, die Augen ganz auf das deutsche Vorbild gerichtet, wobei sie aber sich jeder Stellungnahme zu den dutzenden Kohlekraftwerken enthalten, die sich gerade bei unseren Nachbarn im Bau befinden, oder zu dem beachtlichen Anstieg der CO2 Emissionen, zu dem die deutsche Entscheidung eines sofortigen Nuklearstops bereits führte : 2 Millionen Tonnen zusätzlich pro Monat. Unter diesen Umständen nichts und niemand kann an der Diskussion teilnehmen ohne verdächtigt zu werden der Sprecher einer Partei oder eines Parteiflügels zu sein. Möge also der Leser bitte uns zugestehen : Nichts von all dem motiviert uns hierzu.
Bild 1: Yves Brechet ist Physiker und Materialforscher am Laboratoire “Science et ingénierie des matériaux et des procédés” de Grenoble (SIMAP). Seit 2010 Mitglied der Academie de Sciences.
Wenige Fragen sind so komplex und miteinander verschränkt wie die, die sich um unsere Energiepolitik drehen, bei der sowohl die Sicherheit unserer Energieanlagen, der Preis, den wir für Elektrizität zahlen, das Schicksal der nationalen Grossindustrie und ihrer Angestellten, unsere Exporte, unsere Abhängigkeit von Drittländern, und unsere Einwirkung auf die Umwelt, insbesondere durch Abfälle (Anm. gemeint ist radioaktiver Abfall) und durch die Emission von Treibhausgasen auf dem Spiel steht. Einfach nur sich Umweltschützer nennen , ist sicher nicht genug, um behauten zu können, die Lösung von schwierigen Problemen, die die Zukunft des Planeten betreffen, parat zu haben.
Dabei muss man insbesondere die internationale Situation im Auge behalten, vor allem die Erhöhung der globalen Energienachfrage, die um mehr als 2% pro Jahr ansteigt (sie ist möglicherweise um fast 5% allein im letzten Jahr angestiegen), was uns somit auf mindestens eine Verdoppelung der Nachfrage bis ungefähr 2050 bringt. Dieser Anstieg würde sich selbst dann vollziehen, wenn wir es schafften, unseren Verbrauch vernünftig zu reduzieren, denn dieser Anstieg resultiert in erster Linie aus der demographischen Entwicklung (9 Milliarden Menschen sind für das Jahr 2050 prognostiziert) zusammen mit dem wirtschaftlichen Wachstum der Schwellenländer, denen wir wohl besser nicht ihre Hoffnung auf ein Leben in Wohlstand zu sehr anlasten sollten. Gleichzeitig haben sich die Führer der führenden Industriestaaten (G8 im Jahre 2008) dazu verpflichtet die Emission der Treibhausgase bis ungefähr 2050 zu halbieren. Ihre möglichen Gefahren für die Entwicklung des Klimas, insbesondere mit Folgen für den Anstieg des Meeresspiegels, Verwüstung/Versteppung und der Häufigkeit von klimatischen Extremereignissen ist zu ernst, als dass wir in einem Business-as-usual Szenario verweilen könnten. Niemals waren die globalen Treibhausgas-Emissionen so hoch wie heute, da sie alleine im letzten Jahr um 6% angestiegen sind.
Diese Gleichung nun, Verdoppelung der Nachfrage bei Halbierung der Treibhausgas-Emissionen, wobei Frankreich sogar von noch ehrgeizigeren Zielen spricht , ist eine gewaltige Herausforderung, die sicherlich verlangen wird alle nur verfügbaren Mittel einzusetzen : Energieeinsparungen in den entwickelten Ländern, Entwicklung erneuerbarer Energien, Sequestration von CO2, die bislang nur in der Versuchphase steckt, die schwierige Forschung zum Thema Energiespeicherung. Letzteres ist unumgänglich denn Solar- und Windenergie liegen nur sporadisch in ausreichendem Masze vor. In diesem Zusammenhang würde uns eine Aufgabe der Nuklearenergie, die momentan bei 14% der globalen Stromproduktion darstellt, mit Sicherheit zu einem Scheitern führen, das uns zukünftige Generationen gewiss nicht verzeihen würden.
Bild 2: Edouard Brézin, Professor für theoretische Physik an der Ecole Normale Superieur (ENS). Mitglied der Academie de Sciences seit 1991.
Frankreich hat eine nationale Kernenergieindustrie aufgebaut, die uns 75% unseres Stroms zur Verfügung stellt. Es handelt sich um eine kostengünstige Energie, die Arbeitsplätze schafft, den Export ankurbelt und vor allem eben keine Treibhausgase freisetzt. Es ist wahr, es gibt radioaktiven Abfall, aber gerade der hoch-radioaktive Anteil ist in Ländern mit einer Wiederaufbereitung der gebrauchten Brennstäbe, wie bei uns, sehr begrenzt. Der dramatische Unfall der Zentrale Fukushima I, die erst durch den Tsunami verursacht wurde, hat natürlich die Perspektive verändert. Glücklicherweise gibt es keinen einzigen Strahlungstoten zu beklagen. Die verfügbaren Daten zu den von den Einsatzkräften und der Bevölkerung in der Nähe der Zentrale aufgenommenen Strahlungsdosis lässt hoffen, dass die Zahl der Krebsfälle, die durch die Strahlung verursacht wurden, sehr begrenzt bleiben wird. Das eigentliche Trauma besteht in der Evakuation der Einwohner dieser Region, die wahrscheinlich für einige Dekaden unbewohnbar bleibt. Es ist von groszer Wichtigkeit, alle nur möglichen Lehren aus diesem Unfall zu ziehen, selbst wenn wir natürlich wissen, dass alle menschlichen Aktivitäten, ob nun Talsperren, Kohleminen, was auch immer, zu Unfällen geführt haben und auch weiter führen werden. Die Behörde zur Nuklearsicherheit (ASN), das Institut für Strahlungs- und Nuklearsicherheit (IRSN, eine öffentliche Forschungseinrichtung mit ungefähr 1800 Personen), die Betreiber (bei uns die EDF) bemühen sich alle seit dem 11 März aktiv darum, diesen Unfall zu analysieren und ihr jüngst vorgelegter Bericht belegt sicher ihren Willen die nötigen Konsequenzen zu ziehen.
Die Academie des Science hat genau untersucht, wie all diese Einrichtungen (ASN, IRSN, EDF etc.) Unfälle in der Vergangenheit verarbeitet haben und wie sie auch jetzt den Grossunfäll Fukushima berücksichtigen. In seinem letzten Bericht hat das IRSN gezeigt, dass die französischen Reaktoren sicher sind, dass aber bestimmte Verbesserungen durchaus vorgenommen werden sollten, um auch auf eine Abfolge von Ereignissen reagieren zu können, von der man bis vor kurzem noch glaubte, sie sei sehr unwahrscheinlich. Die Kosten solcher möglichen Verbesserungen würden klein sein im Vergleich zum von den Reaktoren jedes Jahr geschaffenen Gewinn sein.
In diesem Zusammenhang muss man nun die folgenden Forderungen/Fragen zur Kernkraftindustrie analysieren.
► Stopp eines Teils der bestehenden Reaktoren, zum Beispiel die ältesten, die mittlerweile fast 30 Jahre alt sind. Dabei muss man wissen, dass die zuständigen Stellen in den USA, die eine Kernkraftindustrie haben, die deutlich älter als die unsere ist, vor einigen Jahren eine Laufzeitverlängerung der Rektoren für 60 Jahre genehmigt haben. Die Entscheidung zur vorzeitigen Schliessung würde uns wahrscheinlich einige 100 Milliarden kosten, aber vor allem gibt es nichts, was Anlass zu der Hoffnung geben würde, dass uns nicht das gleiche Schicksal wie Deutschland nach der Schliessung seiner Kernkraftwerke durch Madame Merkel ereilen würde, nämlich der unvermeidbare Rückgriff auf Gas oder sogar Kohle, welche natürlich einen beachtlichen Anstieg der CO2 Emssionen mit sich brächten. Was würde dann aus den Verpflichtungen, die wir in Kyoto und bei den Folgekonferenzen eingegangen sind ?
Bild 3: Sébastien Balibar, Professor am Laboratoire de Physique Statistique de l’ENS. Mitglied der Academie de Sciences seit 2011.
► Zur Wiederaufbereitung, also der Trennung des Plutoniums von den gebrauchten Brennstäben der Reaktoren. Die Vorteile dieses Verfahrens werden unterschiedlich bewertet. Die Vereinigten Staaten lassen die gebrauchten Abfälle unbearbeitet. Die jüngst erfolgte Aufgabe ihrer Endlagerung in den Yucca Mountains deutet aber auf die Schwierigkeiten dieser Option hin. Frankreich hat sich für die Wiederaufbereitung aus zwei Gründen entschieden : i) Eine Division des radioaktiven Abfalls durch 10. ii) Die Möglichkeit der Wiederverwendung des abgetrennten Plutoniums als Brennstoff, und zwar in den Reaktoren der vierten Generation (siehe unten). Momentan wird dieses Plutonium, welches ebenso ein Nuklearbrennstoff ist, in einer Mischung mit Uran zur Herstellung des MOX Brennstoffs benutzt. Damit wird also zur Zeit in erster Linie etwas Brennstoff gespart ; so oder so ist es unvermeidbar, diese Reste auf diese Weise « zu verbrennen », um nicht auch noch einige weitere Tonnen dieses Metals entsorgen zu müssen. Ein möglicher Stopp der Wiederaufbereitung wäre eine einmalige Ressourcenverschwendung. Sie hätte aber noch weitergehende Konsequenzen : Sie würde unsere energetische Zukunft, die auf Reaktoren der vierten Generation beruht, in Frage stellen. In jedem Fall würde die Handhabung der radioaktiven Abfälle dadurch schwieriger und der nukleare Kreisprozess würde behindert. (Man hat die Wiederaufbereitung beschuldigt der Proliferation Vorschub zu leisten, d.h. einer möglichen militärischen Nutzung zu dienen. Das aus der Wiederaufbereitung entstehende Plutonium hat aber eine isotopische Zusammensetzung, die es für den Bau von Bomben nutzlos macht.)
► Reaktoren der vierten Generation. Natürliches Uran ist eine Mischung : 0.7% ist spaltbares U235. Die anderen 99.3% sind das für die heutigen Reaktoren fast vollständig unnütze U238. Unsere heutigen Reaktoren benötigen eine Anreicherung des U235 auf ungefähr 3.5%. Wir haben also einen Vorrat abgereicherten Urans, ungebrauchter Rest des Anreicherungsverfahren, von 200.000Tonnen. Obwohl dieses U238 nicht spaltbar ist, kann es doch sehr brauchbar sein. Es könnte nämlich mit schnellen Neutronen, die vom Plutonium aus der Brennstoffwiederaufbereitung stammen, bestrahlt werden und so in spaltbares Plutonium verwandelt werden. Der Gebrauch abgereicherten Urans und des bei der Wiederaufbereitung angefallenen Plutoniums ist heute in mehreren Ländern technisch durchführbar (Russland, China, Indien, Japan). Seine abgesicherte Version in Reaktoren der sogenannten vierten Generation ist Gegenstand intensiver Forschung. Es stellt für uns ein beachtliches Energiepotential dar, was geeignet ist, unseren Stromverbrauch für hunderte von Jahren zu sichern, ohne dass man von wem auch immer weiteres Uran kaufen müsste, und zwar in vollständiger Unabhängigkeit. Indem man alles Uran benutzt und nicht nur U235 ändert sich die Verfügbarkeit (Anm der nuklearen Brennstoffe) von einigen Dutzend auf einige tausend Jahre. Letzlich ist die Nuklearindustrie eine sich entwickelnde Industrie genau so wie die Automobil- oder Luftfahrtindustrie. Das Ende der Wiederaufbereitung ist nicht nur das Ende des MOX Brennstoffs. Die Möglichkeit unsere Energienachfrage auch in der Zukunft zu befriedigen und zwar ganz ohne Treibhausgasemissionen steht auf dem Spiel.
Wir können daher Ankündigungen zur Schliessung der Wiederaufbereitung und einer Zahl von Reaktoren, ohne dass irgendeine realistische Strategie des Ersatz formuliert wäre, nicht ackzeptieren, gerade in Hinblick auf die Notwendigkeit unseren Planeten zu schützen. Wir überlassen es den Oekonomen sich um die Milliarden an Euro und die Arbeitsplätze zu kümmern, die solche Entscheidungen uns kosten würde. Es ist für uns eine Selbstverständlichkeit, dass die Demokratie nicht in der Hand der Experten liegt. Vielmehr liegt die Entscheidungmacht bei denen, die ihre Legitimität aus Wahlen gewinnen. Aber gerade diese Verantwortung, die wir Ihnen übertragen haben, zwingt sie die kurz- und die langfristigen Perspektiven ihrer Entscheidungen zu prüfen.
Der Archaismus liegt gerade bei denen, die auf einen Ausstieg aus der Kernenergie setzen.
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