Ich hoffe, das hier wird der Beginn einer kleinen Serie. Fragen an werte Kollegen, heute also Manfred Mudelsee. Mein letzter Beitrag hier auf Primaklima zur Interpretation eines im Review befindlichen Papers von Manfred, Jens Fohlmeister und Denis Scholz durch die beiden RWE Manager Vahrenholt und Lüning und zur darauffolgenden Reaktion von Manfred stellte den Kontakt zwischen uns her. Manfred hat mittlerweile einen zweiten Kommentar im Online Journal Climate of the Past veröffentlicht, der sich nochmals mit V&L und ihrer Interpretation seines Papers beschäftigt. Dem an den Details dieses Streits interessierte Leser sei also die Lektüre dieser beiden Richtigstellungen Manfreds sehr empfohlen. Hier im nun folgenden Interview versuchen wir ein wenig den Hintergrund zu liefern. Ich hoffe in Zukunft ähnliche Interviews mit dem einen oder anderen Kollegen führen zu können. Das hat nämlich Spass gemacht.
Manfred, was ist dein beruflicher Hintergrund? Wie bist du zur Klimaforschung gekommen?
Hallo Georg! Ich bin Diplomphysiker (Heidelberg, bei Mangini), promoviert mit Hauptfach Geologie (Kiel, bei Stattegger) und Postdoc in Statistik (Canterbury, UK, bei Tong). Seitdem arbeitend in der Klimadatenanalyse auf allen möglichen Zeit- und Raumskalen an: Institut für Meteorologie (Leipzig, mit Tetzlaff), Earth Sciences Department (Boston, USA, mit Raymo) und Alfred Wegener Institut für Polar- und Meeresforschung (Bremerhaven, mit Lohmann). Neugier auf die Natur schon seit Kindheit, will alles so genau wie möglich wissen (Mathematik, Fehlerbalken, Statistik) zumindest zum Klima (bin zu unbegabt für Life Sciences). Will auch die Grenzen des Wissens wissen („Hobby-Wissenschaftstheoretiker”). Seit 2005 betreibe ich noch ein Unternehmen, das sich mit der Risikoanalyse von Klimaextremen befasst.
Bild: Manfred Mudelsee. Hier geht es zu seiner Webseite.
Anlass dieses Interviews ist ein Paper von dir, Jens Fohlmeister und Denis Scholz, das momentan in Climate of the Past (einem online Wissenschaftsjournal) zur offenen Diskussion steht. Kannst du kurz erklären, worum es da geht?`
Abstract steht auf https://www.clim-past-discuss.net/8/1973/2012/cpd-8-1973-2012.html; wir fragen uns, wie groß die Effekte von Datierungsfehlern sind bei der Trendanalyse an Klimaproxyzeitreihen von Stalagmiten. Wenn man Paläo machen will, muss man Archive wie Stalagmiten nehmen und neben einer Klima-anzeigenden Variablen (hier : Sauerstoffisotope) messen die Proben auch datieren. In der üblichen statistischen Theorie und Praxis wird dieses Problem, der Einfluss von Zeitfehlern, so gut wie überhaupt nicht erörtert. Hier kann die Paläoklimatologie durchaus Anregungen zur statistischen Methodenentwicklung geben. (NB: Vergleiche Hurst, Mandelbrot und andere, die anhand hydrologischer Zeitreihen wie Nilabfluss die statistische Methodik zu long memory processes befruchteten.)
Bis jetzt gab es noch keine Diskussionsbeiträge zu eurem Online Paper. Sind die Klimaforscher immer so diskussionsfaul?
Ja, scheinbar. Zumindest auf CPD passiert meines Erachtens noch recht wenig.
Euer Paper wurde ja dann auf einem klimaskeptischen Internet-Blog, der von zwei RWE Managern betriebenen Webseite www.diekaltesonne.de diskutiert. Ist es ungewöhnlich, die Resultate eines Papers, das noch im Review ist, in einem Blog diskutiert zu sehen?
Zuerst: Vahrenholt und Lüning (ab nun: VL) zeichnen im Impressum der Seite als verantwortlich für den Inhalt; ich betrachte sie daher als Autoren für alles dort, was nicht extra unterzeichnet ist. Nicht sehr ungewöhnlich; auch andere Blogs berichten so. Bei JGR gab es ja letztes Jahr den Fall (BEST-Temperaturschätzung, Muller), dass die Autoren ungewöhnlicherweise schon bei Einreichung PR machten. Was nun aus diesen Papers geworden ist: who knows? Andererseits: Bei CPD ist ja das Besondere, dass diese Diskussion offen geführt wird, der sonst geheim (und blind oder doppelblind) geführte Begutachtungsprozess öffentlich ist. Autoren, Kollegen und die Öffentlichkeit sollten diese Gelegenheit nutzen, sich zu Wort zu melden. Insofern bedaure ich, dass VL nicht auf CPD gingen. Dass sie auf Kalte Sonne gehen, ist verständlich. Es hätte vielleicht nicht Mudelsee et al. 2012 CPD sein müssen, weil das zu Sonne herzlich wenig sagt…
In zwei detaillierten Beiträgen auf der Webseite von Climate of the Past hast du eine Reihe von falschen Interpretationen und schlicht Fehlern auf Seiten der kalten Sonne moniert. Kannst du erklären, worum es dabei geht?
Erstens und eigentlich unwichtig: in zwei Versionen haben VL es nicht geschafft, die volle Datierungsmethodik (Radiokohlenstoff und U/Th) korrekt zu erwähnen.
Zweitens und wichtig: Sie schreiben als das Ergebnis unserer (Mudelsee et al. 2012) den Satz hin: „Zum Vorschein kamen charakteristische Zyklen im Jahrhundert- bis Jahrtausend-Maßstab.” Das ist falsch, weil wir keine Zyklen, sondern Trends untersuchten. VL hielten diesen falschen Satz aufrecht, obwohl wir sie in der ersten Note (auch auf CPD) auf diesen Fehler hingewiesen haben.
Und nun noch erläuternd zum ersten Punkt: Gell-Mann erzählt irgendwo von einem Fachmann (etwa für Higgs-Bosonen, wenn ich updaten darf), der seine Tageszeitung liest. Politik, dann Kultur, dann Wissenschaft: über das Higgs-Boson. Er muss feststellen, dass die Zeitung blanken Unsinn schreibt. Er blättert weiter: Sport (etwa ein Rückblick über die EM 2012, wenn ich updaten darf). Ihn beschleicht ein seltsames Gefühl: werde ich wieder reingelegt? Wenn ich, Mudelsee, reviewe, Papers studiere, Blogbeiträge lese und dann vor einer Reihe von Fehlern (Tippfehler, Grammatik, Logik, Mathematik (etwa „r**2 = -0.41″ in einem peer-reviewten Paper, das ich hier verschweige) stehe, frage ich mich insgeheim: haben die Leute ihre Messungen, Datenanalysen usw. ebenso schlampig gemacht?
Und erläuternd zum zweiten Punkt. Es könnte so sein (das müssten andere genauer untersuchen), dass der VL-Blog die Teilstrategie verfolgt, alles, was sich beim Drüberlesen halbwegs als „Sonne-kompatibel” erweist, vereinnahmend auf der eigenen Seite darzustellen. Ich habe selber ein paar „Sonne-Papers” mitproduziert (siehe Liste auf zweiter CPD-Korrekturnote), und VL hätten (haben) sich da ja auch ein paar herausgesucht. (Man kann deren Buch durchgoogeln; gekauft/gelesen habe ich es nicht.) Ich lasse als Erstautor jedoch meine Werke nicht vereinnahmen, sondern bestehe auf einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Das Dumme für VL ist, dass unser CPD-Paper nichts zu (solaren) Zyklen sagt.
Es geht ja bei der kalten Sonne (dem Buch und der Webseite) unter anderem darum, dass Variationen der solaren Strahlkraft die Klimavariabilität auf praktisch allen Zeitskalen bestimmen soll. Was hältst du von dieser Hypothese?
Die Wichtigkeit von Tages- und Jahresgang erfahren wir Menschen ja deutlich. Milankovitch-Zyklen (Erdbahn) im Klima sind seit 1976 (Hays et al. Science) nachgewiesen; schon hier ist es nicht klar, wie groß deren Bedeutung ist; viele meiner Paläokollegen halte ich für zu „Milankovitch-gläubig”, es gibt anscheinend einen Peak auch bei 30 ka (Kilojahren), nicht nur bei Milankovitchs Perioden (126 ka, 96 ka, 41 ka, 23 ka, 19 ka). Im Bereich dazwischen, von ein paar Jahren bis hin zu millennial, herrscht aus meiner Sicht noch recht großes Unwissen: (1) die Kürze der Zeitreihen (Satellitendaten erst seit den 1980ern, Sonnenflecken (Proxy für solare Aktivität) erst seit 1609 oder 1610, und weiter zurück schwächere Proxies: noch ungenauer); (2) Rechenzeitprobleme (lange transiente Läufe hochaufgelöster GCMs mit Sonne dabei) und wahrscheinlich auch zuwenig abgebildete Physik; (3) Zeitreihenanalyse-Probleme (uneven spacing, Zeitskalafehler, Nichtstationaritäten); (4) die Wichtigkeit einzelner Spektralbereiche (etwa UV). Obwohl klar ist, dass wir Klimawissenschaftler auf allen Unwissensbereichen verstärkt arbeiten sollten, würde ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Behauptung („bestimmen”) zurückweisen. Ich zitiere Dir hier, wie auch schon VL auf CPD, aus meinem Buch: “Furthermore, the word ‘dominate’ should be used with caution–the area under a spectral peak is, in nearly all cases of climate spectrum estimation, small compared to the total area (i.e., the variance, S2)” (Mudelsee, 2010, Climate Time Series Analysis, Springer, Dordrecht, S. 195). Wir können für viele Zeitreihen einen Einfluss der Sonne nachweisen; „bestimmend” oder „dominierend” ist dieser jedoch nicht.
Findest du, dass die etwa im letzten Bericht des IPCC (AR4) gewählte Darstellung der Wichtigkeit der Sonne für das Erdklima den verfügbaren Belegen gerecht wird?
Ich spüre in diesem Bericht (Forster et al. 2007, S. 193) das Bemühen, auf diesem heißumkämpften Gebiet den damals vorliegenden Befunden gerecht zu werden (und ich zitiere daraus auch in meinem Buch, wo ich die Daten von Friis-Christensen und Lassen (1991) re-analysiere). Es ist klar: die Forschung geht weiter: neue Daten, mehr Physik in den Modellen, bessere statistische Methoden: ich bin auf AR5 gespannt.
Etwas allgemeiner gesprochen: Glaubst du, dass solche Webseiten wie hier Primaklima (oder andere von Wissenschaftlern betriebene Webseiten wie klimazwiebel, realclimate oder klimalounge) das Verständnis der Öffentlichkeit für die Klimaphysik, die allgemein akzeptierten Grundsätze, aber auch die noch offenen Fragen, verbessern können?
Ich gucke alle von Dir genannten Seiten wie auch Climateaudit durch: zum ersten zur Unterhaltung und Entspannung, dann auch um zu erfahren, wie Nicht-Klimawissenschaftler ticken. Was das Verstehen betrifft: auf einem Blogbeitrag (https://klimazwiebel.blogspot.de/2011/12/hochwasserrisiko-personliche.html) sagte ich schon, dass ich da skeptisch bin. Lernen muss weh tun. Das Nichtverstehen von einem komplexen Sachverhalt muss einen zum Wahnsinn treiben. Dann erst holt man sich die notwendige Physik oder Statistik oder Kunstgeschichte zu Rate (bei mir fehlt leider die Biologie, aber dafür habe ich eine Freundin) und arbeitet daran, die Zeit vergessend. Das passiert alleine. Das mit der Teamfähigkeit ist da bloßes Geschwätz. Das braucht man beim Managen (Paperschreiben, Antragstellen), nicht beim Lernen. Ein Lehrer, Zweiergespräche: das kann gut sein. Das mit Wetter und Klima ist Segen wie Fluch: es ist sehr populär, aber zuviele Leute wähnen sich als Experten.
Können wir also in Zukunft vielleicht Gastbeiträge zu dem einen oder anderen Thema von dir hier erwarten?
Ich dränge mich nicht auf, habe kein Missionierungsbedürfnis (weder „pro-Sonne” noch anti), mache auch nicht von mir aus Vorschläge zu Demokratietransformationen, Climate Engineering, und ich trete auch nicht ungefragt mit Bewertungen an die Öffentlichkeit. Doch bin ich immer bereit, mich mit redlich agierenden Menschen auseinanderzusetzen. Wenn man mich also hier will, dann gerne!
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