Ich bin ein Arbeiterkind. Mein Vater war Feinblechner. Er fing mit 14 Jahren seine Lehre an und schnitt dort die ersten Jahre mit einer Metallzange Millimeterbleche. Tagein, Tagaus. Seine Hände waren wie Schraubstöcke. Noch sein letzter Händedruck auf seinem Todesbett (sagt man das noch?) war fester als alles was ich je im Leben hinkriegen werde. Meine Mutter hat in der Kneipe meiner Groszeltern gearbeitet. In dieser Ruhrgebietskneipe bin ich grossgeworden und habe meine Schulaufgaben zwischen rauchenden und trinkenden Arbeitern des Bochumer Vereins gemacht. Wenn einer zum Pinkeln ging, durfte ich immer das Chemie oder Englischbuch weglegen und das Skatblatt übernehmen, bis er zurückkam.
Ich habe mein Physikstudium an der Arbeiter-Uni schlechthin gemacht, der Ruhr-Uni Bochum. Gebaut in den goldenen 60/70er Jahre war sie der in Beton gegossene, sozialdemokratische Traum des sozialen Aufstiegs der Facharbeitermassen. Mittlerweile wissen wir, dass es ein Traum blieb. In kaum einem anderen europäischen Land bleiben die bildungsnahen und ökonomisch besser gestellten Schichten so sehr unter sich, wie sie es in Deutschland tun. Immer könnte es noch schlimmer kommen, aber gerade mir, als einem sozialdemokratischen Posterboy des gesellschaftlichen Aufstiegs durch Bildung, ballt sich immer die Faust in der Tasche zusammen, wenn mal wieder in der Studiengebühren-Diskussion der Status-Quo verteidigt wird. Alles prima, Hauptsache die Studiengebühren sind weg. In Wirklichkeit ist dieser Status Quo ein gesellschaftspolitisches Desaster. Per Steuern lassen sich die Studienräte, Ärzte und Ingenieure des Landes die Ausbildung ihrer Kinder von der Arbeiterklasse bezahlen, so einfach ist das. Selbst ein angesichts der Gesamtkosten des Ausbildungssystems eher symbolischer Beitrag von ein paar Hundert Euros an Studiengebühren pro Semester ist den meisten zuviel, und gerade die linken Studienvertreter kämpften verbissen dagegen an. “Bildung soll kein Luxusgut werden, das sich nur noch die Kinder der Begüterten leisten können”; als wenn das nicht längst so ist. Was spricht eigentlich dagegen, dass die zukünftige, gutbezahlte Elite des Landes einen winzigen Teil ihrer Ausbildung selbst bezahlt? Ganz bestimmt nicht ein wie auch immer definiertes Verständnis von sozialer Gerechtigkeit.
Diese Diskussion ist natürlich längst tot und absolut jedes Argument ist sicher schon 100mal angebracht worden. Tatsächlich ist die mittlerweile parteiübergreifende Ablehnung der Studiengebühren vergleichbar mit der der Kernkraft in Deutschland. Jenseits jeden noch möglichen Arguments ist sich die gesamte Parteienlandschaft mittlerweile einig: Die Studiengebührendebatte, eine Art sozialpolitische Kernkraftdiskussion. Keiner weiss mehr genau warum, aber die Nation ist sich einig.
Zum jetzigen, endgültigen Abschied von der Studiengebühr im letzten deutschen Bundesland, Bayern, nur noch ein letzter Punkt: Was nichts kostet, ist nichts wert und wird auch so behandelt. Man mag das aus einer ganzen Reihe von Gründen beklagen, man mag eine bessere Gesellschaft einfordern, in der das nicht so ist. Für den Augenblick leben wir aber mal in dieser. Der Status von universitärer Bildung lässt sich an nichts besser ablesen als an den Curricula Vitae deutscher Politiker, in der der durch copy/paste erarbeitete Doktor eine ähnliche Rolle spielt wie die Putten in einer bayrischen Barockkirche: dekoratives Beiwerk.
Ich selbst habe immer immer nur Graduierten- oder summer school-Kurse über eine Woche an verschiedenen Universitäten gegeben. Die Studenten waren da aus mehr oder minder eigenem Willen und meine schlechten Erfahrungen mit studentischem Desinteresse und Gleichgültigkeit sind fast inexistent. Es ist eher meine Frau mit Ihren Butter-und-Brot Vorlesungen in Pflanzenphysiologie und mit den von ihr organisierten Praktika, die mir die schlimmsten Geschichten erzählt. Die Hälfte der Studis sitzt da und stört. Immer. So ist das. Wenn sie ihren Mund hielten, wäre es noch nichtmals so schlimm. Aber so sabbeln sie die ganze Zeit vor sich hin und meine Frau schreit die Erklärungen zur Photosynthese tapfer heraus, bis die Stimme versagt. Es ist nicht nur “studentische Lebensart”, die sich da so auslebt, es ist die logische Konsequenz unser aller Missachtung einer Sache, die universitäre Ausbildung, die nichts wert ist. Die abstrakte gesellschaftliche Anstrengung für ein qualitativ gutes Bildungssystems für alle mit seinen gewaltigen Kosten bedeutet nichts. Erst wenn man jedes Semester eine nicht zu kleine Summe abdrücken muss, begreift man, woran man da eigentlich teilnehmen darf. Und nicht nur die Studenten begreifen das erst dann, auch die Professoren. Der deutlich direktere Zugang US-amerikanischer Studenten zu ihren Profs liegt nicht zuletzt daran: Verdammt, sie haben das Gehalt von dem Typen da bezahlt. Also soll er auch zuhöhren, wenn es Probleme gibt.
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