Video 4: Ensayos der costaleros von der hermandad San Benito. Den ganzen Winter hindurch wird trainiert, bis alle costaleros hinten am Nacken einen roten Wulst aufweisen. Dann ist es gut und man kann mit der semana santa beginnen.
Es gibt auch eine intensive Nachbehandlung dessen, was da so in den Strassen bei den Umzügen passiert. Am morgen, nach jedem Tag der Karwoche, trifft man in den Bars auf Männer und Frauen, die die Umzüge im Detail diskutieren. Wo haben sie sie gesehen, zu welcher Zeit, wie war das Licht, welche Musik wurde gespielt, die Blumenwahl für die pasos (die mit Rosen oder Nelken dichtgesteckten Pasos kosten den hermandades allein für den Blumenschmuck zwischen 4000-10.000 Euro), wie hat sich der paso bewegt? Ich kenne keinen Ort, an dem letztlich Kunst und Ästhetik so heftig und im besten demokratischen Sinne mitdiskutiert wird. Der Traum jedes Künstlers! Endlich alle erreichen und von allen tatsächlich mit viel Sachverstand kritisiert werden!
Video 5: Der Señor de la sentencia bei uns vor der Hasutür. Der Gesang vom Balkon des Nebenhauses gesungen nennt sich Saeta: Gänsehaut garantiert. Ein weiteres Video hier.
Na und fast zu allerletzt haben die hermandades und die semana santa natürlich auch noch einige offensichtliche ökonomische und soziale Funktionen. Allein in diesem Jahr sind in Sevilla durch Hotelübernachtungen und zusätzliche Gäste ca. 240 Millionen Euro in die Stadt gespült worden. Auch sind die hermandades immer auch ein Ort, in denen Machtausübung geübt und vorbereitet wird. Die Kämpfe um die verschiedenen Posten in einer hermandad sind nur noch mit denen um die Präsidentschaft bei Real Madrid zu vergleichen. Wer in der feinen Gesellschafts Sevillas etwas gelten will, der ist eben auch etwas in einer der 60 hermandades der Stadt. Während die pasos eine Art kuturelles Netz über die Stadt werfen und definieren, welche Strassen, Gassen, Plätze, Kirchen von einer tieferen, semiotischen Bedeutung sind, so bereiten die hermandades Einfluss, Entscheidungen, letzlich Macht innerhalb eines von Ihnen aufgespannten Netzes innerhalb des sevillanischen Bürgertums vor. Nirgends werden so viele Geschäfte gemacht, so viele Pakte geschlossen wie in den Bars rund um die Plaza San Francisco während der Prozessionen. Schliesslich organisieren die hermandades auch einfach einen Teil des täglichen Lebens, vom Fussballgucken am Mittwoch (die meisten haben einen Grossbildschirm in ihrer casa de hermandad) bis zum Bierchen am Sonntag. Praktisch alle haben ein langjähriges, kontinuierlich gepflegtes, soziales Programm, das mag von der Kleider- und Essensverteilung (machen fast alle) bis zum Unterhalt eines Behindertenheim oder ähnlichem reichen.
Video 6: Die Macarena, die wohl bekannteste der virgenes von Sevilla zieht unter einem Regen aus Rosenblätter (petalos) vorbei. Hier noch ein weiteres Video.
Was noch? Ach ja! An einem dieser Orte, an denen die semana santa diese Stadt geformt hat (das gilt sogar wortwörtlich: die Ecke der Strasse, in die der paso des señor de sentencia in den folgenden Bildern einbiegt ist abgestumpft, da sonst der paso nicht um die Ecke kommen würde) und an denen man unbedingt diese semana santa gesehen haben muss, liegt zufällig unsere Wohnung. Darum noch ein paar Videos, was bei uns am Karfreitag um 11Uhr morgens auf der Strasse los war (siehe oben).
PS
Halt, noch etwas! Das ist hier ja primaklima und man fragt sich, was das Ganze hier zu suchen hat (tatsächlich kann ich schreiben, worüber ich Lust habe, aber egal). Vor einiger Zeit, ebenfalls zur semana santa, besuchte mich hier ein Klimakollege. Viele hermandades konnten nicht ihre penitencia antreten, da es regnete oder drohte zu regnen. Die pasos sind meist mit Goldfarbe lackiert und die sauteuren und alten Brokate der virgenes vertragen auch keinen Regen. Wir haben uns dann gefragt, ob man nicht mit einer Geschichte der verschiedenen hermandades (wann sie sie in der Vergangenheit rausgegangen, und wenn nicht, warum nicht) eine Art Rekonstruktion des Früjahrsniederschlags in Andalusien versuchen könne. Eine Zeit lang versuchte ich es, aber es waren doch deutlich zu viele Schwierigkeiten. Es gibt kein zentrales Register und man muesste umfangreiche Quellenstudien betreiben (Zeitungen aus dem 19Jhd etc.). Ostern springt immer hin und her und man hätte keine wirkliche Referenzperiode. Reiche hermandades gehen manchmal raus, egal ob es regnen könnte oder nicht. Dann wird eben restauriert. Und schliesslich ruft heute die hermandad den meteorologischen Dienst in Madrid an, während früher einfach jemand auf dem Kirchturm Richtung Westen blickte. Kurz, ein moving target mit enormen Arbeitsaufwand. Andere aber haben ähnliches versucht und durchaus Erfolg gehabt, siehe diese Arbeit zum Zusammenhang von bezahlten Bittmessen und Niederschlägen im letzten Jahrtausend.
Kommentare (36)