“Der Mensch stammt vom Affen ab” ist ein häufiggebrauchter Satz, um die Konsequenzen der Darwinschen Evolutionslehre für den Menschen klar zu machen. Andererseits impliziert dieser Satz ja, dass der Mensch jetzt Mensch ist und eben nicht mehr Affe. Das sei wissenschaftlich falsch, sagt Frank Patalong von Spiegel Online und beschwert sich ob dieser laschen Sprachweise. Er vermutet gar gravierende soziale und politische Konsequenzen des obigen Abstammungssatzes: “Der Mensch IST ein Affe”, so sei es richtig.
Bild 1: Sexy Lucy! Der vor 41 Jahren von Donald Johanson entdeckte und getaufte australopithecus afarensis soll, so meint Frank Patalong, nicht mehr Vorfahre des Menschen genannt werden. Warum eigentlich? Ein Blick auf einen mehr oder minder aktuellen Abstammungsbaum des homo sapiens sagt etwas anderes (siehe unten). Ausserdem haben ich und Lucy ungefähr die gleichen Brüste.
Diese Diskussion ist in der Tat schon etwas älter und im englischen Sprachraum stimme ich insbesondere diesem Beitrag von John Hawks zu, von dem ich auch den Titel gestohlen habe. Kurz zusammengefasst:
- Die Wissenschaft macht Unterscheidungen und bemüht sich um grösstmögliche Präzision. Sie muss international verständlich und einheitlich sein. Darum also ist der Mensch (homo sapiens) ein hominidae zusammen mit Schimpansen, Bonobos, Gorillas und Orang Utans. Es macht keinen Sinn taxonomisch zwischen diesen 5 Tieren noch weitere Unterfamilien einzuführen. So sehr gehören sie zusammen. Der Mensch ist somit auch Teil der übergeordneten Familie der hominoidea, welche auch die Gibbons miteinschliesst. So geht es in den Familien, Über- und Unterfamilien und Ordnungen weiter nach oben im Abstammungsbaum, der durchaus von Zeit zu Zeit kleinere und grössere Änderungen erfährt. So waren früher die Koboldmakis mit den heutigen Feuchtnasenprimaten zusammengefasst zu der Familie der Halbaffen. Doch die sind mittlerweile abgeschafft und der Koboldmakaki landete wieder bei den Trockennasenprimaten, zu denen unsere Spezies auch gehört. So kann es einem ergehen. Irgendwo in dieser Hierarchie, die ich nicht wirklich beherrsche und im wesentlichen von Wikipedia und von meiner Frau gelernt habe, tauchen die Anthropoidea auf und die werden im Deutschen auch schon mal gleichgesetzt mit dem Wort “Affe”. Das ist also gemeint, wenn Patalong insistiert, der Mensch sei ein Affe, ein Ausdruck, der, wenn er einem in einem Biologiehörsaal begegnet, aber durchaus auch die gesamte Ordnung (oder Überfamilie?) der Primaten umfassen kann. Das Deutsche ist damit nicht soweit weg von der biologischen Systematik, wenn es auch offen für Verwechslungen (Primat oder Anthropoidea?) bleibt.
Bild 2: Der Paranthropus ist kein Vorfahr des Menschen, Lucy (australopithecus afarensis) hingegen schon. Wer das so sieht, der hat die Evolutionslehre nicht richtig verstanden, meint Frank Patalong.
Ich bin offensichtlich kein Taxonom. Ich finde diese Einteilungen interessant und sehr wichtig, insbesondere die Konsequenzen dieser Einteilungen für eine Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte der einzelnen Arten. Ist es aber wichtig, um zu verstehen, was jemand meint, wenn er sagt: “Schau mal, ein Affe!”?
2) Im Gegensatz zur Wissenschaft hat eine Sprache eine ganze Reihe mehr und andere Funktionen als äusserste Präzision bei der Beschreibung eines Abstammungsbaums. Zu allererst muss sie funktionieren. Die bezeichnete Sache muss damit hinreichend bezeichnet sein und zwischen den Kommunizierenden muss eine ausreichende Übereinkunft darüber bestehen, was denn nun gemeint ist. Auf unser Problem hier angewandt heisst das, dass es im Alltag einer Sprache erstmal ok ist, wenn mit Affe ein behaartes Tier, das gerne Früchte isst, meist auf Bäumen sitzt und Huhu macht, gemeint ist. Es ist klar, dass es mit zunehmender Komplexität einer Kommunikationes durchaus hilfreich sein kann, präziser zu werden. Das Deutsche kennt Affe und Halbaffe (aber obacht, letzteres gibt’s an sich gar nicht mehr!), das Englische ape und monkey. Will jemand gar die Abstammungslehre erklären und sagt etwa: “Der Mensch stammt vom Affen ab” ist das natürlich teils wahr, teils missverständlich. Richtig ist, dass der letzte gemeinsame Vorfahr mit den anderen Hominidae eben auch ein Affe (im Sinne von Anthropoidea) war, er ist aber missverständlich, weil er impliziert, dass als Resultat dieser Abstammung eben jetzt ein Nichtmehraffe entstanden sei.
Warum soll man also nach Patalong so nicht mehr reden? Nun, weil er in dieser “der Mensch stammt ab”-Sprechweise tieferverwurzelte moralisch-ethische Probleme vermutet und die sollen durch eine andere Sprechweise beseitigt werden:
“Die archaische, religiöse Trennung von Mensch und Natur war die ideologische Rechtfertigung für jeden Raubbau daran: “Macht euch die Erde untertan…” Das Menschsein als “Ort” in der Natur zu begreifen, öffnet hingegen Horizonte und macht uns klar, dass Raubbau Selbstgefährdung bedeutet. Ich persönlich habe keinerlei Problem damit, Primat zu sein. Es macht uns zu besseren Menschen.”
Ich habe auch kein Problem damit, ein Trockennasenprimat zu sein. Ich bin es sogar ausgesprochen gerne. Ich bleibe aber skeptisch, durch Anderssprech die Welt zuerst anders wahrzunehmen und dann verbessern zu können. Erstens kenne ich immer noch keine empirische Studie, die zeigen würde, dass durch eine andere Sprechweise, die realen Umstände geändert wurden. Umgekehrt, also veränderte Umstände benötigen eine andere Sprache, scheint es mir weitaus plausibler. Es bleibt für mich daher fraglich, ob durch die Bannung von “Der Mensch stammt vom Affen ab” viel gewonnen ist, solange man in der Sache gleicher Meinung ist (also meinethalben sich auf den Abstammungsbaum des Menschen einigen kann). Zweitens ist der Mensch schon Natur (da hat Patalong natürlich recht) und sein Ort ist ebenda mittendrin, aber andererseits ist er es auch nicht mehr. Es könnten schon mehr als “archaisch, religiöse” Vorstellungen sein, die den Menschen dazu veranlasst haben, so strikt zwischen sich und allen anderen Tieren zu unterscheiden: Mittlerweile sprechen wir vom Anthropozän, davon dass der Mensch die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre, die Temperatur derselben und bald 70% der Erdoberfläche geändert und ummodelliert hat. Für ihn ist mittlerweile die kulturelle Evolution weitaus wichtiger als die natürliche seines Körpers. Man denke nur an all die Menschen, die durch mehr oder minder fortschrittliche Medizin (bei der Heilung oder Verwaltung von schwerer Blinddarmentzündung bis zu Diabetes) Gott sei Dank am Leben gehalten werden können und deren Krankheit selbst auf die Zahl ihrer Nachkommen keinen merklichen Einfluss hat. Kurz, die taxonomisch falsche Dichotomie der Alltagssprache zwischen Mensch und Tier (oder meinethalben Affe) ist durchaus augenfällig und beschreibt die Umstände einfach besser. Wer, wie Patalong oder auch ich möchte, dass sich der Mensch mehr als Teil dieser Natur sieht und für sie Verantwortung durch z.B. Artenschutz übernimmt, kann und soll das tun. Aber er sollte nicht die Taxonomie zur Ummodellierung der Umgangssprache benutzen, damit dieses Ziel gewissermaßen unbemerkt durch die Hintertür erreicht wird.
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