Nur für den Fall, daß ihr noch nichts für Weihnachten habt: Bücher gehen immer! Hier ein paar Vorschläge, von Büchern, die ich letztes Jahr so gelesen habe. Vielleicht ist ja etwas für eure immer noch an allem interessierte Tante oder für euren Neffen, der kürzlich sein Smartphone verloren hat und nicht weiss, was jetzt mit seinem Leben anfangen, dabei.
Ach, noch etwas. Ich hänge meist den Amazone Link mit dabei, da für den einen oder anderen, respektive die eine oder andere, es die einzige Art ist, schnell englischsprachige Bücher zu bestellen. Allerdings empfehle ich aus den offensichtlichen Gründen, es immer zuerst beim Buchhändler eurer Wahl zu versuchen. Die können fast alles Aktuelle bestellen, haben höchstwahrscheinlich deutlich bessere Arbeitsbedingungen für ihre Angestellten und machen keine kartellrechtlich fragwürdige Deals mit den großen Verlagen. Jetzt aber:
Es ist zu dem Buch alles gesagt. Es gewann den Royal Society Winton Prize for Science Books und ist bereits unzählige Male besprochen worden, besonders enthusiastisch etwa hier im Guardian. Unser Florian Freistetter auf astrodictum simplex hat gar eine 11 Kapitel-umfassende Kritik und Nacherzählung geschrieben, und das bei einem im Taschenbuchformat lediglich 250 Seiten umfassenden Buch. Die Idee Miodowniks, Materialforscher am University College London, ein Foto von sich auf dem Dach seines Hauses als Ausgangspunkt zu nehmen, all die Materialien, die man dort sieht, vom Beton, auf dem sein Stuhl steht, zur Tasse, aus der er seinen Tee trinkt, im Detail zu erklären und ihre Geschichte zu erzählen, ist einfach genial.
Bild 1: Mark Miodownik auf dem Dach umgeben von vielen Wundern unserer technischen Welt, die es alle zu erklären gilt.
Ein kleiner Pfeil auf ein unscheinbares Objekt auf diesem Foto leitet das jeweilige Kapitel ein und schon geht es darum, wie unglaublich schwierig es ist, Schokolade hinzubekommen oder eine einfach Porzellantasse. Mein Lieblingskapitel ist eindeutig das zum Beton. Inwieweit war der römische Zement verschieden von unseren und wie funktioniert das eigentlich mit dem Betonaushärten? Wo kommt all das CO2 bei der Zementherstellung her und gibt es eigentlich etwas Neues auf dem Markt der Zemente? Die Antwort auf die letzte Frage ist übrigens: Ja! Zement kann mit Titandioxid versetzt werden, welches mit den typischen organischen Rückständen, die mit der Zeit auf Betonbauwerken entstehen, reagiert und entfernt und so für ein stets frisches Aussehen der doch sonst so trist alternden Betonbauwerke sorgt. Arthur C. Clarkes “Gesetz”, demzufolge jede hinreichend fortschrittliche Technik von Magie nicht zu unterscheiden ist, ist zwar nachwievor wahr, aber mit Miodowniks “Stuff matters” im Gepäck rückt die Grenze, wann für uns die Magie anfängt weit hinaus. Ein tolles Buch.
Daniel Lieberman ” The Story of the human body”
Wenn der geschätzte Primaklima-Leser nur ein einziges Buch zu verschenken hat, dann sollte es wahrscheinlich dieses sein. Lieberman ist Professor für die Evolution des Menschen in Harvard und hat in diesem Buch seine Standardvorlesungen für Laien zusammengefasst. 60 Seiten Fußnoten machen klar, hier wird aus dem Vollem geschöpft. Lieberman ist ein wandelndes Wissenslexikon zur Anthropologie, zur Geschichte und zur Physiologie des Menschen. Ausgangspunkt seiner Reise durch die Evolutionsgeschichte der Hominini durch die letzten 6 Millionen Jahre ist eine ganz einfache Frage: Wie kommt es, dass der Mensch heutzutage dermaßen von Krankheiten heimgesucht wird, die es essentiell und, soweit man das überhaupt sagen kann, “früher” überhaupt nicht gegeben hat: Type 2 Diabetes, schwere Herz-Kreislauferkrankungen, Darmkrebs, viele Allergietypen, Autismus, Plattfüsse, Kurzsichtigkeit und so weiter und so fort. Wer das wirklich verstehen will, der muss eben durch die letzten 6 Millionen Jahre Menschheitsgeschichte durch: Was passiert eigentlich mit einem Affen, der aufrecht stehen will? Wie ist genau die Energiebilanz eines in der Savanne herumstreifenden Sammler und Jäger? Wieweit geht er, wieviel läuft er oder sie und wieviele Kalorien braucht das Gehirn eines Australopitecus und wie konnte er sich das leisten in einer immer karger werdenden Umwelt? Die Antworten sind teilweise wirklich verblüffend. Mir war zumindest nicht klar, wie sehr unser Körper für Ausdauersport gemacht ist. Diese unsere unglaubliche Ausdauer mag für die meiste Zeit unser Existenz ein weit bemerkenswerteres Merkmal unserer Vorfahren gewesen sein als unser langsam wachsendes Gehirn.
Ich habe mal ein beeindruckendes Video angehangen, wie solch ein Ausdauersportler eine riesige Antilope, gegen die er im Sprint nicht die geringste Chance hat, zur Strecke bringt, angehangen. Es kam, wie es kommen musste, setzt man diesen bemerkenswerten Ausdauersportler Homo, desses Physiologie obendrein daraufgetrimmt ist, jede überschüssige Energie sofort in Fett umzusetzen, einmal hinter einen Schreibtisch und gibt ihm das Doppelte seiner “normalen” 1500-2000 Kalorien zu futtern, dann häufen sich die Probleme. Es ist sicher nicht ohne Ironie, dass im gleichen Moment, in dem wir fast allen relevanten Ansteckungskrankheiten den Garaus gemacht haben, wir vor einer Explosion von nicht ansteckenden “Zivilisationskrankheiten” (Lieberman nennt sie mismatch diseases) stehen, die doch teils wie eine Epidemie voranschreiten. Viele arabische Länder, Polynesien oder die indische Mittelschicht gehen auf stramme 20-30% von Diabetesfällen unter der erwachsenen Bevölkerung zu. Wer also wissen will, was ein Evolutionsmediziner vorschlagen würde, um an all diesen “mismatch diseases” etwas zu ändern und warum es trotzdem nicht einfach sein wird, der muss sich den Lieberman holen. Mein Weihnachtsbuchtipp No 1.
Ronald D. Gerste “Wie das Wetter Geschichte macht”
Ich kaufe ja Bücher – so das natürliche falsche Vorurteil – wie Frauen Kleider kaufen. Es gibt also Frustbücher oder “schönes-Wetter-Bücher” und “Da-war-so-ein-riesen-geiler-Stapel” Bücher. Mit den Jahren kommen da doch einige ungelesene Bücher zusammen, bei denen ich nicht mehr so recht weiss, warum ich die wohl gekauft habe: das Equivalent zu einem Schrank voller ungetragener Kleider. Ronald D. Gerste Wetter Buch fiel unter die “Stapel-Motiv” Kategorie und ich weiss nicht, was meinen Buchhändler oder Klett-Cotta wohl dazu angetrieben haben mag, nun gerade dieses Buch stapelweise in den Weihnachtsbetrieb zu schmeissen.
Es geht also um den Einfluss des Wetters auf das Weltgeschehen. Das ist ja an sich ein interessantes Thema. Erst jüngst wurde vorgeschlagen, dass die Syrischen Flüchtlinge, die momentan in Deutschland ankommen, eben die ersten Klimaflüchtlinge seien und dass also der dortige Bürgerkrieg AUCH dadurch angestossen wurde, dass Syrien nach mehreren Jahren Trockenheit vor ernsten Nahrungsmittelproblemen, die ja immer auch eine Umverteilung von Macht und Einfluss in einer Region bedeuten, stand. Mit so einem Thema wäre also einiges anzufangen. Gerstes Buch ist das allerdings ganz klar nicht gelungen. Es ist im Wesentlichen eine Sammlung von “Irgendetwas geschah in der Vergangenheit” und das Wetter, ohne Anspruch auf eine Synthese oder sonstweitig störende Analyse. Hinzu kommt noch, dass Gerste es sich nicht hat nehmen lassen, einige der dümmsten Stereotype in der Klimadebatte überhaupt zu wiederholen. “Aber eine Schlagzeilen heischende Weltuntergangsstimmung zu verbreiten, erscheint manchen Klimaforschern als der sicherste Weg, Forschungsmittel zu akquirieren.” So etwas und anderen völlig unbelegten Unsinn findet man an einigen Stellen, wenn auch nicht zu vielen.
Bild 2: Karl X von Schweden überquerte mit 8000 Mann und zugehörigen Pferden den zugefrorenen kleinen Belt und jagte so den Dänen einen ganz schönen Schrecken ein. Dieses Beispiel für die ungewöhnlich kalten Winter während der kleinen Eiszeit ist sicher deutlich besser als die ewigen “Jäger im Schnee” von Pieter Bruegel. Siehe auch den Kunst und Klima Post auf Realclimate.
Außerdem erzählt er zum x-ten Mal die Geschichte vom englischen Weinbau als Beleg für die mittelalterliche oder römische Warmzeit. Ein Punkt der schon mehrfach, so von Gavin Schmidt hier, korrigiert wurde. Darüber hinaus lesen sich ganze Kapitel wie Kurzzusammenfassungen einer einzigen Quelle. Wer Wolfgang Behringers “Kulturgeschichte des Klimas” gelesen hat, kann sich wahrlich Gerstes Kapitel zur kleinen Eiszeit sparen. Die Vorgänge rund um den teilweisen Untergang der von Philipp II gen England geschickten spanischen Armada sind eine Zusammenfassung von Robert Hutchinsons 2013 erschienenem Buch “The Spanish Armada”. Einige Kapitel verlassen gar gänzlich das vermeintliche Thema, also der Einfluss des Wetters auf die Geschichte. Dann erzählt der Autor nur noch einige historische Schnurren und fügt den Wetterbericht als eine Art Entschuldigung an. Washington überquerte den Delaware und es war verdammt kalt, was ja zu Weihnachten in New Jersey schon mal vorkommen soll. In dem Stil geht es also durch die Weltgeschichte: Die französische Revolution, Napoleons Russlandfeldzug, Der D Day, Nochmal Russlandfeldzug, diesmal vom Führer.
Warum erwähne ich das Buch also überhaupt? Nun, zum einen ist meine Kritik natürlich ein bisschen ungerecht. Dass ich gerne ein interessanteres Buch mit einem anderen Thema gelesen hätte, ist ja nicht Gerstes Schuld. Ausserdem bleiben da doch eine ganze Reihe Anekdoten der Weltgeschichte, die ich zumindest noch nicht kannte. Und man soll ja dankbar sein. Vor allem aber erfuhr ich von Gerste, dass die LP, zu der ich einst meine Unschuld verlor, Al Stewarts “Year of the Cat”, als zweiten Song mit “Lord Grenville” den englischen Kommandanten würdigte, der sich 1591 allein mit seinem Schiff auf die halbe spanische Armada gestürzt hatte. Wer hätte das gedacht? Jene Nacht erscheint mir nun in einem ganz anderen Licht.
Elizabeth Kolbert “The sixth extinction”
Leben wir mitten im größten Artensterben seit es diesen Planeten gibt? Und wenn das tatsächlich stimmt und wenn, was tatsächlich ausser Frage steht, der Mensch dieses Artensterben verursacht, was kann man noch tun, um diesen rasant ablaufenden Prozess zu stoppen, an dessen Ende in den Ozeanen nur noch Mollusken leben und auf den Kontinenten Ratten und Tauben die Artenvielfalt repräsentieren. Die freie Journalistin Elizabeth Kolbert arbeitete häufig für die NYT und den NewYorker. Ihre Artikelserie zum Klimawandel kam 2006 unter dem Titel “Fieldnotes from a catastrophe: Nature, Man and climate change” heraus und war, soweit ich mich erinnere das erste Wissenbuch zum Klimawandel, welches ich gelesen habe. Kolbert hat das Geld, das Sie mit diesem Erfolgsbuch gemacht hat, dazu genutzt, sich auf eine ähnliche Reise zu wie einst Douglas Adams in seinem Klassiker: “Last chance to see”. Sie reiste zu Orten, an denen heute zur schwindenden Artenvielfalt geforscht wird: Mal ganz prosaisch zur Yale Universität, um sich über das grosze Artensterben am Ende des Perm vor 252 Mill.Jahren zu informieren (möglicherweise das Artensterben von den Big Five, dessen Ursachen wir am wenigsten verstehen), mal in den Amazonasdschungel in der Nähe von Manaus um das BDFFP (Biological Dynamics of Forest Fragments Projekt) zu besuchen. So ergeben die einzelnen Kapitel eine Art Reise von der Historie der Palynologie zu den aktuellen Forschungen zum Thema Artenvielfalt hin zu den leider sehr düsteren Prognosen.
Darwins Hauptwerk hiess ja nun einmal “On the origin of species” und nicht “On their extinction”, aber er fragte sich trotzdem, ob die Prozesse, die zum Verschwinden einer Art führen, zeitlich und räumlich ähnlich wirkten wie die, die neue Arten hervorbrachten. Darwin stellte sich dabei auf die Seite der Uniformisten wie William Lyell, die alle geologischen oder palynologischen Änderungen als Resultat langsamer Trends ansehen. Das Aussterben ist also bei den Uniformisten eher so etwas wie ein langsames Ertrinken. Die Gegenseite in der Nachfolge Georges Cuviers (“Catastrophists”) sah eher in riesigen und schnellen geologischen Umwälzungen (etwa die biblische Sintflut) den Grund für das Verschwinden von Arten aus den geologischen Archiven. Kolbert geht soweit, dass sie den Haupterkenntnisgewinn Darwins auf seiner Reise mit der Beagle nicht so sehr in der kontemplativen Beschau der nach ihm benannten Finken auf den Galapagosinseln sieht, sondern darin, dass er sich endlich die Zeit nehmen konnte William Lyells Werke zu studieren.
Heute wissen wir, dass beide Seiten recht hatten: Wenn auch viele geologischen Prozesse – und so auch das Verschwinden einer Art – unter natürlichen Bedingungen langsam und graduell stattfindet, so ist die Erdgeschichte doch durchlöchert mit Massensterben von Arten. Unter diesen Massensterben sind eben die big five, grosse Übergänge im geologischen Rekord an denen tausende von Arten und ganze Familien abrupt verschwunden sind. Die Palynologen definieren ein Massensterben als das Verschwinden von 75% aller Arten in 1 Millionen Jahren. Das hört sich dramatisch an, man muss aber dabei wissen, dass eine Aussterberate etwa für Vögel oder Säuger von 25% normal ist. Die Normalität ist also nur um einen Faktor 3 von einem epochemachenden Zusammenbruch der Artenvielfalt verschieden. Nähme man nur dieses Kriterium zum Massstab, dann ergibt sich aus einfacher Extrapolation die Größenordnung der jetzigen Vorgänge. In den letzten ca. 100 Jahren sind von 5488 bekannten Säugerarten (9990 Vogelarten) 1.38 % (respektive 76 Säugerarten; bei den Vögeln handelt es sich um sehr ähnliche 1.34% oder 134 Arten) ausgestorben. Gemessen an diesen auf geologischen Skalen riesigen Zahlen kommt man natürlich schnell auf die in der Presse häufig genannten “Aussterberaten”, die 100-1000fach über den natürlichen liegen. Kolbert erklärt sehr gut die mit dieser Analyse verbundenen Unsicherheiten. Insbesondere ist natürlich das Kriterium des “Austerbens” selbst ein grosses Problem, um den Zustand der Artenvielfalt jetzt und in naher Zukunft einzuschätzen. Wie lange wurde eine Vogelart nicht mehr gesehen und gilt dann irgendwann als offiziell ausgestorben? Wieviele Arten lassen sich noch heute in durchaus größerer Individuenzahl finden, sind aber letztlich zum Austerben verurteilt, weil ihr Lebensraum de facto nicht mehr existiert? Diese Verzögerung in der offizielen Feststellung des Aussterbens und dem unvermeidlichen Hinsichen der letzten Exemplare einer Spezies nenn man auch die extinction debt. Selbst bei Vögeln und Säugetieren ist es schwer diese “debt” genau anzugeben, was eben die riesigen Spannbreiten (100-1000fach über normal) bei den Aussterberaten erklärt.
Bild 3: Das BDFFP (Biological Dynamics of Forest Fragments Project) wurde von Thomas Lovejoy ins Leben gerufen. Es ist das wichtigste wissenschaftliche Projekt, um den Zusammenhang zwischen Habitatfragmentierung und Artenvielfalt zu erforschen und Basis von E.O.Wilsons berühmter area/species Gleichung, die riesige Einbrüche in der Artenvielfalt allein durch vom Menschen unternommene Unterteilung der Natur (Strassenbau, partielle Holzung etc.) vorhersagt.
Nun ist das Thema offensichtlich nicht gerade das Fröhlichste, aber Kolbert schafft es mit trockenem New Yorker Humor, die ganze Geschichte nicht zu einem einzigen Trauerspiel werden zu lassen, zumindest nicht auf der literarischen Ebene. Wenn fünf Veterinäre und Tierpfleger versuchen , einem der letzten sumatrischen Rhinos mit Namen Suci im Zoo von Cincinnati durch Intravaginalmassage zum Eisprung zu verhelfen, dann ist das sicher traurig und doch nicht ohne Komik. Kolberts “Sixth Extinction” ist rechtzeitig zu Weihnachten auch auf Deutsch herausgekommen. Eine gute Geschenkwahl!
Neil MacGregor’s “Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten”
Noch ein Buch, das bereits auf allen Kanälen gelobt und gepriesen wurde. MacGregor, der in drei Tagen ehemalige Direktor des britischen Museums und baldige Gründungsintendant des Humboldtforums in Berlin (i.e. das zu errichtende Museum im Hohenzollern Stadtschloss Berlins), hat ein bisschen den Museumskatalog neu erfunden. Statt langweiligen Abarbeitens der Ausstellungsstücke Etage um Etage versenkt sich MacGregor in seine 100 Objekte gewissermaszen und setzt sie in ihren historischen Zusammenhang, und zwar nicht nur der Zeit, wann das jeweilige Objekt geschaffen und genutzt wurde, sondern auch den Zeiten seiner späteren Wiederentdeckung als museales Auststellungsstück. Jeder Text zu jedem Objekt ist ein kleines Essay, das er mit Hilfe vieler Kollegen, Archäologen, Philosophen, Historikern, zusammengestellt hat. Endresultat: Wir fahren im Januar nach London, nur um 24 Stunden im british museum herumzulaufen. Mehr kann ein “Museumskatalog” wohl nicht leisten. Die vielen Bilder und die fast zwei Kilo Buch machen es zu einem idealen Weihnachtsgeschenk. PS: Das britische Museum hat auch eine phantastische Webseite zum Buch aufgesetzt und die BBC hat eine tolle Radiosendungsreihe herausgebracht.
Ich bin 2014 ja auch noch in den Strudel der auf den deutschen Büchermarkt erschienen “100 Jahre erster Weltkrieg” Editionen geraten und habe, wie so viele mit Christopher Clarks “Die Schlafwandler” begonnen. Ich hatte das Buch schon einmal hier auf Primaklima erwähnt. Mehr und mehr kann man zu der Überzeugung kommen, dass wir auf eine geopolitische, multipolare Lage hinsteuern, die der Welt vor dem ersten Weltkrieg ähnelte. Neben all diesen schon oft erwähnten Vergleichen (das neue China ist das alte Deutschland, USA das alte England, etc.) kann man zum Beispiel die jetzige Syrienkrise betrachten. Wer hätte so etwas vor 10 Jahren für möglich gehalten. So ziemlich alle Super- und Mittelmächte ballern aus allen Rohren in wild wechselnden Allianzen auf das gleiche kleine Land, ohne rechtes Ziel und Verstand. Selbst so etwas wie das Aufeinandertreffen der Hohen Pforte und des Zaristischen Russlands gibt es mittlerweile wieder in Neuauflage. Ich will daher noch drei andere Bücher zum Thema “erster Weltkrieg” zumindest kurz erwähnen.
Wichtiger Teilnehmer an der Clark Diskussion war der mittlerweile emiritierte Historiker Gerd Krumeich. Er brachte anlässlich dieser Diskussion zur deutschen Hauptverantwortung am Ausbruch von WWI dieses Buch heraus, welches fast im Stundenprotokoll die politischen Überlegungen und Entscheidungen der Haupakteure im letzten Monat vor Beginn des Krieges darstellt. Am Ende des Buches finden sich 50 Schlüsseldokumente aus dem besagten schicksalshaften Juli 14. Bedrückend, denn dort findet man reichlich Parallelen im Ton zu heute und zu Putin, Erdogan, aber auch immer wieder zu westlichen Politikern. Es ist alles nicht so lange her.
Hier im übrigen eine Diskussion beim 2014 Historikertag in Göttingen zwischen Clark und Krumeich.
Eher im Nachhinein, als der eigentliche Plan nicht gelingen wollte, hat der Oberbefehlshaber der deutschen Armee, Falkenhayn, die Schlacht bei Verdun mit dem vermeintlichen Ziel des Weissblutens der Franzosen versehen. An einer einzigen und in Deutschland und Frankreich natürlich emblematischen Schlacht des ersten Weltkriegs, der Schlacht um Verdun, zeigt der Historiker Olaf Jessen, wie vermeintlich essentielle Ziele im Krieg zerbröseln und schliesslich sinnlos werden. Ein lang bedachtes, strategisches Ziel, ein Durchbruch (der Fetisch des ersten Weltkrieges schlechthin, alle träumten stets vom Durchbruch) oder zumindest eine Verlagerung der allierten Kräfte, die einen Durchbruch an anderer Stelle möglich machen würde, gelingt nicht. Statt einzuhalten und zumindest in Verdun das sinnlose Blutvergiessen zu stoppen, werden – wie man es ähnlich in der Ökonomie sagt – den verlorenen Truppen noch weitere Truppen hinterhergeschmissen. Dieses Buch beschreibt am Beispiel Verduns detailliert wie der Krieg seine eigene Dynamik entwickelt und nicht mehr zu bremsen ist, weil administrative Apparate dahinter verzweifelt Rechtfertigung zu produzieren suchen. Müsste man eine einzige typische Geschichte des ersten Weltkrieges erzählen, dann ist es sicher die der Erstürmung des Fort Douaumont. Quasi von den Franzosen “vergessen” und nur noch mit knapp 60 Mann bestückt wurde es von den Deutschen am dritten Tag der Verdun-Offensive quasi en passant erobert ( dazugehörige Fotodokumente wurden erst kürzlich entdeckt und sind bei Jessen veröffentlicht), um danach als Hauptgefechtsziel der französischen Gegenoffensive ein wohl beispielloses Bombardement zu erhalten. 9 Monate und 100.000 Tote später war alles wieder wie zuvor und das einst “vergessene” und vermeintlich nicht so wichtige Douaumont wieder in französischer Hand. Wer Jessens Buch gelesen hat, wird gegenüber all den “chirurgischen Eingriffen” unserer Tage sehr skeptisch, denn Pläne, so Clausewitz, kennt der Krieg nur bis zur ersten Schlacht.
Bild 4: Fort Douaumont vor und nach den 8 Monaten der Schlacht um Verdun. 100.000 Menschen starben allein an diesem Abschnitt der Front, der zu Beginn der Schlacht von französischer Seite nichtmals so besonders wichtig angesehen wurde.
3) Herfried Münckler “Der große Krieg”
Münckler wird ja als konservativer Historiker an der Humboldt Uni heftig gedisst (siehe die eigenartige Story hier), was das Interesse an seinem Buch sicher steigern mag. Ist es wohl wirklich so schlimm? Ich fand sein detailliertes Panorama “Der große Krieg” der vier Jahre von 1914 bis 1918 jedenfalls sehr interessant und keineswegs apologetisch. Was haben eigentlich damals die Intellektuellen zum Krieg und seinem immer schlimmer werdenden Wahnsinn gesagt? Gab es eigentlich relevante Stimmen in Deutschland und anderswo, um in Waffenstillstandsverhandlungen einzutreten? Münckler zeigt sehr schön die verschiedenen psychologischen, aber auch ganz konkreten, finanziellen Motive, die irgendwann den Abbruch des Krieg unmöglich machten. So waren alle Beteiligten einfach zu sehr verschuldet, um mit einem Kompromiss oder irgendetwas anderem als der totalen Kapitulation der Gegenseite noch hätten leben können. Neben den militärisch-politischen Abläufen der Zeit liefert Münckler auch ein ideengeschichtliches Buch zum Wandel der Welt vor und nach dem Kriege. Ich kann es jedenfalls nur empfehlen. Und wenn es einem nicht gefällt, kann man es ja immer noch Münckler Watch mitteilen.
PS: Wer sonst noch Bücher empfehlen möchte, soll das gerne hier tun. Einfach ein paar Worte, warum ihr das jeweilige Buch gut fandet und in die Kommentare posten.
Kommentare (1)