Vielleicht erinnert sich noch jemand daran, dass ich beim ersten ScienceBlogs-Schreibwettbewerb 2015 auch mit einem Beitrag angetreten war. Mein Thema war das Risiko – was es ist, wie man es beschreibt und was man tun kann, um es zu reduzieren (vielleicht schreibe ich darüber auch mal hier eine kleine Serie).
Angefangen hatte ich mit einem kurzen Beispiel, das illustrieren sollte, warum es schwierig ist, Risiken einzuschätzen und, dass unser Gefühl dafür kein verlässlicher Maßstab ist. Im Weiteren führte ich aus, mit welchen Mitteln man sich darum bemüht, Risiken zu identifizieren (schwierig genug) und quantifizieren (wirklich schwierig).
Wenn man eine Anlage plant, muss man sich mit den Risiken beschäftigen, die von ihr ausgehen können. Parallel zur gesamten eigentlichen Planung läuft zu diesem Zweck der SHE-Prozess. EHS[1] ist die Abkürzung für den englischen Begriff “Environment, Health and Saefety”. Die deutsche Übersetzung dafür ist SGU – “Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz”.
Im Zuge des EHS- bzw. SGU-Prozesses – im Folgenden bleibe ich beim englischen Begriff – werden die von der Anlage ausgehenden Risiken im Normalbetrieb und bei abweichenden Betriebszuständen (z.B. Reinigung, An- und Abfahren, Not-Abschaltung, usw.) möglichst vollständig erfasst und häufig[2] entsprechend der beiden wichtigen Größen Schadensausmaß und Schadenseintritts-Wahrscheinlichkeit in Klassen eingeteilt.
An dieser Stelle will ich gar nicht so sehr darauf eingehen, wie man das en detail macht. Ich möchte aber anmerken, dass EHS-Management heute eine große Rolle bei Planung, Bau und Betrieb von Anlagen spielt und wir, die wir Anlagen planen und bauen, uns dessen voll bewusst sind. Augen, Hände und andere wichtige Körperteile stehen uns nur in begrenzter Zahl zur Verfügung. Und jeder von uns hat großes Interesse, den Arbeitstag mit derselben Anzahl zu beschließen, wie sie oder er ihn begonnen hat. Ich sage oft, dass die Zeiten vorbei sind, in denen schwere Unfälle zum industriellen Alltag halt irgendwie dazu gehörten. Natürlich ereignen sie sich auch heute noch, aber wir nehmen sie nicht mehr einfach hin, sondern versuchen sie aktiv zu vermeiden – Und das sehr erfolgreich. So erfolgreich, dass das Gros der Unfälle mit Ausfallzeit für Arztbesuche, Regeneration, usw. heute gar nicht mehr die Montage- und Instandhaltungsleute verursachen, sondern Leute wie ich, die überwiegend am Schreibtisch sitzen. Das ist kein Witz.
Das soll nicht verschleiern, wie schrecklich schwere Unfälle für alle Betroffenen sind. Menschen, die bei Unfällen sterben oder schwer verletzt werden, sind danach nie wieder da bzw. nie wieder die alten. Unfälle schlagen körperliche und seelische Wunden, sie verursachen Leid und sie wären erschreckend oft völlig vermeidbar gewesen, wenn man einen Sauberen EHS-Prozess durchgeführt hätte.
Denn im Zuge dessen sitzen nicht nur Vertreter aller Gewerke am Tisch, die die fragliche Anlage planen und bauen, sondern auch externe Sachkundige, z.B. von TÜV oder EXIDA, da sitzen Behördenvertreter und evtl. Leute von NGOs. Wird eine Anlage nach einem bekannten Prozess gebaut und man hat damit Erfahrene Leute zur Hand, läd man die gegebenenfalls auch mit dazu. Im Zuge jeder Planung kommen vermutlich nie so viele einzelnen Disziplinen an einen Tisch, wie während des SHE-Prozesses.
1. Gefahren identifizieren
Zweifellos muss man erst mal wissen, was eigentlich gefährlich sein kann. Dazu stellt man sich viele Fragen, schreibt erst mal alles auf, sammelt: Welche Stoffe werden eingesetzt – sind sie brennbar, ätzend, giftig? Wie reagieren sie mit einander – können sie explodieren, polymerisieren, ausgasen und dabei Gifte freisetzen? Welche Maschinen gibt, welche Gefahren gehen von ihnen aus – ist die Maschine eigensicher oder gibt es besonders unsichere Betriebszustände, muss sie besonders aufgestellt, abgeschottet und verriegelt werden? Wie viele und welche Handeingriffe sind nötig und werden Menschen evtl. dadurch gefährdet? Wenn in Teilanlage A die Kühlung ausfällt, kann dann ein Kessel in Teilanlage F überhitzen – wenn ja, was passiert dann und wenn nein, warum nicht? Überhaupt: wenn etwas ungefährlich, warum geht dann keine Gefahr davon aus – weil höchstens ein bisschen lauwarmes Wasser auf die Erde fließt oder weil der Kessel stark genug ist, dem Explosionsdruck stand zu halten? Was muss man bei Bau und Betrieb beachten – ist die Anlage groß und unübersichtlich, ist sie klein und eng? Wie sind die Fluchtwege ausgeführt, wie sind sie beleuchtet? Noch Tausend andere Fragen…
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