Bei der Diskussion um Pseudowissenschaft bzw. unredlichen Umgang mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen wird immer wieder die Frage gestellt, warum unter deren Vertretern so oft ausgerechnet Ingenieure zu finden sind, zuletzt nebenan bei Florian.
Ob dem wirklich so ist oder ob es sich dabei nur um eine subjektiv gefühlte Wirklichkeit handelt, wäre interessant zu wissen. Aber so lange es dazu keine Studien gibt, wird die Antwort wohl noch etwas auf sich warten lassen.
Ich will deswegen mal versuchen, das Pferd von der andern Seite aufzuzäumen und ein paar Ideen zu Diskussion stellen, die möglicherweise besonders Techniker für Pseudowissenschaft empfänglich machen.
Techniker haben ihr ganzes Leben lang mit dem Suchen nach Lösungen konkreter Probleme zu tun. Und in der Regel finden Sie auch Lösungen, denn wäre das anders, würden sich ihre Arbeitgeber früher oder später von ihnen trennen.
Techniker beschäftigen sich wenig mit der Suche nach Erkenntnis. Die Menge des Wissens zu mehren, der Natur ihre Geheimnisse zu entreißen ist normalerweise nicht ihr zentrales Anliegen. Sie schaffen Neues in Form neuer Produkte, neuer Arbeitsmittel, neuer Anlagen – kurz, neuer Dinge, die man anfassen kann.
Wenn man viele Jahre lang auf seinem Fachgebiet sehr erfolgreich ist und auf eine lange Liste erfolgreich abgeschlossener Projekte zurückschauen kann, neigt man leichter dazu zu glauben, man hätte sich generell anwendbares Wissen darum erworben, wie die Welt funktioniert. Das ist eine bewährte Alltagsheuristik: Ich habe einen Sachverhalt durchdrungen und glaube, die Vorstellung, die ich davon habe auf andere Sachverhalte anwenden zu können.
Das klingt jetzt reichlich verschwurbelt, deswegen ein einfaches Beispiel: Ich lasse etwas los und es fällt auf die Erde. Tut es das immer? Ich wiederhole den Versuch und siehe da: das Ergebnis ist immer gleich. Schlussfolgerung: Dinge fallen runter. Typische Alltagsheuristik – jedem bekannt.
Das Ganze gibt’s auch noch in komplizierter: Das DRK baut einen BHP 50 auf, das THW unterstützt uns mit einem 10-kVA-Stromerzeuger. 7 kW hängen schon dran, da kommt einer mit einem einen 2-kW-Lichtmast und der THW-Kammerrad schüttelt den Kopf. Der Rotkreuzler versteht’s nicht – kVA, Kilo-Volt-Ampere, das ist doch auch irgendwie kilo-Watt, ist doch auch eine Leistung. Und 7 plus 2 gibt 9 – da müsste doch noch Platz sein. Warum soll das nicht gehen? In dieser Situation, wenn sowieso alle unter Strom stehen, jemandem zu erklären, was Wirk-, Blind- und Scheinleistung sind, ist wirklich nicht einfach.
Für den Elektriker ist die Sache klar, für den Laien nicht unbedingt – auch wenn der Laie vielleicht auch eine technische Ausbildung gemacht oder studiert hat. Eine Ausbildung, die ihn zusammen mit seiner Erfahrung zu einer kompetenten Fachkraft auf seinem Gebiet macht.
Jetzt liegen Medizin und Elektrotechnik zugegebenermaßen recht weit auseinander, aber Elektrotechnik und Physik beileibe nicht. Der größte Teil der Elektrotechnik ist Physik (der Rest sind Normen, Regeln, Festlegungen, Standards, usw.) und das macht es nicht immer leicht, die subtilen Unterschiede zwischen der Naturwissenschaft Physik und der darauf beruhenden Technik zu erkennen.
Technik ist im Wesentlichen die praktische Umsetzung gewisser theoretischer Vorstellungen, die wir von der Natur haben. Die Krux (und zugleich der Vorteil) ist, dass man sehr oft die theoretische Vorstellung vernachlässigen und die komplizierte Natur auf sehr einfache Bilder herunterbrechen kann, wenn man konkrete Technik anwenden will.
Ich muss mir bei meiner täglichen Arbeit z.B. keine Gedanken darüber machen, in welche Richtung die Ladungsträger wirklich fließen – die Richtung der Spannung ist für mich interessant und da ich galvanische Elemente nur als Blackbox mit spannungsführenden Klemmen betrachte, kann ich mir eine Stromrichtung definieren, die der Richtung der Spannung entspricht.
Für einen Elektrochemiker sieht die Sache anders aus: Der muss wissen, wo welche Ionen von Plus nach Minus und welche Elektronen von Minus nach Plus fließen. Der muss die Unterschiede kennen, ob sich die Ladungsträger in einem Metallgitter oder einer Flüssigkeit bewegen. Der Elektrochemiker muss die Teilchen mit Namen kennen, damit er alle Effekte korrekt beschreiben kann.
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