In dieser Form werden wird die Schadenseintritts-Wahrscheinlichkeit im Fall niedriger Anforderungsrate in die Risikomatrix eingetragen.
- Ist schon mehrmals passiert 1-10 Jahre
- Ist schon ein Mal passiert 10-100 Jahre
- nie vorgekommen, aber vorstellbar 100-1.000 Jahre
- vernüftigerweise auszuschließen 10.000 Jahre
Im Fall hoher Anforderungsraten sehen die rohen Schadenseintritts-Wahrscheinlichkeiten ein bisschen seltsam aus, weil die Zahlenwerte so klein sind. Man rechnet deswegen nicht direkt damit, sondern benutzt nur zwei Klassen: Häufig und Selten. Häufig wäre die Bedienung der Presse, selten das Betreten des gesperrten Anlagenteils.
Für hohe Anforderungsraten kommt noch eine weitere Dimension ins Spiel: Die Vermeidbarkeit. Kann der Bediener durch sein Verhalten realistischerweise die Gefahr vermeiden? Vielleicht bewegt sich die Presse nur sehr langsam und macht durch Drehspiegelleuchte und Signalton auf sich aufmerksam. Dann könnte man annehmen, dass sich der Kollege, der daran arbeitet wenn sonst alles in Ordnung ist, rechtzeitig aus dem Gefahrenbereich entfernen kann. Das macht dann zwar das Schutzgitter nicht unnötig, aber vielleicht muss man dann nur noch einen Endlagenschalter einbauen, wo man aus Gründen der Redundanz sonst zwei gebraucht hätte, um dasselbe Schutzniveau zu erreichen. Für den abgesperrten Anlagenteil mit dem Schlüsseltransfersystem gilt die Vermeidbarkeit möglicherweise nicht: Vielleicht wird dort im Betrieb mit Gasen gearbeitet. Man muss nicht mal Giftgas annehmen – Stickstoff reicht. Auch wenn jeder von uns im Normalbetrieb mit 78 % Stickstoff im Atemgas gut leben kann, solange genug Sauerstoff vorhanden ist, wird die sprichwörtliche Luft bei höheren Konzentrationen schon ziemlich dünn. Und weil Stickstoff ein innertes Gas ist, merken wir gar nicht, wie wir langsam einschlafen – Stickstoff ist der der sanfte Tod. Deswegen muss das Schlüsseltransfersystem gegebenenfalls noch durch eine weitere Sicherheitseinrichtung ergänzt werden, z.B. eine Verriegelung, die die Fluchttür offen hält, solange jemand in der Anlage ist.
Mit der Angabe hoher oder niedriger Rate, mit der ein Schadensereignis stattfinden kann und der Vermeidbarkeit durch den Bediener können wir die Schadenseintritts-Wahrscheinlichkeit abschätzen und haben damit schon einige notwendige Angaben zur Aufstellung des Risikographen bestimmt.
Das Schadensausmaß
Das Schadensausmaß teilt man genau wie das Schadensausmaß und aus den gleichen Gründen in Klassen ein, z.B. in
- vernachlässigbar
- klein
- groß
- katastrophal
Für die Quantifizierung des Schadensausmaßes bieten sich zwei Maßstäbe an, nämlich Geldeinheiten und menschliches Leid. Keiner davon ist eindeutig und beide hängen von vielen Faktoren ab.
Wirtschaftlicher Schaden wird letzten Endes immer gusgedrückt durch eine Summe Geldes, die verloren ist, wenn das Risiko sich realisiert: Da ist zunächst der direkte Schaden durch einen Unfall, also die Kosten für die Aufräumarbeiten, die eventuelle Neubeschaffung und Aufstellung beschädigter Maschinen, eventuelle Kompensationszahlungen und Aufwendungen für Reha-Maßnahmen, aber auch der Verlust durch Produktionsausfall, durch Strafzahlungen an den Staat und Konventionalstrafen an die Geschäftspartner. Mit jedem Unfall kommt auch ein schwer einzupreisender Ansehensverlust, sowohl in der Geschäftswelt als auch bei Privatleuten. Würden sich Unfälle, wie der vom 17. Oktober 2016 häufiger ereignen, ist meine Vermutung, würde der eine oder andere treue Kunde z.B. zukünftig am Glysantin vorbeigreifen, wenn er Kühlerfrostschutzmittel kauft. Und das schlechte Licht, das auf das Unternehmen geworfen würde, könnte auch Großkunden abschrecken. Nichts davon können sich Unternehmen auf Dauer leisten und haben schon deswegen ein Interesse an sicheren Anlagen.
Bophal war der letzte katastrophale Unfall vor dem Internet und der flächendeckenden weltweiten Echtzeitberichterstattung. Der Unfall hat hierzulande weit weniger Grund aufgewühlt als der viel weniger schwere (und immer noch viel zu schlimme) Unfall in Seveso, weil er sich am anderen Ende der Welt abspielte. Das andere Ende der Welt gibt es aber heute nicht mehr. Der Unfall im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi wurde live in alle Welt übertragen und konnte im Internet und auf dem Smartphone praktisch hautnah miterlebt werden. Die sprichwörtliche ganze Welt war dabei. Nicht nur die deutsche Presse, auch z.B. die New York Times und der Guardian waren damals voll von Artikeln, über soziale Netzwerke verbreitete sich jedes neue Video in Windeseile. Die Industrie steht heute – ob zu Recht oder Unrecht steht in einem anderen Buch und mag ein andermal erörtert werden – deutlich mehr im Rampenlicht als noch vor drei Jahrzehnten. Zurzeit wunderbar zu sehen an den diversen Abgasskandalen. Ich bin sehr skeptisch, ob die schwer schätzbaren zusätzlichen Gewinne aufgrund der Manipulationen den wirtschaftlichen Schaden durch Strafen und das ramponierte, um nicht zu sagen, in Scherben liegende Image der deutschen Autoindustrie, aufwiegen. Wie das Management einiger der größten und erfolgreichsten Konzerne, die es jemals gab, ein derartiges Risiko eingehen konnte, ist mir schleierhaft.
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