Ursprünglich aus der Fliegerei kommend haben Checklisten mittlerweile eine enorme Verbreitung in der ganzen Industrie erfahren und an vielen Stellen hat sich tatsächlich gezeigt, dass sie Unfälle vermeiden. Das liegt nicht daran, dass die Leute zu blöd wären, ihre Arbeit zu machen, sondern dass sie als sterbliche Menschen auch einfach mal was vergessen oder übersehen, nur kurz abgelenkt sind oder generell keinen guten Tag haben. Die Checkliste ist oft einfach die simple Erinnerungsstütze, die dem Arbeiter sagt: “Hey, hast Du daran gedacht?” und oft genug sagt der dann zu sich selbst: “Ah, stimmt! Muss ich noch machen!“. Checklisten sind auch in ganz anderen Zusammenhängen von enormer Wichtigkeit – nämlich im Sanitäts- und Rettungsdienst. Da gibt es jede Menge Schemata – ABCDE, SAMPLER, OPQRST, usw. – nach denen ein Betroffener untersucht wird. Mit dem Hintergrund, nichts zu vergessen, nach Wichtigkeit vorzugehen und bei der Übergabe an andere Kollegen dieselbe Sprache zu sprechen. Algorithmisches Vorgehen hat im Ernstfall außerdem eine beruhigende Wirkung auf alle Beteiligten.
Checklisten sind implizit auch die Grundlage der Betriebsanweisungen, mit denen das Verhalten der Mitarbeiter und der korrekte Betrieb der Anlage beschrieben wird. Die Betriebsanweisung gibt den Bedienern ein Regelwerk an die Hand, an das sie sich halten müssen. Gute Betriebsanweisungen enthalten nicht jeden einzelnen Schritt – sie beschreiben eher was das Ziel einer Tätigkeit ist und auf was man achten muss – wie der Bediener dies Ziel erreicht ist ihm in Grenzen selbst überlassen. Gute Betriebsanweisungen nennen die wichtigsten Schritte explizit und beschreiben Tätigkeiten ausreichend, aber nicht übertrieben präzise. In der Betriebsanweisung einer Bohrmaschine wird z.B. stehen: “Bei der Arbeit an der Bohrmaschine ist ein Haarnetz und ggf. ein Bartschutz zu tragen.” Da wird eher nicht stehen: “Sind die Haare des Bedieners länger als 5 cm? JA: Haarnetz tragen. NEIN: kein Haarnetz tragen. Hat der Bediener einen Bart? NEIN: Keinen Bartschutz tragen. JA: Ist der Bart länger als 2 cm? NEIN: Keinen Bartschutz tragen. JA: Bartschutz tragen“. Nicht nur kommen sich die Leute dabei vor wie kleine Kinder, sie verlieren auch das Wesentliche aus den Augen: Risikobewusstes Verhalten zu verinnerlichen. Eine gute Betriebsanweisung hilft den Bedienern dabei, eine schlechte erzieht sie zum Gegenteil. Das ist natürlich eine Gratwanderung, der man sich beim Schreiben der Betriebsanweisung bewusst sein sollte. An manchen Maschinen habe ich schon Aufkleber gesehen, auf denen steht: Diese Maschine hat kein Gehirn. Benutz Dein eigenes!. Das trifft wirklich den Nagel auf den Kopf.
Das Zauberwort für gute Betriebsanweisungen ist Best Practice – eigentlich nur ein sexier Ausdrück für Erfahrung. Die stringente Analyse von Unfällen und das daraus entstandene Risikomanagement wurden ungefähr ab den frühen 1970er Jahren entwickelt und seitdem haben wir enorme Erfahrungen gemacht. Die vielleicht Wichtigste ist, dass auch Experten zu viele Fehler machen, wenn sie sich allein auf ihr Gedächtnis und persönliche Erfahrungen verlassen. Die Essenz von Best Practices ist dabei nicht eigentlich, den wirklich besten Weg zu finden – man kann sich eh nie sicher sein, dass es nicht noch besser ginge – sondern einen aufzuzeigen, der in jedem Fall mit minimalem Risiko zum Ziel führt. Best Practices sind keine Gesetze, aber allein ihr Vorhandensein führt in den meisten Fällen dazu, dass sich der Anwender Gedanken macht, wenn er von ihnen abweichen will – und dabei oft feststellt, dass sie doch gar nicht so verkehrt sind. Mir geht’s zumindest hin und wieder so.
Risikoreduktion durch mechanische Sicherheitseinrichtungen
Sind organisatorische Maßnahmen nicht ausreichend oder nicht praktikabel umzusetzen, wird man versuchen, Anlagen und Maschinen durch mechanische Schutzeinrichtungen abzusichern. Mechanische Schutzeinrichtungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie einfache physikalische Prinzipien nutzen, um ein ganz einfaches Schutzziel zu erreichen.
Betrachten wir unsere Anlage aus Teil 5 und das dritte Szenario: Zu hoher Druck im Reaktor R1000 . Dieses Risiko glauben wir, durch Einbau eines Sicherheitsventils und entsprechende Auslegung der Rohrleitungen in den Griff zu bekommen. Wären wir uns unsicher, ob das Ventil den Anforderungen gewachsen ist, z.B. weil durch Ablagerungen aus dem Abgas seine Funktion gefährdet werden könnte, würden wir vielleicht stattdessen eine Berstscheibe einbauen: Dadurch würde das Schutzziel ebenfalls erreicht und die Ausfallwahrscheinlichkeit wäre gleich deutlich kleiner. Dafür verlieren wir den Vorteil des Sicherheitsventils, bei unterschreiten des gefährlichen Druckes wieder selbsttätig zu schließen. Eine gebrochene Berstscheibe ist ein Loch. Weitere Maßnahmen sind also bereits impliziert.
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