Wichtig ist in beiden Fällen, dass wir durch das Vorhandensein eines Sicherheitsventils ein weiteres Risiko generiert haben: Nämlich Abgas abzublasen. In der Vergangenheit gab es zwei Unfälle – der eine schlimm, der andere eine Katastrophe – die sich nur ereigneten, weil die Sicherheitsventile der Anlagen nicht an einen sicheren Ort – eine Abgasfackel, ein Auffangbehälter, ein Abgaswäscher, etc. – sondern in die freie Atmosphäre abbließen. So etwas wäre heute, von Wasserdampf oder kleinsten Mengen Chemikalien vielleicht mal abgesehen, untragbar.
Das Sicherheitsventil muss groß genug sein, den Druck sicher zu entspannen. Wie immer gibt es Hundert kleine Details, auf die man achten muss: Wie genau lässt sich der Ansprechdruck einstellen? Wann schließt das Ventil wieder? Wie groß müssen die Rohrleitungen sein? Welches zusätzliche Gewicht muss das Apparategerüst dadurch tragen? Wie wirkt sich das Ansprechen des Ventils und die geänderte Gewichtsverteilung auf die Statik von Rohren und Gebäude aus, wenn die zunächst leeren Leitungen plötzlich voll durchströmt werden (es gibt ja auch Sicherheitsventile für Flüssigkeiten)? Und so weiter.
In einem anderen Artikel habe ich kurz angerissen, wie man eine Dampfturbine ausschaltet und dabei auch die mechanische Sicherheitseinrichtung der Dampfturbine erwähnt: Den Fliehkraft-Bolzen. Dieses Teil sitzt auf der Welle der Turbine und ist mit einem hydraulischen Schnellschluss-Auslöser verbunden. Wenn die Turbine mit ihrer Bemessungsdrehzahl läuft, wird der Bolzen durch die Fliehkraft nach außen gedrückt; eine Feder wirkt dieser Bewegung entgegen. Die Feder ist so bemessen, dass bei Überschreiten einer bestimmten Drehzahl der Bolzen eine Mechanik betätigt, die über das Hydrauliksystem der Turbine die Frischdampfzufuhr stoppt und die Maschine damit ausschaltet. Schutzsysteme mit Fliehkraftbolzen arbeiten äußerst zuverlässig und sehr schnell. Sie sind völlig geeignet, die Turbine in den sicheren Zustand zu überführen, aber in der Regel ist diese Art des Ausschaltens mit großen Belastungen für das Material verbunden, nur grob einstellbar und umständlich zu testen. Sie ist deswegen die wirklich letzte Verteidigungslinie vor dem gefürchteten Turbine Overspeed Failure. Deswegen wirkt auf moderne Dampfturbinen zuerst eine funktionale Sicherheitseinrichtung, wie wir sie im nächsten Artikel besprechen werden.
Mechanische Schutzeinrichtungen sind aber nicht zwingend immer dazu da, irgendetwas auszuschalten – in vielen Fällen verhindern sie schon, dass eine Maschine eingeschaltet wird. Das kann so etwas simpel sein, wie unser berühmtes Schutzgitter an der Presse, die erst eingeschaltet werden kann, wenn das Gitter völlig geschlossen ist. So etwas kann vollmechanisch aufgebaut werden, z.B. kann das Einrasten des Gitters in seine geschlossene Endlage eine Sperrklinke betätigen, die vorher die Betägigung des EIN-Schalters blockierte. Und mit Schalter meine ich jetzt nicht nur den Knopf auf den man drückt, sondern das eigentliche Schaltelement für die Energiezufuhr, das in Form eines Leistungsschützes irgendwo im Schaltkasten der Presse sitzt.
Ein ähnliches Ziel, wenn es um die Zugangsbeschränkung zu bestimmten Räumen, Maschinen oder Anlagenteilen geht, kann man auch mit einem Schlüsseltransfersystem erreichen. So ein System besteht aus einem Panel im sicheren Bereich, z.B. der Leitwarte, das sicherheitsgerichtet auf die Maschine oder Anlage wirkt. Wenn ein Arbeiter den gefährlichen Bereich betreten muss, nimmt er den Schlüssel aus dem Panel am sicheren Ort, geht damit zu Maschine und steckt ihn in ein zweites Panel am Eingang zum gefährlichen Ort. Durch die Entnahme des Schlüssels aus dem Panel am sicheren Ort wird eine Schaltung ausgelöst, die das Einschalten aller gefährlichen Anlagenteile und Maschinen verhindert und durch das Einsetzen am gefährlichen Ort, wird das bestätigt und kenntlich gemacht, das jetzt tatsächlich jemand in der Anlage arbeitet. Damit niemand ihn von dort unbefugt entwedet, sichert er ihn mit einem zweiten, persönlichen Schlüssel. So kann er die Maschine oder Anlage gefahrlos betreten. Beim Verlassen nimmt er den Schlüssel wieder mit und steckt ihn an seinen Platz im Panel am sicheren Ort zurück. Nur wenn dort alle Schlüssel stecken, wird die Maschine oder Anlage freigegeben. Wer mal das Vergnügen hat, das CERN oder ein anderes Forschungszentrum mit einem großen Beschleuniger zu besuchen, sollte die Augen offen halten: Schlüsseltransfersysteme gibt’s da ziemlich oft. Meistens in Form länglicher, rot-gelber Kästen.
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