Was würden wir heute tun?

Auf jeden Fall würden wir den Tank mindestens so auslegen, dass unter normalen Betriebsbedingungen keine Gefahr besteht. Durch umfangreiche Berechnungen würden wir die Statik gegenüber der für die Genehmigung zuständigen Behörde nachweisen. Während der Sicherheitsbetrachtung würden wir Szenarien identifizieren, wie z.B. Druckanstieg infolge Erwärmung durch Sonneneinstrahlung oder infolge Gasfreisetzung durch Fermentation. Sofern es sinnvoll machbar ist, würden wir den Tank so auslegen, dass er eigensicher für diese Szenarien ist, d.h. dass er unter ungünstigen Bedingungen den zu erwartenden Drücken, Füllständen und Temperaturen stand hält. Vielleicht würden wir auch gar keinen einzelnen riesigen Tank bauen, sondern mehrere kleine Tanks in einem Tanklager zusammenfassen. Damit wäre das potentielle Schadensausmaß bei Versagen eines Tanks reduziert.

Wenn es nicht möglich ist, den Tank für alle Szenarien eigensicher auszulegen, weil die Konstruktion dann z.B. unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrechen oder schlicht und ergreifend viel zu teuer würde, kämen Maßnahmen zur Selbstbegrenzung ins Spiel. Das heißt, automatische mechanische Sicherheitseinrichtungen würden auf gefährliche Zustände reagieren. Gefährlich hohe Drücke würden z.B. über Sicherheitsventile oder Berstscheiben abgebaut werden, gefährlich hohe Füllstände, die die Standfestigkeit des Fundaments gefährden, könnten durch einen freien Überlauf abgeführt werden. Falls es platztechnisch machbar ist, würde man einen so riesigen Tank heute auch nicht mehr oberirdisch bauen, sondern zumindest teilweise ins Erdreich verlagert innerhalb einer sogenannten Tanktasse. Eine Tanktasse ist eine Wanne, meist aus Beton, in der der Tank steht und die das Gesamtvolumen aufnehmen kann, wenn der Tank birst. Im Prinzip entspricht sie oft einer zweiten Wand in einigem Abstand vom eigentlichen Tank.

Zuletzt würden wir Druck, Temperatur und Füllstand im Behälter kontinuierlich messen. Dabei würden wir das riesige Volumen des Tanks beachten. 8.500 m³ ist eine Menge Medium. Wird der Tank an einem kalten Wintertag von einer Seite von der Sonne beschienen, während die andere im Schatten bleibt, wird er sich nur an dieser Stelle erwärmen. Die natürliche Konvektion wird nicht ausreichen, den Inhalt ausreichend schnell zu vermischen, so dass überall dieselbe Temperatur herrscht. Es werden sich, wie in jedem ausreichend großen stehenden Gewässer, Zonen wärmeren und kälteren Mediums bilden. Entsprechend werden die Dichte des Mediums und damit der hydrostatische Druck am Boden des Tanks nicht überall gleich sein. Nur das Gaspolster über der Flüssigkeit wird ausreichend schnell auf lokale Änderungen reagieren. Wir würden deswegen auf jeden Fall den Druck im Kopf des Behälters an einer Stelle messen, den Druck am Boden und die Temperatur an vielen verschiedenen Stellen entlang des Mantels und zusätzlich natürlich den Füllstand (in modernen Zeiten wahrscheinlich mit einem Radarsensor). Durch eine entsprechende Steuerung würden die Bediener alarmiert, ggf. der Druck entlastet und sein Inhalt abgelassen bzw. zumindest der Zulauf gestoppt werden können.

Regelmäßige Rundgänge sind heute in allen Anlagen ebenfalls Standard. Leckagen oder andere Fehler würden so in den meisten Fällen gefunden, bevor sie sich katastrophal auswirken können.

Das alles sind reale Eingriffe in einer virtuelle Ereigniskette, von der wir zwar nicht wissen, ob sie so ablaufen wird, aber dass sie mit einiger Wahrscheinlichkeit so ablaufen könnte.

Würde das eine Katastrophe wie von 1919 zuverlässig verhindern? Nein. Absolute Sicherheit gibt es nicht. Niemals und nirgendwo. Aber es würde die Gefahr deutlich reduzieren. Und das ist ein ausreichend guter guter Grund für den Aufwand.

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Kommentare (5)

  1. #2 Mithrandir
    15. Januar 2020

    Podcast zum Thema bei Zeitsprung.fm
    https://www.zeitsprung.fm/podcast/zs69/

  2. #4 Hirk
    Geminesien
    17. Januar 2020

    Ich könnte mir vorstellen, dass wir die heutigen Betriebsbedingungen so einer Anlage den Sicherheitsauflagen des Versicherers und einer Versicherungspflicht, also einer Einmischung des Staates verdanken. Sollte diese einmal wegfallen ist es vermutlich kosteneffizienter auf das “alte Modell” zurückzugreifen, unabhängig davon, ob wir heute schlauer sind als die Anlagenbauer damals. Vielleicht waren die gar nicht dumm, sondern haben nur anders gerechnet. Nur so ein Gedanke.

    • #5 Oliver Gabath
      17. Januar 2020

      Absolut – Der Wert des Geldes toppt überall auf der Welt noch heute Menschenleben. In der sogenannten westlichen Welt sind wir glücklicherweise so weit, dass wir solche Unfälle heute mit großem Aufwand zu vermeiden versuchen. Dumm waren die Anlagenbauer damals sicher nicht, aber vor Hundert Jahren hat man eben noch deutlich mehr als ganz normal hingenommen, was heute undenkbar wäre.