Ich bin heute zwar nicht klüger als vor drei Wochen, aber ich weiss heute mehr und sehe die Dinge etwas anders. Damals habe ich einen ausgesprochen defätistischen Artikel geschrieben, in dem ich Maßnahmen wie die Quarantäne ganzer Städte als utopisch bezeichnet hatte. Nicht so sehr, weil sie nichts bringen, sondern weil ich sie für praktisch nicht durchführbar hielt, weil ich den durchschnittlichen Menschen von der Straße bodenlos unterschätzt habe, wenn es um Befolgung solcher Anordnungen und generelles Krisenverhalten geht; außerdem weil ich aus meinem täglichen Leben zu viele Nutzenmaximierer kenne, die für einen kleinen eigenen Vorteil die Haut ihrer Großmutter zu Markte tragen würden. Dazu kommt ein generelles Misstrauen gegen alles was von den Behörden eines autokratisch regierten Landes mit einer reichen Geschichte vertuschter Unfälle, Unglücke und Katastrophen kommt.
Persönlich fällt’s mir natürlich schwer, das zuzugeben, weil wer hat schon gerne Unrecht, aber: Da hatte ich unrecht und zwar ganz groß.
Ich hätte nie im Leben gedacht, dass die Quarantäne von Millionenstädten in der Weise durchführbar ist, wie sie das in China war. Ich hätte auch nicht mit dem Zusammenhalt der Menschen gerechnet und wie sie damit umgehen. In China nicht und schon gar nicht in Europa, wo Jeder für sich – erst ich! für so viele Menschen zum Lebensmotto geworden ist. Aber in den letzten drei Wochen habe ich gelernt, dass wir alle als Gesellschaft und jeder für sich ganz persönlich resilienter, elastischer und zäher sind. Nach dem initialen Schock um mich herum erlebte ich einen rasanten Wandel im alltäglichen Verhalten, der abgesehen von den Toilettenpapier-Raids auf die Supermärkte, ein doch eher positives Gefühl in mir erzeugt. Wir mögen manchmal ächzen und stöhnen, manchmal darüber lachen, aber im Grunde kommen wir mit der Situation gut klar. Ich habe sogar das Gefühl, dass trotz der größeren räumlichen Distanz die Gesellschaft näher zusammengerückt ist. Wir stecken alle gemeinsam darin fest und wir müssen die Pandemie gemeinsam abwehren oder wenigstes abwettern. Es wird sich zwar zeigen müssen, ob das in einigen Wochen noch genauso aussieht, falls die Unternehmen massenhaft Leute entlassen müssen und allgemeiner Lagerkoller, vor allem in den Innenstädten um sich greift, aber von heute aus der Gegenwart bin ich beeindruckt und habe ein gutes Gefühl.
Mein oben genanntes Misstrauen war auch unberechtigt. Ich hab Schwierigkeiten chinesischen Zahlen zu vertrauen, was von bitter gemachten Erfahrungen in den letzten Jahren bezüglich der Zusammenarbeit mit Firmen in China herrührt. Ich zweifle nicht daran, dass die Leute bei der WHO bemüht sind ihren Job richtig zu machen, aber das geht eben nur so gut wie die Daten sind, die man ihnen zur Verfügung stellt. Was das angeht hat China schon oft unehrlich gespielt, hat vertuscht und Leute mundtot gemacht; so auch in der aktuellen Krise. Seit Europäische Länder die mehr oder minder selben Erfahrungen machen und die Institute ihre Zahlen veröffentlichen bin ich auch ausreichend davon überzeugt, dass die ursprünglichen Zahlen aus China korrekt waren.
Natürlich komm ich mir wie ein Idiot vorbei, aber ich denke, damit werde ich leben können. Denn dass ich mit meinem Misstrauen gegenüber den Menschen da draußen und den chinesischen Behörden falsch lag bedeutet nichts anderes, als dass wir als Gesellschaft tatsächlich im Großen und Ganzen das Richtige tun. Auch wenn ich immer noch nicht überzeugt davon bin, dass die Nebenwirkungen unserer Schutzmaßnahmen ausreichend bedacht wurden und ich nach wie vor befürchte, dass wir eine Bugwelle aus Folgekrankheiten von Arbeitslosigkeit, Armut und Vereinsamung vor uns herschieben. Ich habe in den letzten Wochen aber auch so viel Positives gesehen, gehört und selbst erlebt, dass ich besseren Mutes bin als noch vor drei Wochen. Eine Sache liegt mir aber auch im Magen und vielleicht schreibe ich dazu in nächster Zeit auch mal was, nämlich, was genau eigentlich das Fernziel bezüglich unseres Umgangs mit der Pandemie ist. Ob wir mit einem Impfstoff rechnen, einer guten therapeutischen Behandlung oder der schlussendlichen Durchseuchung der Bevölkerung impliziert ein unterschiedliches Maß an Schaden durch die Krankheit und unsere Schutzmaßnahmen und ein unterschiedliches Maß an menschlichem Leid. Denn dass wir den Geist wieder in die Flasche bekommen und sich SARS-COV-2 in absehbarer Zeit weltweit totläuft erscheint mir eingedenk der weltweiten Verbreitung des Erregers utopisch (Wobei’s natürlich nett wäre, wenn ich mich auch damit wieder irre).
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