An anderer Stelle habe ich mal geschrieben, dass wenn wir eine neue Chemieanlage bauen wollen, es von der ersten Idee bis zum ersten Container Produktes fünf Jahre dauert. So viel Zeit vergeht, bis die Vorstudien gemacht, die Anlage geplant, gebaut und in Betrieb genommen ist. Und das stimmt natürlich – in der Regel. Unter normalen Bedingungen. Ohne besondere Umstände. Im Frieden.

Sind die Umstände nicht normal, sehen die Dinge anders aus. Dann kann alles auch viel, viel schneller gehen. In der Vergangenheit, unter dem Druck ungewöhnlicher Umstände, vor allem in Kriegszeiten, wurden gewaltige Projekte auch sehr viel schneller abgeschlossen als das normalerweise möglich gewesen wäre. Vor genau 75 Jahren wurde eine Maschine, sozusagen in Betrieb genommen, deren Entwicklung in Friedenszeiten vermutlich Jahrzehnte in Anspruch genommen hätte. Aber unter den besonderen Bedingungen des zweiten Weltkriegs dauerte sie gerade mal etwa drei Jahre. Die Rede ist von der Atombombe. Heute vor 75 Jahren wurde im Rahmen des Trinity-Tests Gadget gezündet. Die erste Kernwaffe der Welt mit einer Sprengkraft von 20.000 Tonnen (plusminus) TNT. Die Zerstörungskraft einer Bomberflotte in einen Apparat, kleiner als die meisten Kleinwagen, gepackt.

Der Erfolg des Manhatten-Projektes kam nicht durch Zufall zustande, er wurde gemacht. Und von heute aus dem Rückblick kann man ziemlich genau sagen, welche Umstände diesen Erfolg möglich gemacht hatten:

  • Das Gros der besten Naturwissenschaftler und Ingenieure der Welt stand für das Projekt zur Verfügung und fast alle halfen freimütig mit. Nur wenige wurden abgelehnt oder verweigerten die Mitarbeit. Personell war das Projekt erstklassig besetzt.
  • Die materiellen Ressourcen waren unbegrenzt. Beispielhaft sind der Reaktorkomplex in Hanford für die Plutoniumproduktion und die Urananreicherungsanlagen in Oakrdige, darunter besonders das Gebäude K-25, seinerzeit das nach umbautem Raum und bebauter Fläche größte Gebäude der Welt, die bewilligt und gebaut wurden, obwohl die Anlagen, die sie beherbergen sollten unbekannt und ungetestet, die Verfahren nur teilweise entwickelt und der Erfolg bei weitem nicht gewiss waren. Insgesmt rund 90 % der Projektkosten von seinerzeit 2 Milliarden US-$ (zum Vergleich: Das gesamte B29-Programm mit rund 4.000 produzierten Einheiten kostete nur anderthalb mal so viel) wurden für Produktionsanlagen aufgewendet, drei viertel davon für Anlagen zur Produktion von spaltbarem Material von denen zum Zeitpunkt der Planung niemand mit Sicherheit sagen konnte, ob sie funktionieren würden, denn dass Laborversuche sich Eins-zu-Eins auf die Großindustrie übertragen lassen ist alles andere als zwangsläufig.
  • Der politische Rückhalt war beispiellos. Vom ersten Moment nach Roosevelts Entscheidung zur Entwicklung der Kernwaffen erhielt das Manhatten-Projekt alle Unterstützung und wurde in jeder Hinsicht priorisiert. Es gab nicht Wichtigeres.

Um das Tempo der Entwicklung ein bisschen in Perspektive zu setzen: In 2013 wurde die Kernspaltung entdeckt, 2020 detonierte die erste Kernwaffe.

Kommentare (16)

  1. #1 DH
    16. Juli 2020

    Ein wesentlicher Grund war natürlich auch die Angst vor der Nazi-Bombe, die die kriegsbedingte Motivation nochmal deutlich gesteigert haben dürfte.
    Das wird heute oft übersehen, vor allem bei denen, die sich darin gefallen, die Atombombe als das Böse schlechthin zu betrachten, und irgendwie auch deren Erbauer. Was mit Pazifismus übrigens nichts zu tun hat.

  2. #2 schlappohr
    16. Juli 2020

    Dabei stellte sich später heraus, dass die Nazis nicht mal in der Nähe einer Atombombe gekommen waren. Erinnert mich an Saddam Hussein, seine vermeintliche Chemiewaffen-Großproduktion und den somit legitimierten Golfkrieg.

  3. #3 DH
    16. Juli 2020

    @schlappohr
    Stimmt, aber die Befürchtungen waren aus Sicht der Alliierten berechtigt, man konnte einfach nicht wissen, was wirklich Sache ist. Außerdem hätte sich das ja mit der Zeit ändern können, immerhin ist man bis vor kurzem davon ausgegangen, daß die Nazis gar nichts in der Hand hatten- was sich als falsch herausgestellt hat.
    Vor allem aber beruhte alliierte Besorgnis nicht auf einer offenen Lüge.

  4. #4 RPGNo1
    17. Juli 2020

    Der Wiki-Artikel fasst gut zusammen, wie das deutsche Uranprojekt gestartet wurde und woran es letztendlich gescheitert ist.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Uranprojekt

    Wer Alternativweltgeschichten mag, sollte zudem Christian v. Ditfurths Roman “Der 21. Juli” lesen. In einem Seitenstrang der Geschichte geht es auch um die Entwicklung der deutschen Atombombe und ihrer Anwendung, bevor es die Alliierten tun können.

  5. #6 Beobachter
    17. Juli 2020

    Vor allem muss/te sich damals wie heute die Frage stellen nach dem Verantwortungsbewusstsein/der Verantwortlichkeit der beteiligten Naturwissenschaftler, die eine Nutzung der Kernenergie für militärische Zwecke möglich machten/machen.

    Um (die ersten) Atombomben zu entwickeln, und das nur zum Schaden der Menschheit und zu nichts anderem und damit auch noch eine verheerende weitere Entwicklung in der Rüstungsindustrie in Gang zu setzen –
    dazu muss man (auch und gerade als Wissenschaftler) jede ethischen Maßstäbe verloren haben oder missachten.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Kernwaffe

    Außerdem hat es uns auch die zivile Nutzung der Kernenergie zur Energiegewinnung beschert –
    einer Technik, die offenbar nicht sicher genug beherrschbar und außerdem missbrauchbar ist (kernwaffenfähiges Material).

    https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Unf%C3%A4llen_in_kerntechnischen_Anlagen

    https://de.wikipedia.org/wiki/Plutonium

    Dürfen Wissenschaftler alles machen, was machbar ist?
    Ungeachtet des Missbrauchspotenzials ihrer Erkenntnisse/Ergebnisse (in der praktischen/technischen Umsetzung)?

    Die wissenschaftlich/technische Entwicklung ist derart schnell und unüberschaubar geworden, dass Regulierungs- und Kontrollmechanismen oft hoffnungslos hinterherhinken.

  6. #7 Beobachter
    18. Juli 2020

    @ Oliver Gabath:

    Gestern Mittag habe ich versucht, einen Kommentar einzustellen – er ist nicht erschienen, trotz wiederholten Versuchs.
    Vielleicht lag es an den 3 Links (Wikipedia) … ?
    Oder woran sonst?

  7. #8 Volker Birk
    https://blog.fdik.org
    18. Juli 2020

    Darf man trotz Hiroshima und Nagasaki froh sein, dass die Nazis sie nicht zuerst hatten?

    ich bin es jedenfalls. Auch wenn dann das Zweitschlimmste eingetreten ist.

  8. #9 Beobachter
    18. Juli 2020

    @ Volker Birk:

    Weder das “Erstschlimmste” noch das “Zweitschlimmste” wäre eingetreten, wenn die Wissenschaftler nicht “mitgespielt” hätten.
    Es ist eine Frage der gesellschaftlichen Verantwortung von Wissenschaftlern.

    Was denkt (sich) jemand, der Massenvernichtungswaffen entwickelt ?!

  9. #10 DH
    18. Juli 2020

    “Darf man trotz Hiroshima und Nagasaki froh sein, dass die Nazis sie nicht zuerst hatten?”
    Natürlich darf man das.
    Heute stellt man sich gerne hin und tut so, als ob alles besser gewesen wäre ohne Atombombe, nur wer sagt das eigentlich?
    Außerdem war das japanische Regime ähnlich brutal und rassistisch wie das deutsche, hätten die Japaner versucht, eine Bombe zu bauen, hätte es wohl einen ganz ähnlichen Wettlauf gegeben.

  10. #11 Beobachter
    19. Juli 2020

    @ DH:

    Irrsinn – jetzt müssen wir auch noch froh sein, dass die Japaner sie nicht zuerst hatten?
    Außerdem wird hier das damalige japanische Regime mit dem damaligen deutschen Nazi-Regime verglichen, was die deutsche NS-Zeit mit ihrem Ausmaß und ihren Folgen mehr als relativiert und verharmlost.
    Und es lässt sich jede mit Absicht und planmäßig von Menschen (die Wissenschaftler wussten, was sie taten) herbeigeführte Katastrophe (besonders auch) nachträglich damit rechtfertigen, dass es u. U. noch schlimmer hätte kommen können.

    Bei all dem akzeptiert man auch noch Kriege und Massenmord (auch an Zivilisten) als legitimes politisches Mittel.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Atombombenabw%C3%BCrfe_auf_Hiroshima_und_Nagasaki

  11. #12 DH
    19. Juli 2020

    @Beobachter
    Das japanische Regime hatte denselben Herrenmenschen-Charakter wie das deutsche- mit dem Chinesen als Pendant zum slawischen Untermenschen.
    Der Krieg gegen China war kein herkömmlicher, der in besonderer Weise aus dem Ruder lief. Vielmehr wurde die japanische Gesellschaft- vor allem das Militär- über viele Jahre gezielt indoktriniert mit extremem Rassismus gegen Chinesen, der mit dem antislawischen Rassismus der Deutschen auf einer Ebene stand.
    Die Soldaten haben- wie in Russland- einen direkten Freibrief von oben bekommen, ja sogar die kaum verhohlene Anweisung, soviele Chinesen wie möglich zu töten.
    Japan hatte einen (faktischen) Führer, der begeisterter Hitlerfan war und das 3.Reich gezielt kopierte, allerdings ohne ein Pendant zum Holocaust.
    Das japanische Regime war, grob gesagt, “Drittes Reich minus Holocaust”, und damit deutlich näher am NS-Staat als an den Führerstaaten Spaniens oder Italiens.
    Die A-Bombe in der Hand eines solchen Regimes ist nicht ganz dasselbe, aber durchaus vergleichbar mit einer NS-Bombe.
    Eine Relativierung geht damit nicht einher.

  12. #13 Dr. Webbaer
    20. Juli 2020

    Ein wesentlicher Grund war natürlich auch die Angst vor der Nazi-Bombe, die die kriegsbedingte Motivation nochmal deutlich gesteigert haben dürfte. [Kommentatorenfreund ‘DH’]

    Ganz genau.
    Der Einsatz dieser Waffe in Japan durch die USA dagegen war nicht mehr von der Befürchtung auf Erstentwicklung durch das “Dritte Reich” (oder Japan) angeleitet.
    Japan war seinerzeit mit seiner Monarchie, wie in weiteren Kommentaren von Ihnen geschildert, ebenfalls “problematisch”; sog. Kamikaze-Einsätze sollten Japan verteidigen und die USA kürzten den Krieg durch Einsatz der Atomwaffe ab, auch um eigene Verluste im sich abzeichnenden Kampf um Japan zu minimieren.
    Gut muss dies nicht gefunden werden, die Wirkung war u.a. folgende :

    -> https://www.welt.de/geschichte/article157569135/So-wurde-aus-dem-Gottkaiser-Hirohito-ein-Mensch.html (zu beachten auch das Foto mit dem größeren US-General Douglas MacArthur, MacArthur hat dies später als Inszenierung bezeichnet, um Japan und den Tennō zurechtzustutzen, was wohl auch gelang)

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

    PS noch kurz zu :

    Eine Relativierung geht damit nicht einher.

    Doch, es ist relativiert worden, Relativierungen sind ja nicht per se schlecht.

  13. #14 Dr. Webbaer
    20. Juli 2020

    @ Kommentatorenfreund ‘Beobachter’ und hierzu kurz :

    Irrsinn – jetzt müssen wir auch noch froh sein, dass die Japaner sie nicht zuerst hatten?
    Außerdem wird hier das damalige japanische Regime mit dem damaligen deutschen Nazi-Regime verglichen, was die deutsche NS-Zeit mit ihrem Ausmaß und ihren Folgen mehr als relativiert und verharmlost.

    ‘Relativieren’ bedeutet ‘in Bezug setzen’, nicht ‘verharmlosen’.

    Erinnert werden darf an diesen Pakt :

    -> https://de.wikipedia.org/wiki/Dreimächtepakt (zu beachten auch die weiteren Unterzeichner)

    …und an Verbrechen der Japaner auf dem fernost-asiatischen Festland.

    Und insofern war es und ist es generell schon wichtig, wer welche Waffen zuerst hat.
    Pazifismus ist im Krieg “wenig angesagt”.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

  14. #15 Dr. Webbaer
    20. Juli 2020

    @ “Schlapp” :

    Dabei stellte sich später heraus, dass die Nazis nicht mal in der Nähe einer Atombombe gekommen waren. Erinnert mich an Saddam Hussein, seine vermeintliche Chemiewaffen-Großproduktion und den somit legitimierten Golfkrieg.

    @ Herr Volker Birg :

    Darf man trotz Hiroshima und Nagasaki froh sein, dass die Nazis sie nicht zuerst hatten?

    [I]ch bin es jedenfalls. Auch wenn dann das Zweitschlimmste eingetreten ist.

    George W. Bush hat da ein Problem gehabt, vergleiche :

    -> https://www.youtube.com/watch?v=uL6OGwsp9_o (kurzes Vid, aber womöglich aussagekräftig, bei besonderem Bedarf wird diese Aussage von George W. Bush anders belegt und zunehmend eingeordnet)

    Saddam ändert aber nichts an den Verbrechen der Nationalsozialisten und am seinerzeitigen Bemühen – im Ex Inter sozusagen – bestimmter Entwicklung im “Dritten Reich” zuvorzukommen.
    Wernher von Braun ist mit seinen Raketenexperimenten in den Staaten beobachtet worden und dort seinerzeit bekannt gewesen, ein begnadeter Ingenieur by the way.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer (der sich freut mal wieder was von den drei zitierten Kommentatorenfreunden, Kommentatorenfreund ‘DH’ eingeschlossen, zu lesen)

  15. #16 DH
    20. Juli 2020

    @Dr.Webbaer
    “Der Einsatz dieser Waffe in Japan durch die USA dagegen war nicht mehr von der Befürchtung auf Erstentwicklung durch das “Dritte Reich” (oder Japan) angeleitet.”
    Stimmt. Oben ging es auch nur um das rein theoretische Spiel einer japanischen Atombombe.
    “Japan war seinerzeit mit seiner Monarchie…ebenfalls “problematisch”
    So isses, leider war der Tenno auf einer Linie mit dem japanischen Rassismus, obwohl er wohl der einzige gewesen wäre, der ihn (vielleicht) hätte aufhalten können. Daher gab es auch nie einen abrupten Systembruch in Japan, wie in Deutschland von Weimar zum 3.Reich, der “Führerstaat” entstand inmitten in der Monarchie selber.