Das Problem zeigt sich noch viel stärker beim Kauf für geplante Wartungsmaßnahmen, da dann der Vorteil des Großmengenrabatts für uns nicht so stark zum Tragen kommt und am allerstärksten bei Störungen, bei denen Zeit die weitaus größere Rolle spielt als Geld. Wenn wir eine Nacht auf ein Gerät aus dem VK warten müssen, dass per Express aus Frankreich oder der Schweiz in acht Stunden bei uns sein kann, werden wir meistens eher darauf zurückgreifen. Natürlich könnte man auch Lager aufbauen, aber das wäre auch wieder mit Kosten und Umständen verbunden. Der Hersteller könnte keine so großen Margen mehr einfahren, denn die Lagerkosten könnte er nur bedingt an die Kunden weitergeben, deswegen sind für ihn große Lager unattraktiv. Die Kunden müssten ebenfalls Zeit und Geld für Lagerraum und -verwaltung aufwenden, darüber hinaus noch die steuerrechtlichen Formalitäten beachten, wenn es um die Unterscheidung zwischen Investition und Umlaufvermögen geht.
Viele Hersteller von denen wir Waren beziehen sind gute Mittelständler – wenn wir uns bei nur einem Investitionsprojekt für einen anderen Hersteller entscheiden, können das 2 % bis 10 % Umsatzeinbuße gegenüber einer Welt ohne Brexit sein. 200.000 € klingt nicht nach viel Geld im Vergleich zu zig Milliarden Handel zwischen VK und EU, aber es ist auch nur ein winziges Detail innerhalb eines Nischenmarktes und wir nur ein einzelner Kunde mit einem einzelnen Projekt. In den letzten Jahren hat sich jeder in der Industrie ähnliche Gedanken gemacht. Kleinvieh macht in der Tat Mist.
Und genau diese Art von Handel ist es, die durch den Brexit am empfindlichsten gestört wird, weil sie viel stärker als die Konsumgüterhandel direkt von den bilateralen Verträgen abhängt. Die Bevölkerung im VK wird das spüren, denn für die ohnehin während der letzten Jahrzehnte nur stiefmütterlich behandelte Industrie ist der reibungsfreie Außenhandel lebensnotwendig. In einem Land, das sich stärker als alle anderen auf in der Hauptstadt angesiedeltes, international tätiges Dienstleistungs-Gewerbe ausgerichtet hat, gibt es neben der produzierenden Industrie nicht mehr viel, was ein bisschen Wohlstand in die ländlichen Gebiete bringt. Wenn es dem VK nicht gelingt in kurzer Zeit wenigstens einen Teil der verlorenen Abkommen nachzubauen – was, eingedenk der Erfahrungen der letzten fünf Jahre mit der EU und in jüngster Zeit mit CTEA und JEFTA, zumindest fragwürdig erscheint), dann wird dieser ohnehin schon bescheidene Wohlstand weiter schrumpfen. Mit allen sozialen Auswirken.
Zum Zeitpunkt des Referendums über den Austritt des VK aus der EU in 2015 waren sechs der zehn Regionen mit dem niedrigsten Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in der nördlichen EU im VK[1]. Wenn es der Regierungen Ihrer Majestät nicht gelingt eine erfolgreiche Außenhandelspolitik zu führen, wird deren Situation sich eher zum Ungünstigeren hin verändern. Insbesondere, wenn die neu gewonnene Freiheit vor allem zur Senkungen von Steuerbarrieren genutzt wird, ohne gleichzeitig Verträge über Produkt- und Sozialstandards abzuschließen. In diesem Fall sähe sich die Industrie einem Weltmarkt gegenüber, der sich nur am Preis orientiert, ohne vor den miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen in anderen Ländern geschützt zu sein.
Im Moment ist die Welt noch vorsichtig gespannt, denn für die meisten Länder hängen die Bedingungen eines Handelsabkommens mit dem VK in nicht geringem Maß von dessen Marktzugang zur EU ab. Zwar wurden mittlerweile eine Reihe von Kontinuitätsabkommen geschlossen, aber wer meint, dass dabei einfach der relevante Teil des jeweiligen EU-Abkommens für das VK kopiert wird, gibt sich einer Illusion hin. Ich habe keinen Zweifel, dass die Außenhandelsministerien aller großen und kleinen Nationen in den letzten Jahren ihre besten Leute daran gesetzt haben, alle Verträge mit der EU ganz genau auf Punkte zu überprüfen, die in einem bilateralen Vertrag mit dem VK zum eigenen Vorteil nachverhandelt werden können. Man sollte nie vergessen: Es ist eine kalte Welt und all die schönen Worte der Diplomaten sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass internationaler Handel ein Haifischbecken ist.
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