Die Sabotage der Erdgaspipelines Nord Stream 1 und 2 ist zurzeit in aller Munde. Zurecht, denn ein Angriff auf kritische Infrastruktur dieser Größenordnung ist ein Schock. Gerade aber weil darüber so viel geredet wird, möchte ich lieber ein Schlaglicht auf nicht mindergewaltige Verwerfungen im Industriellen Geschehen werfen, die nicht so ausführlich besprochen wurden und werden.

Es ist schon länger her, dass ich hier etwas geschrieben habe[1], aber im Zuge des Ukraine-Krieges werden in letzter Zeit wieder ein Paar Themen diskutiert, die meine Tätigkeit als PLT-Ingenieur tangieren. Eines, um das es hier gehen soll, ist der Rückzug großer Firmen für Automatisierungstechnik aus dem russischen Markt und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Über den Rückzug von Siemens wurde in der deutschen Presse zwar berichtet, ins Gesamtgeschehen eingeordnet wurde aber nichts. An einer solchen Einordnung aus meiner Sicht versuche ich mich jetzt mal.

Die Automatisierungspyramide

Die Automatisierungspyramide ist eine graphische Darstellung der verschiedenen technischen und organisatorischen Ebenen, auf denen sich Automatisierungstechnik abspielt. Sie deckt alles ab, was ein Unternehmen im modernen Produktionsprozess können muss, um konkurrenzfähig und effizient zu sein. Ich halte mich für die Darstellung hier an die Begriffe und Definitionen der Norm EN 62264, die etwas anders aussieht als was man bei einer Google-Suche findet, meiner Meinung nach die Wirklichkeit aber besser abbildet (Nicht verwunderlich. Ist ja eine Norm).

Sie definiert Ebenen, auf denen ein automatisierter Prozess abläuft, sowie Daten, die zwischen den Ebenen ausgetauscht werden. Jede Ebene dieser theoretischen Vorstellung wird in der praktischen Wirklichkeit durch bestimmte, ganz konkrete Technik realisiert. Die Daten, die zwischen den Ebenen ausgetauscht werden, sind konkrete Füllstände von Tanks, Drücke in Apparaten, Bedarfe an Rohstoffen, Bestellmengen von Kunden und vieles mehr.

Von unten nach oben fließen Daten, die den aktuellen Zustand des Prozesses beschreiben und sowohl zu seiner unmittelbaren Beeinflussung genutzt als auch für die Zukunft gespeichert und für die Produktionsplanung, etwa für den rechtzeitigen Einkauf von Rohstoffen oder die Distribution der Produkte zu den Kunden, das Rechnungswesen und vieles andere herangezogen werden können.

Von oben nach unten fließen Daten, die aufgrund der vom Unternehmen vorgegebenen generellen Strategie die Produktion steuern. Zunächst sehr allgemein, indem durch die höchsten Kontrollebenen das Produktportfolio bestimmt und die nötigen Ressourcen bereitgestellt werden, dann immer kleinteiliger indem aus den Echtzeitdaten der Anlagen, den Kundenbestellungen und vielem mehr Produktionspläne erstellt werden, nach denen die Anlagen zu fahren sind. Innerhalb der Anlagen setzen Leitsysteme und Anlagenfahrer die Produktionspläne durch Beeinflussung des physischen Prozesses der Anlage um.

Abb.1: Die Automatisierungspyramide

Ebene 0 definiert den eigentlichen physischen Prozess, also etwa die Synthese eines chemischen Produkts (z.B. die Herstellung der Grundchemikalie Salpetersäure) oder die Fertigung eines Gegenstands, Gerätes oder einer Maschine (z.B. der Bau eines Autos). Sozusagen die Antwort auf die Frage: Was tut die Anlage?

Der erste wichtige Punkt: Physische Prozesse sind deswegen Teil der Pyramide, weil schon bei ihrer Entwicklung die einzusetzende Automatisierungstechnik in den Kalkül gezogen wird. Die Höhe der Technik bestimmt wie viele Handeingriffe nötig sind, wie flexibel das Produktportfolio sein wird, wie nah an den Grenzen des Machbaren die Anlage betrieben werden kann, wie hoch die Restrisiken aus den Prozessen sind und viele es mehr. Alles was komplexer ist als Grundchemikalien lässt sich ohne moderne Automatisierungstechnik schwer bis gar nicht produzieren.

Ebene 1 sind die Aktivitäten zur Messung und Einstellung des physischen Prozesses. Man nennt sie auch die Feldgeräte-Ebene. Feldgeräte sitzen wie der Automatisierer sagt im Feld, also in der Anlage und sind direkt an den physischen Prozess angebunden. Es sind Messgeräte für die vier wichtigsten Größen Druck, Durchfluss, Füllstand und Temperatur, aber auch Analysengeräte wie Gaschromatographen und Laserspektrometer, sowie Regelventile und Auf/Zu-Armaturen, (ggf. drehzahlveränderliche) Pumpen und so weiter.

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Kommentare (13)

  1. #1 Omnivor
    Am 'Nordpol' von NRW
    30. September 2022

    Schneider Electric – da muss ich an die Schneider Electronics AG, den Türkheimer Hersteller von PCs in den 80er Jahren denken.
    Aber dies ist wohl ein alteingesessener französicher Konzern.

  2. #2 Foxtrot
    30. September 2022

    Danke für den interessanten Artikel!

  3. #3 rolak
    1. Oktober 2022

    Auch von mir bislang kaum bedacht, vor allem nicht in seiner Schichten und Hersteller-Konzentration. Schönen Dank fürs Aufmerksam-machen!

    Hat übrigens funktioniert, eben fiel in der chinesischen Chipfertigung sofort eine Steuerung von Mazak/J ins Auge..

    Gute Besserung Richtung ‘gut’!

  4. #4 Spritkopf
    1. Oktober 2022

    @rolak

    eben fiel in der chinesischen Chipfertigung sofort eine Steuerung von Mazak/J ins Auge..

    Gibt es überhaupt einen chinesischen Hersteller von CNC-Maschinen von Rang? Also von “großen” Maschinen, nicht sowas wie eine Optimum mit CNC-Erweiterung.

  5. #5 rolak
    1. Oktober 2022

    Gibt es?

    Da kann ich wg eklatanten VorwissenMangels kaum zur Klärung beitragen – doch anscheinend gibt es bei Ebene 2 durchaus Anbieter…

  6. #6 hto
    3. Oktober 2022

    Gabath: “Also in einem Satz ausgedrückt: der Westen war nicht nur wirtschaftlich sehr viel attraktiver, sondern kam auch noch dem Sicherheitsbedürfnis der ehemaligen Ostblockländer näher.”

    Jeder wirklich-wahrhaftig vernünftig denkende Mensch wusste damals “nach” dem Kalten Krieg, dass diese Geschichte noch nicht ausgestanden/aufgearbeitet ist – Spätestens aber nachdem Gorbatschow 1996 in den USA versucht hat eine Kommunikation für eine wirklich-wahrhaftige Globalisierung zu initiieren, aber an den Profitlern des Westens gescheitert ist, die nur an einer Globalisierung im Sinne des Kolonialismus interessiert waren/sind.

    • #7 Oliver Gabath
      3. Oktober 2022

      1996 war Gorbatschow seit 5 Jahren nicht mehr an den Schalthebeln der Macht und während seiner Regierungszeit ist er vor allem daran gescheitert, dass er sich nicht vom Traum einer Sowjetunion lösen konnte, die längst im Begriff zu zerfallen war. Genau wie Jelzin und Putin nach ihm blieb er im Denken in Einflusspähren verhaftet und nahm ganz natürlich an, dass der Westen Russland bevorzugt behandelt und russische Interessen über die der ehemaligen Satellitenstaaten stellt. Eine Öffnung gegenüber dem Westen wie beispielsweise in Polen hatte er nicht im Sinn.

      Davon abegesehen findet die Diskussion darüber in einem anderen Artikel in einem anderen Blog statt. Hier geht’s um Automatisierungstechnik.

  7. #8 lioninoil
    3. Oktober 2022

    hto
    Gorbachow ist gescheitert weil man nicht gleichzeitig Reformen durchsetzen kann und gleichzeitig der Bevölkerung Freiheit anbietet.
    Das wäre so, als wenn ein Lehrer seine Schüler fragt:”Wollt ihr eure Hausaufgaben machen?”

    Putin hat daraus gelernt.

  8. #9 hto
    3. Oktober 2022

    @Gabath

    Genau, aber die Eskalation automatisiert sich, mangels nötiger Kommunikation ohne Beharren auf wettbewerbsbedingte Prinzipien, auch gerade wieder mal, so daß wir demnächst wohl trommeln werden!?

  9. #10 Joseph Kuhn
    4. Oktober 2022

    @ Spritkopf:

    Anderer Produktionszweig, aber vielleicht ähnliche Situation: In den aktuellen Blättern für deutsche und internationale Politik beschreibt Michael Krätke, wie sich China darum bemüht, vom Chip-Fabrikanten zum Entwickler und Produzenten von Chip-Herstellungstechnik zu werden. Das scheint schwer zu sein, aber China kommt wohl trotz verhängter Sanktionen voran. Artikel: https://www.blaetter.de/ausgabe/2022/oktober/chips-wettlauf-um-die-schluesselindustrie-des-21-jahrhunderts

    @ hto:

    “die Eskalation automatisiert sich, mangels nötiger Kommunikation ohne Beharren auf wettbewerbsbedingte Prinzipien, auch gerade wieder mal”

    Es ist noch viel schlimmer, Herr hto, Ihre Kommunikation automatisiert sich auch gerade wieder mal, die Eskalation eskaliert, die Prinzipien tun das prinzipiell. Nur der Vollmond riecht nach Parmesan.

  10. #11 hto
    4. Oktober 2022

    @Kuhn

    Nee, aber das Universum riecht und schmeckt nach Himbeere. 😉

  11. #12 echt?
    5. Oktober 2022

    Der erste sinnvolle Beitrag von hto – großes Lob!

  12. #13 Spritkopf
    6. Oktober 2022

    @Joseph

    Danke für den Hinweis. Werde ich mir durchlesen, wenn ich wieder zuhause bin.

    Bin mal gespannt, was der Autor als das Haupthindernis identifiziert. Im Bereich von CNC-Maschinen sind es nach meinem Eindruck eher die Steuerungen samt der enthaltenen Software. Den rein mechanischen Teil beherrschen die Chinesen mehr oder weniger.

    Bei den Chipfertigungsanlagen könnte ich mir vorstellen, dass es noch mehr die Optik als die Steuerung ist.