Ebene 2 definiert Aktivitäten zur Überwachung und Steuerung des physischen Prozesses. Sie umfasst die Hard- und Software von Steuerungen, Leitsystemen, Komponenten der Signalanpassung und der sicherheitsgerichteten Steuerungstechnik. An die Feldgeräteebene ist sie in der Regel drahtgebunden gekoppelt[2]
Die Hardware besteht aus den Ein- und Ausgabebaugruppen, die mit den Mess- und Stellgeräten verbunden sind, sowie den ggf. notwendigen Signalanpassungs-Baugruppen und den CPU, auf denen das eigentliche Anwenderprogramm läuft.
Die Software besteht aus dem eigentlichen Anwenderprogramm und einer zugehörigen Visualisierung, durch die der physische Prozess beobachtet und geleitet werden kann.
In vielen Darstellungen der Pyramide wird die Ebene 2 in zwei Unterebenen SPS/Logiksystem und SCADA/Visualisierungssystem unterteilt. Die EN 62264 macht diese Unterscheidung nicht und das macht auch mehr Sinn, denn in der Wirklichkeit ist die Trennung zwischen Steuerung und Visualisierungssystem oft auch nicht so sauber.
Der zweite wichtige Punkt: Weltweit gibt es nur etwa ein halbes Dutzend Hersteller, die die Ebenen 1 und 2 komplett abdecken: ABB, Emerson, Honeywell, Siemens, Rockwell Automation, Schneider Electric und Yokogawa.
Sie beliefern die Welt mit einem Großteil der Feldgeräte. Viel wichtiger aber ist: Zusammen beliefern diese Firmen rund 90 % des Marktes für Leitsysteme. Die restlichen 10 werden vor allem von Spezialfirmen für Kraftwerks- (vor allem General Electric) und Energienetzleittechnik (PSI Control) bedient. Leitsysteme und SPSn für Industrieanlagen in der nötigen Leistungsklasse sind anderweitig praktisch nicht verfügbar.
Ebene 3 definiert Aktivitäten zur Herstellung des gewünschten Produkts. Das sind z.B. Rezepte, Fertigungspläne und auch Archivierung von Prozessdaten. Wenn zum Beispiel jemand bei einem nahezu beliebigen Hersteller ein neues Auto bestellt, wird direkt nach Auftragsabschluss dessen Produktion in den Produktionsplan der Fabrik eingetaktet und die unterlagerten Systeme wie Lagerhaltung, Fertigung, Lackiererei, usw. erhalten Daten, wann welches Teil im Fertigungsprozess wo sein muss und wann welcher Arbeitsablauf stattfindet. Software-Systeme, die diese Prozesse automatisieren und an die Steuerung der Anlage weitergeben nennt man Manufacturing Execution Systems oder MES.
Ebene 4 definiert Aktivitäten auf Unternehmensebene. Darunter fallen Einkauf von Waren und Dienstleistungen, Distribution der Produkte, Rechnungswesen, Personalverwaltung, usw. Die zugehörige Software nennt man Enterprise Resource Planing oder ERP-System.
Der dritte wichtige Punkt: Die Ebenen 3 und 4 werden praktisch nur von US-amerikanischen und europäischen Firmen bedient. SAP dürfte der bekannteste Hersteller von MES und ERP-Systemen sein, aber auch Firmen wie Dessault, Microsoft, Oracle und Siemens sind große Spieler. Alle schränken ihre Geschäfte in Russland ein oder beenden sie ganz. Dienstleistungen in der Pharma- und Nahrungsmittelindustrie zur Erhaltung vorhandener Systeme sind das höchste der Gefühle.
Der Rückzug der Großen
Unter den Großen setzt Stand Anfang September 2022 nur Yokogawa das Geschäft mit Russland mehr oder minder unverändert fort. Alle anderen großen Spieler auf allen Ebenen der Automatisierungstechnik beenden ihre Geschäfte in Russland bzw. ziehen sich aus diesem Markt zurück.
Das kommt einem Kahlschlag der Automatisierung gleich. Unter normalen Umständen würden beim Rückzug einer Firma die anderen von den freigewordenen Marktanteilen profitieren, aber wenn in kurzer Zeit mindestens 80 % des Angebots wegfallen, dann ist die entstehende Lücke so groß, dass die paar verbliebenen Anbieter gar nicht die Kapazität haben, sie auszufüllen. Die Ebenen 1 und 2 können auf Dauer nicht mehr ausreichend bedient werden.
Auf allen Ebenen der Automatisierungspyramide rumort es gewaltig. Am besten (oder eigentlich: Am wenigsten schlecht) sieht es noch bei der Versorgung mit Feldgeräten aus. Nur die wenigsten Hersteller ziehen sich vollständig aus Russland zurück. Aber auch die die bleiben schränken ihre Lieferungen ein[3]. Chinesische oder indische Firmen werden Russland auch nicht retten können, denn es gibt sie in dieser Form nicht. Beide Länder versuchen seit Jahrzehnten Automatisierungstechnik und Anlagentechnik auf westlichem Niveau zu produzieren, aber bisher sind bis auf einfache mechanische Systeme wie Behälter, Halbzeuge oder Kugelhähne ihre Produkte den westlichen Pendants noch deutlich unterlegen. Es gibt keinen Grund warum sich das schlagartig ändern sollte.
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