Atombomben sind nicht kompliziert. Physiker und Ingenieure mussten dazu in den 1940ern im Wesentlichen ein paar Materialkonstanten bestimmen und lernen, Explosionen präzise zu synchronisieren. Thermonukleare Bomben sind nur komplizierter. Mindestens vier Länder – USA, UDSSR, Vereinigtes Königreich, Frankreich – haben das Problem selbst gelöst. Atombomben, das muss man sich immer wieder klar machen, sind Technik der 1940er Jahre. Thermonukleare Waffen Technik der 1950er Jahre. Wer ausreichend viel spaltbares Material besorgen kann, sei es durch Produktion, sei es durch dunkle Kanäle, kann auch eine Atombombe bauen. Und ist man erst mal so weit, ist der Schritt zur Thermonuklearen Bombe auch nicht mehr unmöglich. Was Nordkorea schafft, schaffen bestimmt auch andere.
Wirtschaftlich liegen zwischen den verschiedenen Nationen natürlich Welten. Während der Iran zweifellos die Leistungsfähigkeit besitzt, weil er vergleichsweise viel darin investiert und viele andere Länder sie besitzen würden, ohne sich zu verausgaben, liegt die Wirtschaft der Ukraine am Boden und schafft es nur mit Mühe und ausländischer Hilfe, die Versorgung der Bevölkerung einigermaßen vor dem Zusammenbruch zu retten. Ich halte deshalb eine ukrainische Kernwaffe, gleich, ob die ukrainische Führung sie wolle oder nicht und die Unterstützer Konsequenzen zögen oder nicht, für unwahrscheinlich. Nicht unmöglich – siehe oben, Stichwort “Verzweiflung” – aber nicht kurzfristig und auch nicht mittelfristig machbar. In der Jetztzeit, wo nicht nur Geheimdienste Aufklärung treiben, sondern auch die OSINT-Community für kleines Geld tagesaktuelle Satellitenbilder in exzellenter Qualität von beinah jedem Punkt der Erde ordert, bei denen CIA-Analysten der 1960er das Wasser im Mund zusammenlaufen würde, und eingedenk des immensen Aufwands, den man für die Errichtung der Industrie treiben müsste, wäre ein ukrainisches Kernwaffenprojekt, genau wie das iranische oder das jeder beliebigen Nation auf der Welt unter keinen Umständen geheim zu halten.
Seit den 1990er Jahren besteht de facto ein nukleares Tabu, das nicht nur den Einsatz, sondern auch die Entwicklung von Kernwaffen einschließt. Wer heute noch Kernwaffen entwickelt, kann damit rechnen, von der westlichen Welt gemieden oder zumindest beargwöhnt werden. Die bestehenden Atommächte wollen die Dinger für sich. Der Club ist geschlossen, neue Mitglieder werden nicht aufgenommen. Indien und Pakistan waren die letzten, die von der westlichen Welt geduldet wurden, Iran und Nordkorea legen auf westliche Unterstützung aus offensichtlichen Gründen keinen Wert. Die westliche Welt ist für eine freie Ukraine aber die einzige Hoffnung für die Zukunft, schon wegen ihrer Lage in Europa.
Und das führt dann zur Frage 3: Was wäre überhaupt gewonnen?
Für den Iran ist die Sache einigermaßen klar: Stärke gegen die zahlreichen Gegner, Abschreckung insbesondere Israels, innenpolitische Stabilisierung durch außenpolitische Macht. In den letzten Jahren gab es mehrfach große Proteste, die blutig niedergeschlagen wurden und trotz dessen immer wieder aufloderten. Kernwaffen schrecken nicht nur nach außen ab, sondern Senden auch den Gegnern im Innern die Botschaft, dass man zu allem Entschlossen ist.
Für die Ukraine wären Kernwaffen äußerst heikel. Das nukleare Tabu anzukratzen wenn man vom guten Willen all derer abhängt, die es hochhalten wollen, ist ein potentiell selbstzerstörerisches Risiko mit großer Schadenseintritts-Wahrscheinlichkeit. Der militärische Nutzen auf dem Gefechtsfeld wäre klein. Die Front ist zu lang und zu tief als dass einige wenige Schläge Wirkung entfalten könnten. Für mehr als einige wenige Bomben würde aber auch bei äußerster Kraftanstrengung und unter maximalem Desinteresse der westlichen Staaten die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Ukraine nicht ausreichen. Außerdem ändert sich die Grundsituation nicht, in der die Ukraine Russland bekämpft, das über das überwältigend größere Kernwaffenarsenal verfügt. Jeder Einsatz einer ukrainischen Kernwaffe würde mit Sicherheit einen nuklearen Gegenschlag Russlands triggern. Ein Austausch, bei dem die Ukraine nicht gewinnen kann. Kernwaffen schützen einen Staat vor einem Peer-Konflikt. In total asymmetrischen Konflikten ist ihr Nutzen fragwürdig. Für mich ist deswegen auch nicht gesagt, dass die Ukraine sicher gewesen wäre, hätte sie die Kernwaffen auf ihrem Gebiet nach dem Ende der Sowjetunion behalten (Von dem Rattenschwanz anderer Probleme, die das in den 30 Jahren danach gemacht hätte ganz zu schweigen).
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