Seit die Akademik Lomonossow in See gestochen ist, gab es von der Small-Modular-Reactor-Front nicht allzu viele große Neuigkeiten. Nach wie vor arbeiten diverse Firmen daran, nach wie vor finanzieren sie sich durch Risikokapital und Staatsgeld und nach wie vor gibt es wenig fertige Produkte (Im strengen Sinne nur eins, die Akademik Lomonossow. Der chinesische HTR-PM ist alles andere als klein und modular), aber das heißt nicht, dass die Industrie nicht in Bewegung wäre. Auf der negativen Seite der Meldungen steht die schwierige Lage von NuScale, dem Technologie-Vorrteiter und ersten Firma, die ein von der US-amerikanischen Nuclear Reactor Commission genehmigtes Design für einen SMR vorweisen konnte. Dass eine der großen und weit fortgeschrittenen Firmen ins Schleudern kommt, dämpft die Stimmung. Das US-amerikanische Department of Energy (DoE) und der Anlagenbauer Fluor, die zusammen über 1 Milliarde USD investiert haben, dürften sich fragen, ob nach 17 Jahren Entwicklung ohne greifbares Ergebnis jemals mit einem NuScale-Reaktor gerechnet werden darf.
Auf der positiven Seite wird die Liste auf Wikipedia über laufende Projekte und Start-Ups immer länger, die Entwicklung bleibt also alles andere als stehen. Diverse Anlagen werden mittlerweile als im Bau befindlich gekennzeichnet und man darf gespannt sein, was weiter passiert. Die bei Weitem positivste Meldung war die Erklärung von Google und Kairos Power für die Versorgung von Rechenzentren bis 2035 von Kairos Power 500 MW CO2-neutraler Leistung im Rahmen von Power Purchase Agreements zu beziehen. Kairos Power will diese Leistung mit SMR bereitstellen, von denen der erste in 2030 in Betrieb gehen soll. Der Prototyp wird für 2027 geplant und soll den Namen Hermes tragen.
Kairos Power wurde 2016 gegründet und entwickelt seitdem einen SMR namens KP-FHR (Kairos Power Flibe High Temperature Reactor). Der Reaktor soll zwei bemerkenswerte Konzepte miteinander vereinen: Als Kühlmedium kommt eine Salzschmelze – Flibe, das steht für eine Mischung aus Lithiumfluorid und Berylliumfluorid – zum Einsatz, die einen drucklosen Primärkreislauf (das vereinfacht die sicherheitsgerichtete Ausrüstung) und sehr hohe Dampftemperaturen (bei 650 °C Salztemperatur vermutlich in der Gegend von 600 °C Frischdampftemperatur) und damit einen besseren Wirkungsgrad, vergleichbar mit einem fossilen Kraftwerk, erlaubt. Flibe wurde auch im MSRE verwendet und hat sich dort bewährt. Die zweite ungewöhnliche Designentscheidung ist, den Kern als Kugelhaufen aus TRISO-Brennelementen auszuführen. Er ähnelt den deutschen Kugelhaufenreaktoren AVR Jülich und THTR-300 in Hamm-Uentrop, ist aber keine Kopie. Allein die Salzkühlung ist völlig anders als die Gaskühlung der deutschen Reaktoren. Außerdem werden die Steuerstäbe nicht direkt in den Kern eingebracht, sondern sind um ihn herum angeordnet. Wenn ich das Konzept richtig verstehe, ist der Kern an sich in allen Betriebszuständen unterkritisch und erst durch diesen Reflektor wird der Neutronenfluss groß genug, um die Kettenreaktion aufrecht zu halten. Die Steuerstäbe dämpfen die Wirkung des Reflektors und damit die Kettenreaktion. Das wäre eine richtig pfiffige Idee.
Der Rest ist ziemlicher Standard. Der primäre Salzkreislauf gibt die Wärme an einen sekundären Zwischenkreislauf weiter und dieser erzeugt dann im Dampferzeuger Wasserdampf für einen Turbogenerator. Sehr sympathisch ist mir, dass Kairos nicht so tut, als würden sie einen Thorium-Reaktor bauen. Kairos dagegen stellt explizit klar, dass Thorium sehr interessant ist (und das stimmt!), aber die gegenwärtigen Herausforderungen der Kerntechnik nicht mit der Verfügbarkeit oder dem Preis von Uranbrennstoff zusammenhängen (und das stimmt auch) und sie sich deswegen auf Uran fokussieren.
Eine besonders gute Nachricht ist, dass ich mich teilweise korrigieren kann: Letzten Sommer hat Kairos so was wie einen Technologie-Demonstrator namens Engineering Test Unit (ETU 1.0) getestet! Wenn ich die Informationen auf der Website richtig verstehe, handelt es sich im Prinzip um einen 1:1-Aufbau des Hermes-Reaktors, nur ohne Kern. 14 Tonnen Flibe zirkulieren bei 550 °C in dem System und die Ergebnisse sind vielversprechend. Im Januar 2024 meldete Kairos über 1.000 Stunden “pumped Salt operations”, im Juni 2024 2.000 Stunden. Namentlich genannt werden der anti-Siphon-Test, bei dem ein Kühlmittelverlust-Störfall simuliert und gezeigt wurde, dass die passiven sicherheitsgerichteten Systeme die Anlage in einem sicheren Zustand halten und der Freeze-Test, bei dem das Salz unter die Schmelztemperatur von 450 °C abgekühlt wurde, erstarrte, 36 Stunden in diesem Zustand blieb, wieder aufgeschmolzen und die Anlage in den Normalzustand zurückversetzt wurde. Das ist beeindruckend. Damit ist meines Wissens nach das erste physikalische Modell eines SMR-Entwicklers erfolgreich getestet worden und bei Kairos ist man verdienterweise mit den Ergebnissen zufrieden. Darauf gilt es aufzubauen. Kairos plant noch zwei weitere, verbesserte ETU zu testen und seinem echten Demonstrationsreaktor Hermes parallel auf dem Gelände von Oak Ridge zu bauen. ETU 2.0 soll die die Modularität des Systems zeigen, ETU 3.0 erste nukleare Tests erlauben und das Design des Hermes-Reaktors beeinflussen. Das ist ambitioniert, besonders eingedenk der geplanten Inbetriebnahme von Hermes in 2027 bzw. der erste Serienanlagen in 2030. 2024 ist so gut wie rum und 5 Jahr sind eine kurze Zeit. Machbar sein wird es möglicherweise, wenn die Tests mit den TRISO-Brennelementen genauso erfolgreich sind und man die Projekte vernünftig abwickeln kann, aber ich würde die Hand dafür nicht ins Feuer legen.
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