Der Test der ETU 1.0 war nämlich ursprünglich für 2021 geplant und Hermes sollte 2026 in Betrieb gehen. Anscheinend ist man bei Kairos schon hinter dem selbst gesteckten Zeitplan; unglücklicherweise reiht man sich damit jetzt schon in die lange Liste der Projekte ein, die deutlich länger dauern. An der Covid-19-Pandemie kann das nur bedingt liegen – das Jahr 2026 wurde in der Newsmeldung der Firma vom November 2021 genannt. Und da wird man sehen, wohin die Reise geht. Ich will die Erfolge von Kairos nicht Kleinreden. Sie haben nach vielen Jahren Entwicklungsarbeit ein beeindruckendes Experiment erfolgreich durchgeführt. Nur war das der einfache Teil. Salzbadreaktoren kenne ich aus der chemischen Industrie und weiss um die Probleme, die die Beherrschung von Salzschmelzen schon bei Temperaturen um 200 oder 300 °C macht. Korrosion ist ein Thema, aber eher das kleinere im Vergleich zu Erosion und Abrasion. Bei einer brandneuen Anlage, die für wenige Monate betrieben wird, zeigt sich das noch nicht so deutlich, aber wenn ein Salzbadreaktor viele Jahre in Betrieb ist, macht seine Instandsetzung während geplanter Anlagenabstellungen einen signifikanten Teil des Aufwands aus. Und da sprechen wir von reinem Salz ohne Fremdkörper. Kairos’ ETU 1.0 hat ein paar Monate lang Salz umgepumpt. Das ist nicht nichts, aber bis zum Kernreaktor ist es noch ein weiter Weg.
Das Salz in Kairos’ Reaktor wird einen Kugelhaufen aus TRISO-Brennelementen mit 2 cm Durchmesser durchströmen, der seinerseits durch kontinuierliche Entnahme und Zuführung von Brennelementen in Bewegung gehalten wird. Die Erfahrungen in den deutschen Reaktoren Jülich und Hamm-Uentrop haben gezeigt, dass Kugelbruch und Abrieb in der Praxis viel größere Probleme waren als gedacht. Man wird viel Aufwand treiben müssen, um das Salz sauber von Fremdkörpern zu halten und den Brennelemente-Fluss im Kugelbett zu kontrollieren. Ganz zu Schweigen von der Kontamination. TRISO-Brennstoff ist gegen Diffusion von Spaltproduktion aus dem Brennelement heraus sehr resistent, aber das nützt nur bedingt etwas, wenn die Brennelemente mechanisch beschädigt werden. Jülich und Hamm-Uentrop, die dieses Problem in hohem Maße hatten, sind so stark kontaminiert, dass Rückbau und Entsorgung im Vergleich zu den deutschen Leichtwasserreaktoren immens höhere Kosten verursachen und viel länger dauern. Kairos wird zeigen müssen, dass ihr Reaktor diese Probleme nicht hat.
Ich wünsche den Leuten bei Kairos alles gute, aber ich bleibe Skeptisch. Salzschmelzen und TRISO-Brennstoff haben Vorteile und Nachteile und wenn man sich dafür entscheidet, bekommt man immer ein Gesamtpaket. Die Geschichte der Kerntechnik ist reich an interessanten Konzepten, frohen Mutes gestarteten Projekten, vielversprechenden Experimenten und bitterer Enttäuschung. Kernkraftwerke müssen in liberalisierten Energiemärkten kostendeckend arbeiten und an dieser Bedingung haben sich schon viele die Zähne ausgebissen. Zurzeit finanziert sich Kairos wie alle SMR-Entwickler aus Risiko-Kapital und mindestens 303 Millionen USD risk reduction funding (ein schöner Ausdruck für Subventionen) aus dem Advanced Reactor Development Program des US-amerikanischen Energieministeriums. Das Oak Ridge National Laboratory ist bereits ein kerntechnische Anlage, deswegen fällt ein großer Posten Aufwand und Kosten für Hermes weg, der in Zukunft wird mitbedacht werden müssen, wenn Anlagen irgendwo auf der sprichwörtlichen grünen Wiese errichtet werden sollen. Ob das Konzept sich kommerzialisieren lässt, bleibt abzuwarten.
Google trägt dabei vermutlich das kleinste Risiko. Wenn die Verträge als Power Purchase Agreement ausgeführt wurden, haben Auftraggeber und Auftragnehmer mit Sicherheit Konventionalstrafen für den Fall vereinbart, dass der Auftragnehmer aus eigenem Verschulden nicht liefern kann. Das heißt, Google kauft keine SMR und auch keine Leistung aus SMR, sondern einfach CO2-neutrale Leistung bei Kairos. Wie Kairos die liefert, kann Google de jure erst mal zweitrangig sein.
Parallel zu ETU 2.0 die ETU 3.0 und den Hermes-Reaktor als Demonstrator zu bauen und Erfahrungen aus dem Betrieb der ETU in das Design von Hermes einfließen zu lassen sind, vorsichtig ausgedruckt, kühne Vorhaben. Möglichst viel zu parellelisieren ist ein verführerischer Gedanke, verspricht er doch Zeit- und Geldersparnis, aber in der Praxis ist Erfahrung ein sequenzieller Prozess und das Design einer Anlage nur mit großem Aufwand während ihres Baus abzuändern. Erfahrene Anlagenbauer versuchen es immer wieder und bekommen es nicht hin. Ein Start-Up mit wenig praktischer Erfahrung, das Kairos nach wie vor ist, kann sich da leicht verheben. Für die Welt und die Zukunft der Energieversorgung wäre ein voller Erfolg von Kairos Power natürlich grandios, aber ich kann noch nicht so recht dran glauben, denn so strahlendend hell das Ziel (no pun intended), so schwer die Steine auf dem Weg dorthin.
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