Mancher, der mein Blog kennt, mag sich fragen, warum ich im Lichte der aktuellen Nachrichten über die Investitionen großer Tech-Konzerne nach wie vor skeptisch gegenüber den langfristigen Chancen der Kernenergie bin. Immerhin ist es bemerkenswert, dass so viele Weltfirmen in die Technologie einzusteigen gedenken. Nachdem der Staat in der westlichen Welt immer weniger als Unternehmer in der Energiewirtschaft auftreten möchte und die von klassischen Energieversorgern initiierten Projekte eher durchwachsen verlaufen, nehmen jetzt große Tech-Unternehmen wie Google, Amazon und Microsoft das Heft in die Hand. Ich bin gespannt, wie sich das anlassen wird, aber ich teile nicht die Zuversicht, dass das wir in diesen Monaten und den nächsten Jahren endlich die Wiedergeburtsstunde der Kernenergie erleben.
Bei aller verständlichen Euphorie kann ich leider nicht umhin, ein bisschen Wasser auf die Freudenfeuer zu gießen. Die Begeisterung kann ich gut nachvollziehen. Genauso den Wunsch, dass die Kerntechnik sich endlich aus ihrem jahrzehntelangen Siechtum erhebe und den Durchmarsch hinlege, der ihr seit den 1960er Jahren aus wechselnden Gründen, aber mit einer gewissen Regelmäßigkeit, prophezeit wird. Ich wünsche den laufenden Projekten auch alles Gute, aber ich denke, man sollte ein paar Nebenbedingungen nicht außer Acht lassen, die für die Einordnung der gegenwärtigen Meldungen in den Gesamtkontext wichtig sind.
Wenn in der Zeitung steht, dass Amazon, Google und Microsoft in Kernenergieprojekte investieren, ist das nicht ganz wahr und nicht ganz falsch (Die Begründung liegt im Detail und kommt weiter unten). Wenn irgendwo steht, dass sie Kernreaktoren bauen, stimmt das so nicht. Keines dieser Unternehmen wird ein Kernkraftwerk, gleich welcher Größe bauen oder betreiben, de jure haben sie nicht mal eins in Auftrag gegeben. Die Verträge, die sie mit Energieversorgern bzw. Start-Ups aus der SMR-Branche geschlossen haben, sind keine Werkverträge zum Bau einer Anlage, sondern Power Purchase Agreements (PPA) zum Kauf elektrischer Leistung. Die Geschäftspartner wollen natürlich die Leistung ihrer Kernkraftwerke verkaufen, aber wollen kann man erst mal vieles.
Ein Power Purchase Agreement ist in einfachen Worten ein langfristiger Vertrag, der zwischen einem Unternehmen das Energie kauft (wofür auch immer) und einem, das Energie verkauft (woher auch immer) geschlossen wird. Der Versorger verpflichtet sich im einfachsten Fall, den Kunden für einen bestimmten Zeitraum mit elektrischer Leistung einer bestimmten Höhe (durch Multiplikation mit der Zeit wird daraus die abrechenbare Energie) zu versorgen. Der Kunde verpflichtet sich, die bereitgestellte Leistung abzurufen. Dafür wird ein gewisser Preis vereinbart, der im einfachsten Fall über den gesamten Zeitraum fest bleibt. Da aber Mehrungen durch angenommene Inflation, sich ändernde Bereitstellungskosten, etc. abgebildet werden müssen, vereinbaren Versorger und Kunde im Vertrag Anpassungsmechanismen, die in verschiedenen Fällen greifen und auch Mechanismen für kleinere Abweichungen von der zu liefernden bzw. abzunehmenden Leistung oder Konventionalstrafen, die dem jeweiligen Partner aufgelegt werden, falls er seinen Verpflichtungen nicht nachkommen kann.
Der vereinbarte Preis liegt in den meisten Fällen entweder deutlich unter dem der an Energiebörsen gehandelten Energie oder auf einem Wert, um den die Preise an den Energiebörsen herum schwanken.
Einfaches Beispiel: Angenommen, der Strompreis an der Börse betrage generell zwischen 80 €/MWh und 120 €/MWh (willkürliche Zahlen, nicht aus dem Leben gegriffen) und nur in Extremfällen mehr oder weniger. Ein Power Purchase Agreement mit einem Preis von 70 €/MWh wäre für einen Kunden, der viel elektrische Energie braucht, gegenüber dem Kauf an der Börse sehr attraktiv, da der vereinbarte Preis deutlich unter dem Börsenpreis liegt. Für den Versorger kann das auch attraktiv sein, wenn er sicher sein will, dass er seine Leistung dauerhaft für einen langen Zeitraum verkaufen und er sie entsprechend günstig beschaffen kann.
Ein bisschen komplizierter wird’s, wenn der vereinbarte Preis so liegt, dass an den Strombörsen manchmal mehr, manchmal weniger bezahlt werden müsste. Liegt der vereinbarte Preis nach PPA zum Beispiel bei 90 €/MWh, wird aus dem PPA ein Contract For Difference (CFD), bei dem beide Seiten vereinbaren, was im jeweiligen Fall bezahlt werden muss. In der Regel sind die vereinbarten Preise dann für beide Seiten attraktiver als ohne den Vertrag oder die Risikoreduktion, die der Vertrag bietet, ist leichte Einbußen beim Preis wert. Ein Contract For Difference ist nebenbei auch für das Kernkraftwerk Hinkley Point C vereinbart und wer glaubt, dass die (gegenwärtig) rund 50 Milliarden € Baupreis viel sind, dem lege ich einen Blick in den CFD für die eingespeiste Energie ans Herz. Das wird erst der richtige Kostentreiber sein.
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