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Wie Neil Young zu Beginn einer Aufnahme von Southern Man einst sagte: “This is usually a really long song, folks, and we’re gonna do it really slow tonight.”, so wird das hier ein wirklich langer Artikel werden und wir uns dem Thema ganz langsam nähern.

In meiner unmaßgeblichen Meinung vertrete ich zwei Thesen:

1. Die Kernenergie in Deutschland ist auf absehbare Zeit, wenn nicht entgültig, Geschichte und es gibt keinen einfachen Weg zurück.
2. Die Kernenergie hat allgemein in liberalisierten Energiemärkten keine Chance und wird nur dort ihre Nische finden, wo der Staat die Kosten trägt.

Das kann man gut oder schlecht finden, aber ich bin der Meinung, dass die Aussagen auf der Sachebene wahr sind. In den letzten Wochen, während des Wahlkampfs, ist das Thema wieder hochgekocht und breit besprochen worden. Das ist kein besonders neuer Prozess. In Deutschland werden alle paar Jahre die Kernenergie, der Ausstieg und ein möglicher Wiedereinstieg diskutiert. Und weil dem so ist und dabei selten die nationale wie internationale Situation gut dargestellt wird, möchte ich auf ein paar besonders wichtige Punkte ein kleines Schlaglicht werfen.

Genehmigungsrecht

Deutsche Kernkraftwerke hatten eine Betriebsgenehmigung nach Atomgesetz. Diese Genehmigung wurde im jeweiligen Jahr ihrer Inbetriebnahme erteilt. Diese Betriebsgenehmigungen sind erloschen. Genehmigungen zum Rückbau sind an ihre Stelle getreten. Das bedeutet, dass die Betreiber nicht ehemalige Betreiber sind, sondern nach wie vor Betreiber. Bis zur Außerbetriebnahme hatten sie Kraftwerke betrieben, jetzt betreiben sie Anlagen in der Nachbetriebsphase bzw. im Rückbau. Was wie Verwaltungskauderwelsch kling, hat praktische Auswirkungen, z.B. fällt ohne Betrieb ein großer Teil der Prozessrisiken weg, dafür kommt durch die Eigenschaft der Baustelle ein Schwung Arbeitsrisiken dazu. Es ändern sich Berichts- und Aufsichtspflichten, etc und die Berufsgenossenschaft erhebt andere Gebühren für die Unfallversicherung.

Aktuell verbietet das Atomgesetz die Neuerteilung von Betriebsgenehmigungen, aber das wäre mit einer einfachen Gesetzesänderung behoben. Der bei weitem größere Aufwand entsteht durch 30 Jahre Entwicklung von Normen und Regularien, die man jetzt in den Kalkül ziehen müsste. Damit man vom Zustand Rückbau in den Zustand Betrieb wechseln dürfte, müsste die erloschene Betriebsgenehmigung aus den 1980er Jahren (ältere Kernkraftwerke sind realistischerweise nicht mehr so zu ertüchtigen) neu beantragt werden.

Das macht eine Neubetrachtung der Anlage nach aktuellem Recht und aktueller Normenlage nötig. Als das letzte (West-)Deutsche Kernkraftwerk Neckarwestheim-2 1989 in Betrieb ging, war z.B. die Druckgeräteverordnung noch unbeeinflusst von Europäischem Recht, denn es gab noch keine Richtlinie 97/23/EG (erste Version der Druckgeräterichtline). In dieser Rechtsnorm wird alles mögliche geregelt, was die Auslegung von Druckgeräten und den Nachweis der Konformität angeht. Sie enthält jede Menge Tabellen, Diagramme, anzuwendende Berechnungsverfahren, etc.

Es gibt bestimmte Fälle, in denen Bestandsschutz gewährt wird, z.B. sind Anlagen mit bestehender Betriebsgenehmigung vor bestimmten Anpassungen geschützt, wenn sich seither gegenüber dem Zustand bei Genehmigung keine wesentlichen Änderungen ergeben haben. Das gilt nicht mehr automatisch, wenn die Betriebsgenehmigung erlischt. Damit erlischt in der Regel auch der Bestandsschutz. Die Festigkeit drucktragender Teile, die nach einem Verfahren und geltenden Regeln von 1989 berechnet wurden, kann heute evtl. nicht mehr oder nur mit erhöhtem Aufwand nachgewiesen werden. Für andere Teile gab es damals noch gar keine Anforderung und je nach Geometrie ist es schwierig bis unmöglich überhaupt den Nachweis zu führen. Und da reden wir nicht mal notwendigerweise über den nuklearen Teil. Auch ein Kernkraftwerk hat jede Menge Teilanlagen, die notwendig zum Betrieb sind, aber nicht zum Reaktorsystem selbst gehören.

Das klingt vielleicht nach Regulierungswut und übertriebener Risikoaversion, aber die Regeln kommen nicht von ungefähr. Zu fast jeder gibt es einen Unfall mit Personenschaden, der durch ihre Nichterfüllung verursacht wurde oder ein Unfall hat das Risiko überhaupt erst aufgedeckt. Sicherheitsregeln sind mit Blut geschrieben und wenn wir auch manchmal darüber meckern mögen, dann ist, glaube ich, den meisten von uns schon bewusst, dass wir heute sehr viel sicherer und dadurch auch effizienter Anlagen betreiben können als noch vor 30 Jahren. Die Zeiten sind vorbei, zu denen schwere Industrieunfälle halt irgendwie dazugehören. Strenge Regeln haben damit viel zu tun. Was früher richtig war, kann heute durchaus falsch sein. Wir sind ja Techniker, wir irren uns empor und zumindest in meinem Metier bauen wir trotz stetig steigender Anforderungen produktive Anlagen, die mit Gewinn betrieben werden können.

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Kommentare (3)

  1. #1 hto
    21. März 2025

    @Gabath: “Die Kernenergie in Deutschland ist auf absehbare Zeit, wenn nicht entgültig, Geschichte und es gibt keinen einfachen Weg zurück.”

    Es gäbe einen einfachen Weg zurück zur Atomkraft, aber solange der kompliziert-konfuse in wettbewerbsbedingter Symptomatik bestimmt was geht, dann wohl eher nur in die Katastrophe.

    Übrigens, ich habe es drüben beim Kuhn zwar schon geschrieben: Ich war zwar Zeitsoldat, bin trotzdem KEIN Fan von Wehrpflicht, aber seit der Erfindung des Transmutationsbeschleunigers (der “natürlich” aus Kostengründen nicht zum Einsatz, aber THEORETISCH vielleicht zur vollen Kraft entwickelt wird??) bin ich Fan der Atomkraft.

  2. #2 Ludger
    21. März 2025

    Ein Freund von uns hat als promovierter Elektroingenieur Jahrzehnte lang bei der Kernenergie, der Stromwirtschaft und der Netzauslegung gearbeitet. Bei einem gemeinsamen Urlaub hat er mich 1978 von den Vorzügen der Kernenergie versus Stromerzeugung durch Kohle überzeugt.
    Er hält den Neubau von Kernkraftwerken mittlerweile für unwirtschaftlich. Als Grund für seinen Erkenntniswandel sagte er mir, er habe nicht mit dem extremen Preisverfall der Photovoltaik gerechnet.
    Die neue Lage macht natürlich nicht nachträglich das Abschalten von zugelassenen und funktionierenden Kernkraftwerken wirtschaftlich.

  3. #3 Mr Orange
    22. März 2025

    Viele Zulassungen aus dem Bauwesen sind für AKW nicht anwendbar. Natürlich kann man die überarbeiten – viel Spaß dabei!