Je nachdem wie die Arbeit unserer Altvorderen war, haben sie uns Anlagen mit oder weniger Marge in der Auslegung sicherheitsrelevanter Teile hinterlassen. Auch vor 50 Jahren hat nicht jeder Ingenieur den Behälter ‘einfach ein bisschen dicker’ ausgelegt. In meiner beruflichen Praxis habe ich sogar eher das Gegenteil gesehen. Ich hatte selbst mit der einen oder anderen Altanlage zu tun, die man heute ‘dicker’ bauen würde als sie damals gebaut wurde, d.h. höhere Druckstufe, mehr Instrumentierung, diversere und robustere Sicherheitseinrichtungen, etc. Das Problem ist halt: Ohne neue Prüfung kann man sich nicht darauf verlassen, dass man an allen Stellen alle geltenden Regeln einhält und dann gilt eventuell sogar, was ich oben geschrieben habe, dass aufgrund anderer Anforderungen möglicherweise heute Anlagen gar nicht mehr genehmigungsfähig wären, die es damals waren.
Für die Frage nach dem Wiederanfahren der deutschen Kernkraftwerke heißt das, dass zunächst all diese und noch weitere (z.B. baurechtliche wie technische baustatische) Fragen zufriedenstellend beantwortet (d.h. mit Rechnungen, Prüfungen und Tests nachgewiesen) werden müssen, bevor man überhaupt daran denken kann, die Betriebsgenehmigung neu zu erteilen. Eingedenk obiger Erwägungen ist nicht sicher, ob die Anlagen heute überhaupt noch genehmigungsfähig wären. Die Betriebsgenehmigung zu verlieren ist für eine 30 Jahre alte Anlage wie ein Kreislaufstillstand. Unter guten Bedingungen und mit viel Einsatz gibt es eine Chance, sie wieder in Betrieb zu nehmen, aber in der Mehrzahl der Fälle, wird es nicht klappen. Und wie im richtigen Leben wird man – in diesem Fall der Betreiber – sich entscheiden müssen, ob das Outcome die Mühe lohnt.
Aktiver Rückbau
Alle deutschen Kernkraftwerke befinden sich aktiv im Rückbau und kritisches Equipment wurde bereits demontiert. Damit haben wir schon den Schluss zum ersten Punkt: egal wie man’s dreht und wendet und wie viel in den Jahren vorher noch in sicherheitsgerichtete Technik investiert worden sein mag, mit dem aktiven Rückbau hat man die Anlagen wesentlich verändert und damit die Sphäre des Bestandsschutzes verlassen. Eine komplette Neubewertung nach aktuellen Recht und aktuellen Normen ist praktisch nicht zu vermeiden. Hypothetisch wäre es denkbar, dass man sich zunächst auf besonders kritische Teile beschränkt, in der Hoffnung, dass man damit schon genügend gut die Betriebssicherheit nachweisen kann, aber in der Praxis haben solche Reviews die Tendenz zur Eskalation: Untersucht man ein Teil, wirft man Fragen zu drei anderen auf. Untersucht man diese, gibt es neue Fragen zu Teil 1. Eh man sich versieht, ist man bei Grundsatzdiskussionen und aus der Nachbetrachtung wird de facto ein Clean Sheet Review.
Der Rückbau an sich macht aber ein Wiederanfahren schon fraglich. Laut Jörg Michels, dem Vorstandsvorsitzenden von EnBW und Markus Krebber von RWE und Guido Knott von PreussenElektra sind die abgestellten Kernkraftwerke alle schon so weit rückgebaut, dass sie nicht ohne umfangreiche Neuinstallation wieder angefahren werden können. Das sagt nichts darüber aus, wie die drei Männer den Kernenergieausstieg insgesamt bewerten – während Michels und Krebber sich agnostisch äußern, macht Knott aus seiner Überzeugung, dass er ihn für falsch hält, keinen Hehl. Es sind einfach die nüchternen Feststellungen von Geschäftsleuten, die mit Erzeugung und Vertrieb elektrischer Energie Geld verdienen, bezogen auf ihre eignen Anlagen.
Je nachdem was bereits demontiert wurde, dauert die Beschaffung lang oder das Equipment ist so groß und sperrig, dass es zwar innerhalb des Sicherheitsbehälters demontiert werden, aber nicht in einem Stück in diesen eingebracht werden kann. Lösen lässt sich prinzipiell beides. Lange Lieferzeit sind erst mal nur ein organisatorisches Problem. Dauert’s halt länger. Ja mei. Ein größeres Problem sind Abmessungen. Auch das ist lösbar, indem man das Equipment in kleinere Einheiten teilt, sofern möglich oder – Die heilige Jungfrau bewahr uns davor – das Reaktorgebäude und den Sicherheitsbehälter eröffnet, aber auch das zieht einen Rattenschwanz an Problemen nach sich. Machen wir ein einfaches Beispiel (sinngemäß übertragen aus der Erfahrung mit gekammerten Chemieanlagen):
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