Angenommen wir haben ein Stück Rohrleitung. Das muss nicht mal eine sicherheitsrelevante Rohrleitung sein, nehmen wir ruhig ein Stück Otto-Normal-Stahlrohr nach EN 10220 an. Diese Rohrleitung wurde irgendwann um 1985 eingebaut, bevor der Sicherheitsbehälter geschlossen wurde. Die Montage war damals kein Problem und die Demontage ist heute kein Problem; man kann sie ja einfach zerschneiden. Jetzt will man sie doch wieder montieren, weil man sie für den Weiterbetrieb braucht. Kein Problem, denkt man und zerlegt sie in einzelne Segmente, die durch irgendeine Art der Verbindung zusammengefügt werden. Dann schaut man in die zugrunde liegende Norm wie schwer das Rohr für die Berechnung anzunehmen ist und findet, dass man alle 2 Meter einen Halter braucht. Dazu muss man den Stahlbau anpassen, auf dem das Rohr liegt. Also gibt man seinem 3D-Modellplaner den Auftrag, das mal darzustellen. Der Fragt seinen Bauplaner wegen der Geometrie des Stahlbaus an. Der schaut sich die Massen an, konsultiert seine aktuelle EN 1090 und was er sonst noch braucht und legt den Stahlbau entsprechend aus. Dabei fällt ihm auf, dass ja nicht nur dieses Rohr, sondern auch noch Kabeltrassen über denselben Stahlbau laufen. Er fragt seinen PLT-Planer und der sagt ihm, dass eine davon heute für Funktionserhalt nach DIN 4102-12 ausgelegt sein muss. Das heißt zugelassenes Kabelträgersystem mit definierten Höchstspannweiten und wenn alles fertig ist, muss genügend Platz sein, damit um die ganze Trasse noch ein Kasten aus Promat gebaut werden kann. Dazu müssen zwei weitere Rohrleitungen verschoben werden, denn eine Kabeltrasse muss mindestens einseitig erreichbar sein, aber dazu ist auf dem neuen Stahlbau noch kein Platz vorgesehen, also noch mal planen, dann zurück zum 3D-Planer, dann zum Rohrleitungsplaner, PLT-Planer, etc. etc.. Soweit ist das ein ganz normaler iterativer Prozess, der zur Planung einer Anlage gehört.
Die Schwierigkeit besteht darin, dass es kein Neubau ist. Das umbaute und damit zur Verfügung stehende Volumen ist gegeben, also kann man vielleicht gar nicht mehr Stahl einbauen (Dass der Stahlbau ja auch kleinteilig genug sein muss haben wir noch gar nicht berücksichtigt). Der Untergrund muss tragfähig sein (und ist vielleicht auch noch eine WHG-Fläche, in die man nicht einfach bohren darf), der Betonbau des Bestands darf nicht dem neuen Stahlbau im Weg sein, die Durchbrüche für Rohrleitungen und Kabel in den Wänden müssen immer noch erreichbar sein und so weiter. Jede Menge Kleinigkeiten und Unwägbarkeiten. Und jedes Mal die bange Frage, ob die neu ausgelegten Bauteile sich zusammenfügen oder die baulichen Gegebenheiten einen Strich durch die Rechnung ziehen. Die Radikallösung, den Beton abzustemmen und ein Loch in den Sicherheitsbehälter zu schneiden schwebt schnell im Raum und ist man einmal so weit und lässt es kalkulieren und guckt dann aufs Preisschild, dann wird die Kosten/Nutzen-Relation schnell ziemlich düster.
Der Neubau einer Anlage ist nicht einfach. In keiner Branche. Wär’s einfach, könnt’s jeder. Eine Altanlage in allen Belangen auf Stand der Technik zu bringen, damit eine Jahrzehnte alte, erloschene Betriebsgenehmigung durch eine neue ersetzt werden kann, ist nicht viel weniger aufwändig.
Langfristige Planung
Die Hindernisse, die sich aus Genehmigungsrecht und Rückbau ergeben, lassen sich prinzipiell lösen, wenn man genügend Geld drauf wirft. Dem Geld, das sie ausgeben, stellen die Betreiber die möglichen Erlöse gegenüber. Die erwartbare Laufzeit spielt dafür eine große Rolle und dazu muss der Betreiber mangels Alternativen zwangsläufig die firmeneigene Glaskugel konsultieren.
Die deutschen Kernkraftwerke waren bei Außerbetriebnahme im Mittel etwa 34 Jahre in Betrieb, mit kleinen Abweichungen nach oben und unten. Weltweit geht der regulatorische Trend hin zu Laufzeitverlängerungen mit einem Mittel von 60 Jahren. Das ist viel Zeit, in der aufwändige Umbauten und Genehmigungsprozesse möglicherweise hohen Gewinn versprechen. Allerdings sind de facto bisher kaum Kernkraftwerke über 50 Jahre alt geworden und alle bis auf die Designs, deren Baubeginn ab Mitte der 2000er liegt, wurden noch für angedachte Laufzeiten von 40 Jahren gebaut. Das war damals eben die übliche Laufzeit eines großen Kraftwerksblocks. Die erste Frage, die sich die Betreiber vor jeder Maßnahme zum Weiterbetrieb wird stellen müssen lautet: “Bin ich mir sicher, dass die Substanz gut genug und der gesellschaftliche Rückhalt groß genug ist, um den wirtschaftlichen Betrieb so lange aufrechtzuhalten, dass die Maßnahme sich rechnet?”
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