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Für die Anlage Sizewell C, die dieses Jahr final genehmigt werden soll, gibt keine solche Regelung (Abwarten. Bei Hinkley Point C wurde der Vertrag auch erst 2022 finalisiert), allerdings werden die Kosten teilweise über das Modell der Regulated Asset Base (RAB) auf die Verbraucher umgelegt. Dabei wird ein Fond gegründet, in den die Verbraucher einzahlen, um den Bau des Projekts zu finanzieren und anschließend die Betreiber einzahlen, um den Verbrauchern die Erträge aus dem Betrieb zugute kommen zu lassen. Für Infrastrukturprojekte ist das ein nicht unübliches Finanzierungsmodell und hat gegenüber dem Strike Price den Vorteil, dass die Kosten für die Verbraucher auf die realen Bau- und Betriebskosten gedeckelt sind, es heißt aber keineswegs, dass die Baukosten selbst gedeckelt sind. Ich gehe nicht davon aus, dass Sizewell C am Ende wesentlich günstiger werden wird als Hinkley Point C.

Auf dem Preisschild für die erste polnische Anlage mit 3 Reaktoren und insgesamt 3.750 MW Leistung steht zurzeit die Zahl 50 Milliarden €, davon kommen 15 Milliarden vom Staat und auch die Betreibergesellschaft ist zu 100 % im Staatsbesitz. Der Preis ist aber nur mit Bleistift geschrieben. Noch 2023 waren es 35 Milliarden gewesen. Sind wir gespannt, wie er sich entwickelt, bis der erste Spaten in die Erde sticht.

Und auch im Musterland der Kernenergie Frankreich stehen die Zeichen nicht wirklich auf Ausbau. In absoluten wie relativen Zahlen hat die Kernenergie in Frankreich ihren Zenit Mitte der 2010er Jahre überschritten. Alterstruktur des Kraftwerkparks und bisher erreichte Laufzeiten lassen darauf schließen, dass in den nächsten zehn Jahren noch einige Anlagen außer Betrieb gehen werden, die nicht unmittelbar ersetzt werden können. 5 Reaktoren mit zusammen rund 4.500 MW sind vor 1980 in Betrieb gegangen. Weitere 27(!) vor 1985. Zurzeit ist kein Kernkraftwerk in Frankreich im Bau. Zurzeit sieht das Gesetz vor, dass Anlagen bis zu 50 Jahre laufen dürfen, wenn sie sicherheitstechnisch in Ordnung sind. Aber wie ich oben geschrieben habe, sagt sicherheitstechnische Güte noch nichts über Wirtschaftlichkeit aus.

Als Frankreich in den 1970er Jahren beschloss, massiv in die Kerntechnik zu investieren, waren die Zeiten anders. Die Ölkrisen waren gewaltige wirtschaftliche und gesellschaftliche Schocks und der einzige andere verfügbare Energieträger Kohle war auch ohne breites Bewusstsein für die Auswirkungen aufs Klima unbeliebt. Heute ist das anders. Das Umweltbewusstsein ist stärker, aber auch die Alternativen besser. Zurzeit ist die Absicht, 6 Reaktoren des verbesserten Typs EPR 2 neu zu bauen. Kostenschätzung im März 2025: rund 67 Milliarden € (In 2022 waren es noch 52 Milliarden €), davon sollen mindestens 50 % durch einen staatlich garantierten Kredit bereitgestellt werden. Angedachter Inbetriebnahmetermin Stand März 2025 ist 2038. Ich wage zu behaupten, dass die Kostenschätzung weiter steigen und der Terminplan sich weiter nachn hinten verschieben wird. Fraglich, ob in 2040 mehr als nur der kleinere Teil der angedachten Kraftwerksblöcke gebaut worden sein wird. Wenn überhaupt.

Jetzt bin ich nicht grundsätzlich gegen Einspeisevergütungen oder staatliche Beteiligung. Wenn eine Technologie große Chancen verspricht, sollte man sie fördern, damit sie langfristig günstiger wird. Sich darauf zu verlassen, dass das ohne eigenes zutun passiert und man nicht zu früh einsteigen sollte, grenzt an Teleologie und birgt die Gefahr, abgehängt zu werden. Aber was da vereinbart wurde sind Zahlen, wie man sie bei Wind und Sonne zuletzt vor 2010 gesehen hat. Mittlerweile sind sie rasant gefallen und die Kosten für das, was früher als EEG-Umlage auf der Stromrechnung stand, sinken auch seit einigen Jahren, wenn nicht grade die schlimmste Pandemie seit 100 Jahren oder ein klassischer Eroberungskrieg wie aus dem 19. Jh. dazwischen kommen. Die Kernenergie erlebt Gegenteiliges. Wer Investitionsentscheidung trifft, nimmt diese Gedanken in sein Nachtgebet auf.

Falls die Projekte der letzten Jahre, die in liberalisierten Energiemärkten realisiert wurden, ein Maßstab für kommende Projekte sind, stellt sich die Frage, ob Kernenergie wirtschaftlich gegen Wind und Sonne konkurrieren kann, selbst wenn Langzeitspeicher und ggf. die zugehörigen Kraftwerke mit in den Kalkül gezogen werden. Kernkraftwerke mit ihren hohen Investitionskosten müssen möglichst kontinuierlich Vollasst laufen, damit sie sich rentieren. In einem Stromnetz mit hoher volatiler Einspeisung aus Wind und Sonne und nur sporadischer hoher Einspeisung konventioneller Erzeuger ist der Business Case fraglich. In genau diese Situation entwickeln sich aber die Energiemärkte.

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Kommentare (5)

  1. #1 hto
    21. März 2025

    @Gabath: “Die Kernenergie in Deutschland ist auf absehbare Zeit, wenn nicht entgültig, Geschichte und es gibt keinen einfachen Weg zurück.”

    Es gäbe einen einfachen Weg zurück zur Atomkraft, aber solange der kompliziert-konfuse in wettbewerbsbedingter Symptomatik bestimmt was geht, dann wohl eher nur in die Katastrophe.

    Übrigens, ich habe es drüben beim Kuhn zwar schon geschrieben: Ich war zwar Zeitsoldat, bin trotzdem KEIN Fan von Wehrpflicht, aber seit der Erfindung des Transmutationsbeschleunigers (der “natürlich” aus Kostengründen nicht zum Einsatz, aber THEORETISCH vielleicht zur vollen Kraft entwickelt wird??) bin ich Fan der Atomkraft.

    • #2 Oliver Gabath
      24. März 2025

      Es steht Ihnen frei, sich mit gleichgesinnten aus aller Welt zusammenzutun und den Transmutationsbeschleuniger zu bauen. Länder mit großem gesellschaftlichem Rückhalt gibt’s genug. Machen Sie’s, strafen Sie mich Lügen – für die Welt wär’s ein Fortschritt.

  2. #3 Ludger
    21. März 2025

    Ein Freund von uns hat als promovierter Elektroingenieur Jahrzehnte lang bei der Kernenergie, der Stromwirtschaft und der Netzauslegung gearbeitet. Bei einem gemeinsamen Urlaub hat er mich 1978 von den Vorzügen der Kernenergie versus Stromerzeugung durch Kohle überzeugt.
    Er hält den Neubau von Kernkraftwerken mittlerweile für unwirtschaftlich. Als Grund für seinen Erkenntniswandel sagte er mir, er habe nicht mit dem extremen Preisverfall der Photovoltaik gerechnet.
    Die neue Lage macht natürlich nicht nachträglich das Abschalten von zugelassenen und funktionierenden Kernkraftwerken wirtschaftlich.

    • #4 Oliver Gabath
      24. März 2025

      Die neue Lage macht natürlich nicht nachträglich das Abschalten von zugelassenen und funktionierenden Kernkraftwerken wirtschaftlich.

      Klar, aber das ständig zu lamentieren bringt uns nicht weiter, wenn der Weg zurück de facto verschlossen ist.

  3. #5 Mr Orange
    22. März 2025

    Viele Zulassungen aus dem Bauwesen sind für AKW nicht anwendbar. Natürlich kann man die überarbeiten – viel Spaß dabei!