Die europäischen Energiemärkte sind alle weitestgehend liberalisiert, das heißt der Staat setzt größtenteils Leitplanken und tritt nur in seltenen Fällen als Unternehmer auf. Es gibt keine garantierten Monopole mehr, keine garantierten Versorgungsgebiete, keine vertikal integrierten EVU, die alles von der Erzeugung über den Transport bis zur Nutzung elektrischer Energie übernehmen, sondern getrennte Entitäten für Netzbetrieb, Vertrieb, Erzeugung, die sich gegenseitig ihre Leistungen verkaufen, gegenseitig gegen Risiken absichern und allesamt Gewinne erwirtschaften müssen. Das klingt vielleicht negativ, ist aber erst mal ganz normales Wirtschaften und führt unterm Strich in der Regel zu effizienteren Systemen. Es bedeutet aber auch, dass die handelnden Menschen stärker in persönlicher Verantwortung stehen, dass der Zeithorizont für die Amortisierung einer Anlage kürzer sein muss, weil plötzlich Shareholder auf dem Plan stehen, die Gewinn sehen wollen, dass Banken sich gegen den Ausfall von Krediten besser absichern müssen, dass die politischen Hebel kürzer, dafür die Versicherungsprämien höher sind, usw. Die Privatwirtschaft in einem freien Markt kann super Waren und Dienstleistungen zu günstigen Preisen in hoher Qualität bereitstellen. Besser als alle anderen Wirtschaftsformen in der menschlichen Geschichte es je konnten. Für Infrastruktur gilt das nicht nicht, aber eben nur bedingt.

Weil dem so ist, gibt es auch keine rein privatwirtschaftlich finanzierten Projekte für Kernkraftwerke. Auf keiner Skala, in keinem Sektor, in keinem Land. Nirgendwo. Nicht nur in Deutschland, sondern überall, ob die Energiemärkte liberalisiert wurden oder nicht. Ob groß, ob klein, Kerntechnik geht nur mit dem Staat.

Das Marktumfeld

Kostentechnisch ist die Kernenergie in einer ähnlichen Situation, wie vor 20 Jahren Wind und Sonne, aber während sich deren Kosten – und insbesondere die von Photovoltaik – dramatisch nach unten entwickelt haben, steigen die Kosten der Kernenergie mit den Jahren.

Das spiegelt zum Beispiel die Entwicklung des EEG-Kontos wider. In einfachen Worten ist es der Saldo der Differenzkosten zwischen der insgesamt gezahlten Einspeisevergütung auf der Einnahmen- und der vermiedenen Netzentgelte und erzielten Börsenpreise auf der anderen Seite. Die Kosten werden praktisch nur durch die auf 20 Jahre festgeschriebenen Einspeisevergütung von PV-Anlagen dominiert. Anlagen, die in 2005 in Betrieb gegangen sind, erhielten rund 500 €/MWh und bis 2009 rund 400 €/MWh; viel mehr als der damalige Börsenpreis von etwa 50 €/MWh. Schon 2012 lag die Vergütung aber bei höchstens 240 €/MWh und 2015 bei 120 €/MWh. Seit 2020 liegt sie bei etwa 82 €/MWh und damit dort, wo der mittlere Börsenpreis liegt. Das EEG-Konto hatte 2019 noch 24 Milliarden € Differenzbetrag, 2020 im Coronajahr sogar 31 Milliarden (aber das ist nicht ganz fair, weil in der Wirtschaftskrise die Erzeugung europaweit ungewöhnlich niedrig war); 2021 waren es 21 Milliarden, 2024 18 Milliarden (2022 waren es 13 Milliarden, aber das ist auch nicht ganz fair, weil fossile Energie in diesem Jahr ungewöhnlich teuer war). Tendenz weiter fallend. Vor allem, da die Förderung der teuren Anlagen aus den 2000ern in den nächsten Jahren ausläuft. Sind die erst aus dem Spiel, ist das Thema im Grunde durch. Auch wenn die Preise für PV-Module durch Abbau von Überkapazitäten und Marktkonsolidierung in China in den nächsten Jahren wieder leicht anziehen dürften, werden sie vermutlich nie wieder ähnliche Niveaus erreichen, wie noch vor fünf Jahren und damit die Stromgestehungskosten von Photovoltaik selbst in Deutschland auf Marktniveau liegen.

Windenergie auf der anderen Seite wurde schon seit vielen Jahren vor allem im Marktprämienmodell gefördert und schon seit einigen Jahren werden die großen Projekte ganz ohne Förderung realisiert. Allein die gegenwärtig im Bau befindlichen Offshore-Windparks Deutschlands werden bis 2027 etwa 2,6 GW Leistung ans Netz bringen, wenn die bisher genehmigten Projekte realisiert werden, diese bis 2030 noch mal rund 5 GW. In fünf Jahren kann noch viel beantragt und genehmigt werden. On-Shore sieht es ähnlich aus. 2019 waren etwa 54 GW installiert, 2024 fast 64 GW. Diese Zahlen sind nicht ganz vergleichbar, weil off-Shore-Windparks 2 bis 3 Mal so viele Volllaststunden leisten können, aber man sieht, wohin die Reise grundsätzlich geht. Insbesondere, nachdem Deutschland die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (EU) 2023/2413 (RED III) in nationales Recht überführt und damit die Genehmigungsverfahren massiv beschleunigt hat.

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Kommentare (17)

  1. #1 hto
    21. März 2025

    @Gabath: “Die Kernenergie in Deutschland ist auf absehbare Zeit, wenn nicht entgültig, Geschichte und es gibt keinen einfachen Weg zurück.”

    Es gäbe einen einfachen Weg zurück zur Atomkraft, aber solange der kompliziert-konfuse in wettbewerbsbedingter Symptomatik bestimmt was geht, dann wohl eher nur in die Katastrophe.

    Übrigens, ich habe es drüben beim Kuhn zwar schon geschrieben: Ich war zwar Zeitsoldat, bin trotzdem KEIN Fan von Wehrpflicht, aber seit der Erfindung des Transmutationsbeschleunigers (der “natürlich” aus Kostengründen nicht zum Einsatz, aber THEORETISCH vielleicht zur vollen Kraft entwickelt wird??) bin ich Fan der Atomkraft.

    • #2 Oliver Gabath
      24. März 2025

      Es steht Ihnen frei, sich mit gleichgesinnten aus aller Welt zusammenzutun und den Transmutationsbeschleuniger zu bauen. Länder mit großem gesellschaftlichem Rückhalt gibt’s genug. Machen Sie’s, strafen Sie mich Lügen – für die Welt wär’s ein Fortschritt.

  2. #3 Ludger
    21. März 2025

    Ein Freund von uns hat als promovierter Elektroingenieur Jahrzehnte lang bei der Kernenergie, der Stromwirtschaft und der Netzauslegung gearbeitet. Bei einem gemeinsamen Urlaub hat er mich 1978 von den Vorzügen der Kernenergie versus Stromerzeugung durch Kohle überzeugt.
    Er hält den Neubau von Kernkraftwerken mittlerweile für unwirtschaftlich. Als Grund für seinen Erkenntniswandel sagte er mir, er habe nicht mit dem extremen Preisverfall der Photovoltaik gerechnet.
    Die neue Lage macht natürlich nicht nachträglich das Abschalten von zugelassenen und funktionierenden Kernkraftwerken wirtschaftlich.

    • #4 Oliver Gabath
      24. März 2025

      Die neue Lage macht natürlich nicht nachträglich das Abschalten von zugelassenen und funktionierenden Kernkraftwerken wirtschaftlich.

      Klar, aber das ständig zu lamentieren bringt uns nicht weiter, wenn der Weg zurück de facto verschlossen ist.

  3. #5 Mr Orange
    22. März 2025

    Viele Zulassungen aus dem Bauwesen sind für AKW nicht anwendbar. Natürlich kann man die überarbeiten – viel Spaß dabei!

  4. #6 Staphylococcus rex
    31. März 2025

    Wenn ich es richtig verstehe, gibt es hier einige Zielkonflikte, die uns das Leben schwer machen.

    Es gibt Gründe möglichst große AKW zu bauen. Einerseits der Schutz des radioaktiven Materials vor Terror und Naturkatastrophen, das sind Fixkosten, die auf den Gewinn umgelegt werden müssen, zusätzlich ist nach meinem Verständnis der Wirkungsgrad höher, wenn die Dampftemperatur steigt. Andererseits steigt bei höheren Temperaturen auch die Materialermüdung bzw. Verschleiß. Dies wiederum erfordert einfache Wartungsmöglichkeiten, die im Widerspruch zur Abschirmung der Radioaktivität stehen.

    Als Folge dieser Zielkonflikte sind die aktuellen Neubauten auf europäischem Boden alles Einzelanfertigungen (“handgeschnitzt”). Um überhaupt in die Nähe der Wirtschaftlichkeit zu kommen, müßte es einen Referenzentwurf geben, der überall anwendbar ist, in Serie gebaut werden kann und Reserven z.B. für zukünftige Sicherheitstechnik im Design bietet.

    Bei der Verlängerung der Laufzeiten sehe ich als zusätzliches Problem die diskontinuierliche Arbeitsweise der AKW. Die Brennstäbe sind Energiequelle, Heizquelle und Abfallbehältnis, in größeren Abständen muss das AKW zum Wechsel der Brennstäbe heruntergefahren werden (wenn ich es richtig gelesen habe, arbeiten AKW mit einer Mischbeladung alter und neuer Brennstäbe?), eine evtl. Verlängerung muss rechtzeitig vor einem neuen Beladungszyklus/Wartungszyklus geklärt werden.

    • #7 Oliver Gabath
      27. Oktober 2025

      Du sprichst da viele Dinge an, die alle richtig sind. Deswegen versteh meine Worte dazu nicht als Richtigstellung, sondern Ergänzung:

      Es gibt Gründe möglichst große AKW zu bauen. Einerseits der Schutz des radioaktiven Materials vor Terror und Naturkatastrophen, das sind Fixkosten, die auf den Gewinn umgelegt werden müssen

      Das ist klassischer Weise so. Bei Chemieanlagen gab es mal einen Trend zur echten Worldscale-Anlage, die den Weltmarkt bedienen kann. Im Moment geht der Trend hin zur Region-Scale, die eine Weltregion (klassischerweise ungefähr entsprechend den Kontinenten) versorgt. Bei Kernkraftwerken ist es nicht anders. Trotz der seit vielen Jahren viel besprochenen Small Nuclear Reactors, sind die Neubauten zurzeit und auf absehbare Zeit eher größer als kleiner.

      zusätzlich ist nach meinem Verständnis der Wirkungsgrad höher, wenn die Dampftemperatur steigt. Andererseits steigt bei höheren Temperaturen auch die Materialermüdung bzw. Verschleiß. Dies wiederum erfordert einfache Wartungsmöglichkeiten, die im Widerspruch zur Abschirmung der Radioaktivität stehen.

      Die Dampftemperatur lässt sich bei Druckwasserreaktoren prinzipbedingt kaum über ca. 320 °C steigern, weil man die kritische Temperatur von leichtem Wasser nicht überschreiten darf (Das Wasser im Reaktor muss bei diesem Reaktortyp immer flüssig sein). Nukleare Überhitzung ist möglich, aber sehr umständlich. Hat bisher noch niemand wirklich in den Griff gekriegt. Siedewasserreaktoren könnten überkritisch betrieben werden, aber das ist reaktorphysikalisch nicht einfach und der Typ an sich ist in den letzten Jahrzehnten aus der Mode gekommen.

      Als Folge dieser Zielkonflikte sind die aktuellen Neubauten auf europäischem Boden alles Einzelanfertigungen (“handgeschnitzt”). Um überhaupt in die Nähe der Wirtschaftlichkeit zu kommen, müßte es einen Referenzentwurf geben, der überall anwendbar ist, in Serie gebaut werden kann und Reserven z.B. für zukünftige Sicherheitstechnik im Design bietet.

      Wenn zwei Anlagen gleicher Bauart an zwei unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten gebaut werden, werden beide am Ende Unikate sein. Das hat nichts mit der Kerntechnik zu tun, sondern damit, dass schon bei unterschiedlicher Anordnung der Gebäude infolge anderer baulicher Gegebenheiten ein Haufen statischer Berechnungen, z.B. für Rohrleitungen nicht mehr passen, dass Kabel anders ausgelegt werden müssen, etc. Außerdem ändern sich mit der Zeit Normen, Gesetze, die zur Verfügung stehende Technologie und Schlüsselpersonal. Eine gewisse Standardisierung ist möglich und wird auch überall angewendet, aber das Grundproblem bleibt leider auch gleich.

      Bei der Verlängerung der Laufzeiten sehe ich als zusätzliches Problem die diskontinuierliche Arbeitsweise der AKW. Die Brennstäbe sind Energiequelle, Heizquelle und Abfallbehältnis, in größeren Abständen muss das AKW zum Wechsel der Brennstäbe heruntergefahren werden (wenn ich es richtig gelesen habe, arbeiten AKW mit einer Mischbeladung alter und neuer Brennstäbe?), eine evtl. Verlängerung muss rechtzeitig vor einem neuen Beladungszyklus/Wartungszyklus geklärt werden.

      Völlig richtig und war auch einer der Gründe, warum die deutschen Kernkraftwerke 2023 schwierig weiterbetrieben werden konnten (Dass die Laufzeit ja noch mal bis April 2023 verlängert wurde, auch auch noch durch das grün geführte Wirtschaftsministerium, ist irgendwie auch völlig aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden). Die Anlagen selbst sind mit einer gewissen Anforderung an den Lastfolgebetrieb entworfen worden und technisch dazu in der Lage, aber man hätte im Grunde gleich zu Beginn des Ukraine-Krieges neue Brennelemente bestellen müssen. Ich bin der Meinung, dass das sinnvoll gewesen wäre, weniger aus praktischer Sicht, sondern als politisches Signal, aber ich verstehe auch, was für einen Rattenschwanz es nach sich gezogen hätte.

  5. #8 Oliver Gabath
    15. Mai 2025

    Interessante Nachricht:

    Das Dänische Parlament hebt das Verbot von Blei in Motorenbenzin des Neubaus von Kernreaktoren auf (Quelle)

    Im am weitesten fortgeschrittenen Energiewende-Land der Welt wird das zwar in der Praxis keine großen Auswirkungen haben, aber bemerkenswert ist es immerhin und beflügelt die Phantasie.

    Schon 2024 brachte Morten Messerschmidt die Idee aufs Tapet, das deutsche Kernkraftwerk Brokdorf zu kaufen und wieder in Betrieb zu nehmen (Wie das auf deutschem Boden und nach deutschem Recht möglich sein soll, wäre interessat zu wissen, aber wie dem auch sei – unter der conditio sine qua non, dass er dann auch die Kosten für Rückbau, etc. übernimmt wäre das extrasuper)!

    Oder will sich Dänemark vielleicht die Möglichkeit der Beschaffung von Kernwaffen offen halten? Leistungsfähig genug ist die dänische Wirtschaft bestimmt.

  6. #9 Oliver Gabath
    16. Mai 2025

    Belgien macht den Kernenergieausstieg rückgängig (Quelle)

    Diese Meldung hat mehr Gehalt als dass Dänemark das Verbot des Neubaus aufhebt, denn Belgien betreibt zurzeit 4 Kernreaktoren im Alter von je zwei Mal 40 und 50 Jahren. Die haben vermutlich alle noch ein paar gute Jahre vor sich, wenn man genügend Geld reinsteckt.

    Dass neue Kraftwerke gebaut werden, bezweifle ich zwar, aber die laufenden weiterzubetreiben, solange es geht, macht sicher Sinn.

  7. #10 Oliver Gabath
    20. Mai 2025

    Auf der anderen Seite der Medaille:
    Taiwan vollzieht den Kernenergieausstieg Quelle)

    Gegen Mitternacht wurde das Kernkraftwerk Maanshan-2 vom Netz genommen und damit der letzte Reaktor in Taiwan in den Hot-shut-down versetzt. Jetzt beginnt die Nachbetriebsphase.

    Im PRIS wird er allerdings nicht auftauchen. Wie alle Reaktoren Taiwans.
    Kleiner Edit: Der Reaktor taucht doch auf, zusammen mit den anderen Reaktoren Taiwans. Auf einer Seite, zu der kein Link in der Landesstatistik führt und die man nur zufällig grade einfach erreichen kann, weil er auf der Hauptseite auftaucht. “Taiwan, China”. Immerhin.

  8. #11 Staphylococcus rex
    28. Oktober 2025

    Aktuell gibt es Nachrichten über einen neuen russischen Marschflugkörper (Sturmvogel/Burewestnik) mit einer Reichweite von ca. 20 000 km.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Burewestnik_(Marschflugk%C3%B6rper)
    Das Design scheint einem früheren US-Design ähnlich zu sein:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Pluto_(Marschflugk%C3%B6rper)

    Wenn ich es richtig verstanden habe, braucht man für ein derartiges nuklear betriebenes Triebwerk ca. 50 kg angereichertes Uran, welches in einem Staustrahltriebwerk die Luft derartig erhitzt, um ohne weitere Treibstoffzuführung durch die erhitzte Luft einen kontinuierlichen Vortrieb zu erzeugen.

    Das Design hat aber auch Nachteile:
    1) Es arbeitet erst ab einer Mindestgeschwindigkeit, braucht also eine konventionelle Starthilfe
    2) Aus Gewichtsgründen gibt es praktisch keine Isolierung, es produziert bereits während des Fluges radioaktiven Abfall
    3) Es ist ein “Wegwerfartikel”, am Ziel hat es den Effekt einer “schmutzigen Bombe”, kann also nur für den Transport von Kernwaffen genutzt werden, für jedes andere Einsatzscenario ist der politische Schaden größer als der militärische Nutzen
    4) Der Flugkörper soll dicht über dem Boden knapp unter der Schallgeschwindigkeit fliegen. Das wäre unterhalb des Radars, aufgrund der Wärmespur sollte es aber aus dem All von Satelliten sichtbar sein.

    Nur so aus Neugier, liege ich mit meinen Annahmen ungefähr richtig?

    • #12 Oliver Gabath
      30. Oktober 2025

      Ich versteh nicht viel von Fluggeräten, aber der Vergleich zu Pluto drängt sich auf und ich denke, die technischen, nennen wir sie mal ‘Eigenheiten’, hast Du gut herausgestellt.

      Allerdings wurde Pluto ja nicht aufgrund technologischer Probleme eingestellt (auch wenn ich ziemlich sicher bin, dass die gekommen wären, hätte man die Entwicklung weitergetrieben), sondern wegen Problemen bei der Doktrin und an diesen doktrinären Nebenbedingungen hat sich seit den 1950ern nichts grundsätzliches geändert.

      Herman Kahn schreibt in On Thermonuclear War über die Bedingungen guter Abschreckung und eine davon ist “Don’t look or be too dangerous” und aus Sicht des Jahres 1960 war das auf jeden Fall eines der Probleme von Pluto. Denn die Fragen “Was kann man mit einem solchen Flugkörper machen?” und “Wie wird der Gegner reagieren?” haben erstaunlich eindeutige Antworten.

      Mit einem nuklear angetriebenen Marschflugkörper kann man im Prinzip sinnvoll nur countervalue Ziele (sprich: Großstädte) angreifen. Für einen Erstschlag ist er zu langsam, kann zu leicht verfolgt werden (vor allem in der aufkommenden Ära der fliegenden Radarplattformen). Theoretisch könnte er um Radarposten und Abwehrstellungen herumgelenkt werden, aber im Spannungsfall wäre die Radarüberwachung sowieso lückenlos und die Abwehr nicht nur stationär, sondern auch mobil in der Luft. Gleichzeitig hat er durch seine hohe Bombenlast (Pluto sollte viel Sprengköpfe tragen) extrem großes Zerstörungspotential. Entdeckt der Gegner einen Angriff, ist es logisch anzunehmen, dass es der Aufakt zu einem strategischen Atomkrieg ist.

      Meine zwei Kreuzer: Der Burewstnik ist im Wesentlichen Ausdruck eines tief sitzenden russischen Minderwertigkeitskomplexes. Man will Weltmacht sein. Man will als gefährlich wahrgenommen werden. Man will den Westen einschüchtern. Man will lieber nicht drüber reden, dass man in drei Jahren Krieg in der Ukraine den Großteil des brauchbaren Materials aus Sowjetzeiten verbraten hat und für welchen Gegenwert. Wunderwaffen waren dafür schon immer ein probates Mittel.

      Das Ding ist gefährlich, natürlich, aber nicht nur für den Westen, sondern auch für Russland selbst und alles, was es kann, lässt sich mit ICBM, konventionellen Abstandswaffen und bemannten Bombern mindestens genauso gut und mit weniger Eskallationspotential erledigen.

  9. #13 Staphylococcus rex
    30. Oktober 2025

    @ Oliver Gabath, Danke für die Rückmeldung (auch zu meinem Beitrag vom März), ich finde das Thema interessant, habe aber selbst zu wenig Fachwissen und ein Spiegel-Artikel zu diesem Thema war hinter Paywall.

    • #14 Oliver Gabath
      31. Oktober 2025

      Spannend finde ich es auch. Ich hab schon vor einigen Jahren On Thermonuclear War gelesen und kann das Buch wirklich empfehlen. Das macht mich nicht zum Experten, aber es hilft bei der Einordnung.

  10. #15 Staphylococcus rex
    5. November 2025

    Aktuell gibt es wieder Diskussionen um die Suche nach einem Endlager. Irgendwie habe ich das ungute Gefühl, dass an die Suche grundsätzlich falsch herangegangen wird.

    Bisher war der erste Schritt die Suche nach einem passenden Muttergestein (Salzstock, Granitmonolith etc.). Nur haben diese Muttergesteine aufgrund ihres natürlichen Wachstums immer irgendwelche Makel, und die geologischen Prozesse, die dieses Muttergestein geschaffen haben, sorgen auch für erhöhte Risiken für die Zukunft.

    Wenn wir hier in geologischen Zeiträumen denken, dann bestehen Gefahren für ein Endlager durch lokalen Vulkanismus, durch aktive Verwerfungslinien, durch Grundwasser und oberirdisch durch Gletscheraktivitäten im Fall einer Eiszeit.

    Was also spricht dagegen, in einer geologisch ruhigen Gegend einen großen Sarkopharg aus Beton zu bauen und diesen dann zuzuschütten. Ich denke da an die Restflächen ehemaliger Braunkohlentagebaue. Wenn es das ideale Muttergestein nicht gibt, muss man es sich eben selbst bauen. Wenn Verwerfungslinien ausreichend entfernt sind und wenn der Sarkopharg ausreichend tief verbuddelt ist, sollte dies für die nächsten Millionen Jahre ausreichen.

    Beim Beton rede ich nicht über Stahlbeton, sondern über den Beton der Römerzeit, z.B. das Pantheon. Lt. Wikipedia hat dieser Beton “selbstheilende” Eigenschaften und kann kleine Risse selbst reparieren. Damit wäre es das ideale Material für ein Bauwerk mit “Ewigkeitsanspruch”.

  11. #16 Staphylococcus rex
    7. November 2025

    Wenn man sich fragt, warum es Finnland als bisher einziges Land geschafft hat, ein Endlager zu benennen, dann liegt es zumindest teilweise daran, dass Finnland besonders günstige geologische Voraussetzungen hat. Der Baltische Schild ist seit langem geologisch wenig aktiv und damit wesentlich besser als Endlager geeignet als die Bruchschollengebirge Mitteleuropas. Grundsätzlich dürfte es außerhalb von Kratonen schwierig sein, passende Regionen für Endlager zu finden.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Kraton

    Das wiederum läßt zwei Schlußfolgerungen zu: entweder man fokussiert sich auf Kratone, dann läuft es auf multinationale Endlager hinaus. Oder man bleibt bei nationalen Lösungen, dann muss man sich das passende Muttergestein z.B. in Form eines Sarkophargs ggf. erst erschaffen.

    Ich kann mir nicht vorstellen, dass den Verantwortlichen in Deutschland diese Problematik nicht bekannt ist. Langsam hege ich die Vermutung, dass sich alle Beteiligten darin einig sind, Zeit zu schinden

    • #17 Oliver Gabath
      10. November 2025

      Ich glaube auch, genau darauf läuft es raus.

      Nach meinem äußerst begrenzten Verständnis von abgebrannten Kernbrennstoffen entstehen die meisten Probleme durch die Wärme, die sie noch für lange Zeit freisetzen (entsprechend sind gerade Spaltprodukte mittlerer Halbwertszeit unschön). Deswegen scheint die geologische Endlagerung, in was für Gestein auch immer, am besten geeignet, da auch große Wärmeleistung ausreichend gut abgeleitet werden kann.

      Aber wie Du schreibst, wird da vor allem Zeit geschunden und das nicht nur in Deutschland. Immerhin sieht es in anderen Kernenergie treibenden Ländern nicht unbedingt besser aus – abgesehen eben von Finnland – und von denen sind einige, wie z.B. Russland oder die USA bei weitem nicht so dicht besiedelt wie Mitteleuropa oder erfährt die Kernenergie so viel Ablehnung wie hierzulande.

      Klaus Traube hat schon vor fast 50 Jahren in seinen Büchern geschrieben, dass die damals schon erheblichen Kostensteigerungen beim Neubau von Kernkraftwerken gegenüber den Prototypen vor allem darauf zurückzuführen seien, dass die Wirtschaft immer mehr Kosten einpreisen muss, die der Staat vorher stillschweigend übernommen hatte. Da ich kein Manager in diesem Bereich bin, kann ich das nicht mit Argumenten dafür oder dagegen unterfüttern, allerdings nehme ich auch wahr, dass die Kosten überall steigen und das vor allem mit dem Grad der Liberalisierung des jeweiligen Energiemarkt zusammenzuhängen scheint (obiger Artikel versucht ja, gerade das plausibel zu machen).

      Meine Vermutung ist deshalb, dass es mit der Lagerungsproblematik ähnlich aussieht und die tatsächlichen Kosten deutlich nördlich dessen sind, was bisher kalkuliert und kolportiert wurde. Ein weiteres deutsches Beispiel dafür, wie gerne man das Problem in die Zukunft schiebt, ist der THTR-300 in Hamm-Uentrop, der zurzeit im ‘sicheren Einschluss’ betrieben wird. Plakativ gesagt: Man hatte die volle Windel zugeklappt und wartete erst mal ab. Ab ca. 2028 soll mit dem Rückbau begonnen werden. Die Betreibergesellschaft hat 2025 Insolvenz angemeldet. Wer auch immer das in ein paar Jahren wird ausbaden dürfen, kann sich jetzt schon meines Mitleids sicher sein.