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Das eine oder andere Kernkraftwerk wird vermutlich auch in den liberalisierten Energiemärkten Europas noch nach 2030 auf den Weg gebracht werden, aber viel mehr als ein paar politisch gewollte Leuchttürme erwarte ich nicht und allesamt werden sie nur mit massiven staatliche Anreize realisiert werden können. Für alles andere hat sich der Markt schon zu stark verändert und die Überlegungen, die ich mir hier mache, sind ja nur die Spitze des Eisbergs.

Und weil dem so ist, kann ich die Frage nach den Bedingungen, unter denen ein Neubau von Kernkraftwerken möglich wäre auch recht einfach beantworten: Was es braucht, ist ein breites Bündnis aus Politik und Wirtschaft mit genügend gesellschaftlichem Rückhalt, das den Bau durchsetzt, koste er was er koste, das bereit ist, diese Kosten der Allgemeinheit aufzuerlegen und an dieser Entscheidung jahrzehntelang festhält. Betrachtet man nur die letzten gebauten bzw. im Bau befindlichen Projekte in Europa mit ihren Baukosten und ausgehandelten Einspeisevergütungen und die Schätzungen für geplante Projekte ist der wirtschaftliche Nutzen, selbst unter Bedingungen eines möglichen Einspeisevorrangs vor volatilen Erzeugern, fraglich. Vorsichtig ausgedrückt. Privatwirtschaftliche Akteure allein werden’s unter solchen Umständen nicht machen. Um die FDP zu paraphrasieren: Der Markt regelt das.

Nach EEG geförderte Anlagen verursachen heute hohe Kosten, weil wir den Berg der vor etwa 2015 gebauten Anlagen abtragen, mit fallender Tendenz. Die Kosten der Kernenergie dagegen steigen und damit überhaupt jemand aus der Wirtschaft interessiert ist, müssen die Staaten, die Kernkraftwerke bauen wollen, die Braut durch Garantien und Einspeisevergütungen hübsch machen. Dieser Ansatz muss nicht falsch sein, aber es macht einen Unterschied, ob man viel Geld in die Hand nimmt, damit etwas teures günstig wird oder um etwas teurer werdendes wieder einzufangen. Wenn nicht ein Durchbruch dazu führt, dass plötzlich Kernkraftwerke sehr viel günstiger werden (Ich drück Euch die Daumen, lieber SMR-Entwickler), wird sich dieses Verhältnis nicht mehr zugunsten der Kernenergie verschieben.

Wie realistisch der gesellschaftliche Rückhalt langfristig ist, könnte man seitenweise diskutieren und kann ja jeder für sich selbst bewerten. Das Beispiel Italien spricht Bände. Weiter mache ich Fass hier gar nicht auf.

Fazit

Ob Kernenergie objektiv sinnvoll ist oder nicht lässt sich trefflich diskutieren, mit guten Argumenten auf allen Seiten. Ob ich persönlich Kernenergie für sinnvoll halte, kann man vielleicht und mit Einschränkungen aus dem herauslesen, was ich darüber schreibe. Darum geht es aber überhaupt nicht bzw. nur bedingt, wenn man die Frage betrachtet, ob die Kernenergie in Deutschland noch eine Chance hat bzw. wie es um ihre Chancen in modernen Energiemärkten allgemein bestellt ist. Die Frage nach Sinn und Unsinn steht in einem ganz anderen Buch, das erst aufgemacht zu werden bräuchte, wenn die oben genannten (und noch viele mehr) technischen, organisatorischen, wirtschaftlichen, legislativen Hindernisse aus dem Weg geräumt wären.

Dieses aus-dem-Weg-räumen gestaltet sich aber unglücklicherweise außerordentlich aufwändig. Wäre dem anders, würden weltweit Kernkraftwerke wie Pilze aus dem Boden schießen, stattdessen ist die Entwicklung alles in allem durchwachsen. Als ich 2007 anfing zu studieren, waren weltweit 447 Leistungsreaktoren mit 389 GW Leistung in Betrieb. Ende März 2025 sind es 416 mit 377 GW, davon werden mindestens 6 (in Saporischschja in der Ukraine) als in Betrieb gelistet, obwohl sie nicht in Betrieb sind und vielleicht nie wieder gehen werden. In allen liberalisierten Energiemärkten stockt die Entwicklung, in den meisten ist sie rückläufig. Nur in den ganz kleinen, in denen eine einzige Anlage einen massiven Anteil an der gesamten Einspeisung hat, ist sie in den letzten Jahrzehnten gestiegen. Ich glaube nicht, dass die ebenso kontinuierlich angekündigte wie ausbleibende nukleare Wiedergeburt an der Ablehnung der Bevölkerung(en) scheitert, sondern es ganz handfeste technische, regulatorische, organisatorische und legislative und damit nachgelagert konkret betriebswirtschaftliche Gründe dafür gibt.

Und das ist, in einer Nusschale, warum ich der Meinung bin, dass auf absehbare Zeit, wenn nicht endgültig, die Kernenergie in Deutschland Geschichte ist und es in keinem Fall einen einfachen Weg zurück gibt. Der letzte Punkt, das sich rasant ändernde Marktumfeld, ist der Hauptgrund, warum ich des Weiteren der Meinung bin, dass auch weltweit ihre Entwicklung sich weiter entschleunigen wird. Es wäre falsch, zu sagen, ihre Tage seien gezählt. Aber im Licht der aktuellen Entwicklung ist sie mindestens angezählt.

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Kommentare (5)

  1. #1 hto
    21. März 2025

    @Gabath: “Die Kernenergie in Deutschland ist auf absehbare Zeit, wenn nicht entgültig, Geschichte und es gibt keinen einfachen Weg zurück.”

    Es gäbe einen einfachen Weg zurück zur Atomkraft, aber solange der kompliziert-konfuse in wettbewerbsbedingter Symptomatik bestimmt was geht, dann wohl eher nur in die Katastrophe.

    Übrigens, ich habe es drüben beim Kuhn zwar schon geschrieben: Ich war zwar Zeitsoldat, bin trotzdem KEIN Fan von Wehrpflicht, aber seit der Erfindung des Transmutationsbeschleunigers (der “natürlich” aus Kostengründen nicht zum Einsatz, aber THEORETISCH vielleicht zur vollen Kraft entwickelt wird??) bin ich Fan der Atomkraft.

    • #2 Oliver Gabath
      24. März 2025

      Es steht Ihnen frei, sich mit gleichgesinnten aus aller Welt zusammenzutun und den Transmutationsbeschleuniger zu bauen. Länder mit großem gesellschaftlichem Rückhalt gibt’s genug. Machen Sie’s, strafen Sie mich Lügen – für die Welt wär’s ein Fortschritt.

  2. #3 Ludger
    21. März 2025

    Ein Freund von uns hat als promovierter Elektroingenieur Jahrzehnte lang bei der Kernenergie, der Stromwirtschaft und der Netzauslegung gearbeitet. Bei einem gemeinsamen Urlaub hat er mich 1978 von den Vorzügen der Kernenergie versus Stromerzeugung durch Kohle überzeugt.
    Er hält den Neubau von Kernkraftwerken mittlerweile für unwirtschaftlich. Als Grund für seinen Erkenntniswandel sagte er mir, er habe nicht mit dem extremen Preisverfall der Photovoltaik gerechnet.
    Die neue Lage macht natürlich nicht nachträglich das Abschalten von zugelassenen und funktionierenden Kernkraftwerken wirtschaftlich.

    • #4 Oliver Gabath
      24. März 2025

      Die neue Lage macht natürlich nicht nachträglich das Abschalten von zugelassenen und funktionierenden Kernkraftwerken wirtschaftlich.

      Klar, aber das ständig zu lamentieren bringt uns nicht weiter, wenn der Weg zurück de facto verschlossen ist.

  3. #5 Mr Orange
    22. März 2025

    Viele Zulassungen aus dem Bauwesen sind für AKW nicht anwendbar. Natürlich kann man die überarbeiten – viel Spaß dabei!